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»Hüte deine Zunge, Christenmädchen!«, sagte Harun verärgert und wich einen Schritt zurück. »Du bist erregt und du hast Angst. Was für mich Entschuldigung genug für diese Worte ist. Aber sollten sie an die falschen Ohren dringen, dann wären sie allein Grund für deinen Tod.«

Robin lachte bitter. »Willst du mir drohen? Spar dir deinen Atem, alter Mann. Was könnte schlimmer sein als das, was ich gerade dort unten gesehen habe?«

»Eine Menge«, sagte Harun düster. »Mehr, als du dir vorstellen willst, Kind, glaub mir.«

Robin wurde immer wütender. Sie wollte Harun verletzen. Sie wollte ihm wehtun, obwohl sie wusste, dass er von allen hier im Haus gewiss am wenigsten für das konnte, was sich gerade unten im Hof abspielte. »Das glaube ich dir sogar!«, stieß sie zornig hervor. »Man hat mir gesagt, Ihr hättet eine hohe Kultur. Dass Ihr uns in mancherlei Beziehung ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen wärt. Was Grausamkeiten angeht, seid Ihr es ganz sicher, das bezweifle ich nicht!«

Harun schüttelte mit einem tiefen Seufzen den Kopf. »Ich weiß, dass das nicht deine wahre Meinung ist«, beharrte er. »Der Schmerz verschleiert dir die Sinne. Nehmt Ihr Christen etwa keine Sklaven?«

»Nein!«, behauptete Robin bestimmt. Aber ganz sicher war sie nicht.

Das Lächeln, das für einen Moment auf Haruns Lippen erschien, war so sanftmütig und verzeihend, dass Robin an sich halten musste, um ihm nicht mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. »Nun, darüber sollten wir ein andermal sprechen«, sagte er. »Aber wenn schon nicht an deine Gefühle, dann lass mich wenigstens an deine Vernunft appellieren, Christenmädchen. Was du gerade gesehen hast, ist nicht schön. Und doch: Einem Sklaven im Haus eines guten Herrn wird es hundertmal besser gehen als einem armen Fischer in einem heruntergekommenen Dorf, wo der Hunger täglich zu Gast ist, meinst du nicht auch?«

»Lieber würde ich hungern, als unfrei zu sein!«

»So kann nur jemand reden, der noch niemals wirkliche Not gelitten hat«, sagte Harun milde. Seine Sanftmütigkeit machte Robin schier rasend. Sie zitterte am ganzen Leib. Sie wusste nicht, wie lange sie sich noch würde beherrschen können. »Ich selbst habe etliche Sklaven«, fuhr Harun fort, »und sie führen ein gutes Leben bei mir. Glaube mir, nicht einer von ihnen würde mich verlassen. Es ist mit einem Sklaven wie mit einem guten Pferd, und ein kluger Herr weiß das. Gehst du sorgsam mit ihnen um, dann sind sie treu und dankbar und leisten gute Arbeit.« Er lachte leise. »Und wenn man ein so weiches Herz hat wie ich, dann tanzen sie einem auch schon einmal gehörig auf der Nase herum.«

Robin starrte ihn aus flammenden Augen an. Dann drehte sie sich bewusst langsam herum, trat an den Vogelkäfig heran und öffnete ihn.

Harun sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein, tat jedoch nichts, um Robin aufzuhalten, und auch Aisha machte nur einen erschrockenen halben Schritt und blieb mitten in der Bewegung wieder stehen, als ihr Herr eine rasche Geste mit der Hand machte.

Vielleicht war es auch nicht nötig, dass einer von beiden etwas tat, um Robin zurückzuhalten. Die beiden Vögel hatten aufgehört zu singen und von einer Stange auf die andere zu hüpfen. Sie starrten wie verdutzt auf die plötzlich offene Tür. Eines der Tiere hatte sich geduckt, als hätte es Angst. Robin blickte sie ihrerseits einen Moment lang völlig verdattert an, dann schlug sie wütend zwei-, dreimal mit der flachen Hand so hart an den Käfig, dass er von seinem Tisch zu stürzen drohte. Die beiden Vögel flogen erschrocken auf, flatterten durch die offen stehende Tür und durch das Fenster davon und waren verschwunden.

»Oh, Robin«, seufzte Harun. »Du hast ihnen damit keinen Gefallen getan.«

»Sie sind frei, oder?«

»Diese Tiere sind nicht aus diesem Teil des Landes«, antwortete Harun. »Sie werden es schwer haben. Wahrscheinlich werden sie den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr erleben.« Er deutete auf einen Falken, der um das Minarett der nahen Moschee kreiste.

»Aber zumindest haben sie ihre Flügel noch einmal gebrauchen können«, erwiderte Robin trotzig.

»Um in den Tod zu fliegen«, sagte Harun. Er seufzte erneut. »Ich sehe schon, deine Ausbildung ist noch lange nicht zu Ende. Ich fürchte fast, sie hat noch nicht einmal richtig begonnen.«

Robin jubilierte innerlich. Endlich war es ihr gelungen, Harun zu erschüttern. Und mit dem grässlichen Schmerz, der noch immer in ihr wühlte, hatte sie Gefallen an diesem Gefühl gefunden. Mit erhobener Stimme wandte sie sich an Aisha: »Was ist mit dir, Aisha?«, fragte sie. »Willst du wirklich lieber den Rest deines Lebens mit einem goldenen Schleier vor dem Gesicht verbringen und diesem alten Mann zu Diensten sein, statt in Freiheit und unter dem Schutz eines christlichen Fürsten zu leben?«

Aisha schwieg und sah sie mit einem Ausdruck sonderbarer Trauer in den Augen an. Für einen Augenblick senkte sich eine fast beklommene Stille über den Raum, in den nur die Stimme des Versteigerers vom Hof hereindrang, der gerade einen Sklaven anpries. Schließlich gebot Harun Aisha mit einer Geste, den Schleier abzunehmen. Die Sklavin zögerte. Sie hob gehorsam die Hände ans Gesicht, doch ihre Finger zitterten, und der Blick, den sie Harun zuwarf, war fast flehend. Harun lächelte auf eigentümliche Weise und Robin konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieses Lächeln gleichzeitig eine Bitte um Vergebung war. Er wiederholte seine Geste und endlich kam Aisha dem Befehl nach. Ihre Hände zitterten immer stärker, als sie nach dem schweren, mit winzigen Goldplättchen geschmückten Schleier griff, der ihr Gesicht verhüllte.

Als sie ihn ablegte, stieß Robin einen erschrockenen Schrei aus. Sie prallte entsetzt zurück und stieß so heftig gegen den Vogelkäfig, dass er nun doch vom Tisch fiel und zerbrach. Aber das bemerkte sie kaum. Ihr Blick hing wie gebannt an Aishas Gesicht.

Unter dem goldbesetzten Schleier kam nicht das Gesicht jener exotischen Schönheit zum Vorschein, das der sinnliche Ausdruck in ihren wunderschönen Augen versprach, sondern nur eine grausam verwüstete Landschaft aus Narben und verbranntem Fleisch.

»Was...?«, stammelte Robin. Sie schlug die Hand vor den Mund, um einen weiteren Aufschrei zu unterdrücken.

Harun gab Aisha mit einer Geste zu verstehen, den Schleier wieder anzulegen, was sie auch hastig tat. In der gleichen Bewegung wandte sie sich um, als schämte sie sich des Anblickes, den sie bot. Robin war schockiert. Aishas Haltung passte so gar nicht zu der stolzen, anmutigen Frau, die sie manches Mal insgeheim bewundert hatte. Plötzlich begriff Robin, warum der Blick der Sklavin manchmal so leer erschien, als weilten ihre Gedanken in unerreichbarer Ferne.

Harun sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein, ließ einen kurzen Moment verstreichen und wandte sich dann mit ernstem Gesicht und noch ernsterer Stimme wieder an Robin. »Es waren deine ruhmreichen, gütigen Christenfreunde«, sagte er. Der Klang seiner Stimme stand in krassem Gegensatz zur bitteren Wahl seiner Worte. Er sprach ganz ruhig, fast sanft. »Es war ein Ritter aus dem Gefolge des Rainald von Chatillion, des Fürsten von Oultrejordain, ein Kämpfer für Euren Glauben. Leisten Eure Ritter nicht den Eid, die Schwachen zu schützen?«

»Aber das... das...«, stammelte Robin.

»Aisha war seine Sklavin, als er ihr das angetan hat«, fuhr Harun unbeirrt fort. »Er wollte ihr Gewalt antun. Als sie sich wehrte, da nahm er eine Fackel und verbrannte ihr das Gesicht, damit kein anderer Mann Gefallen an dem haben sollte, was ihm verwehrt geblieben war. Du solltest wissen, dass ein guter Mensch zu sein nichts mit dem Glauben zu tun hat, Christin. Denke darüber nach. Das ist deine heutige Lektion.«