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Als der Krieger heran war, senkte sie demütig den Blick und trat einen halben Schritt zur Seite, wie um ihm Platz zu machen, damit er sich nach dem Krug bücken konnte. Der Mann beäugte sie misstrauisch, beugte sich dann aber neugierig vor und runzelte die Stirn. »Das ist kein...«

Bevor er das Wort Wein aussprechen konnte, machte Robin einen halben Schritt an ihm vorbei, vollführte eine blitzartige halbe Drehung und trat ihm mit aller Gewalt in die Kniekehle.

Der Krieger stieß ein überraschtes Keuchen aus, fiel auf das Knie und zerschlug dabei den Krug. Statt gänzlich zu Boden zu gehen, wie sie es eigentlich erwartet hatte, stemmte er sich mit einer unerwartet raschen Bewegung wieder in die Höhe und fuhr herum. Und genau in Robins Hieb hinein.

Noch während der Krieger herumgefahren war, hatte sie begriffen, dass Rücksicht hier fehl am Platze war. Dieser Mann war ein Koloss, doppelt so schwer wie sie, vermutlich fünfmal so stark, und wie sie mit eigenen Augen gesehen hatte, ohne die geringsten Skrupel, einer Frau Schmerzen zuzufügen. So hatte sie diesen Hieb mit aller Kraft ausgeführt: Blitzschnell stieß sie mit dem Handballen nach oben gegen sein Kinn und normalerweise hätte sie damit auch einen sehr viel stärkeren Gegner zu Fall gebracht.

Normalerweise. Nicht jetzt. Der Krieger torkelte mit einem wütenden Aufschrei zurück und kämpfte einen Moment mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht. Aber er war nur zornig, nicht wirklich angeschlagen, und Robin wurde voller kaltem Entsetzen klar, dass alle Tricks und Finten, die Salim ihr beigebracht hatte, nicht ausreichen würden, um diesen Gegner zu überwinden. Und das Funkeln in seinen Augen war die reine Mordlust. Er würde es nicht dabei bewenden lassen, sie zu packen und festzuhalten, um sie vor Omar zu schleifen, sondern sie vermutlich umbringen. Sie raffte noch einmal alle Kraft zusammen, ging federnd in die Knie und sprang wie ein Pfeil in die Höhe, um ihm beide Füße vor die Brust zu stoßen. Salim wäre stolz auf sie gewesen, hätte er mit ansehen können, wie perfekt sie die Technik, die er sie gelehrt hatte, in die Tat umsetzte.

Aber Salim hatte wohl niemals damit gerechnet, dass sie gegen Goliaths großen Bruder antreten würde.

Der Krieger wurde ein zweites Mal aus dem Gleichgewicht gerissen, aber er fiel auch jetzt nicht. Mit heftig fuhrwerkenden Armen trat er einen Schritt rückwärts, um seine Balance wiederzufinden, während Robin vom Schwung ihrer eigenen Bewegung zu Boden geschleudert worden war und so hart aufschlug, dass ihr die Luft wegblieb. Für die Dauer eines Herzschlages musste sie gegen eine schwarze Woge ankämpfen, die im Gefolge der Schmerzexplosion in ihrem Hinterkopf und Rücken über ihre Gedanken hinwegrollte.

Ihr war klar, dass der Wächter im nächsten Moment über sie herfallen und mit ihr anstellen würde, was immer ihm gerade in den Sinn kam, aber sie hatte nicht einmal Angst. Sie war nur maßlos enttäuscht und wütend auf sich selbst, sich derart überschätzt und damit alles verdorben zu haben.

Doch der brutale Angriff, den sie erwartete, kam nicht. Robin blieb zwei, drei weitere Sekunden mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem auf dem Rücken liegen und versuchte, sich gegen den Schmerz zu wappnen, der unweigerlich kommen musste, dann öffnete sie vorsichtig die Augen und fuhr überrascht und ungläubig zugleich hoch.

Der Wächter hatte sich nicht auf sie gestürzt, weil er es nicht konnte. Er stand mit ausgebreiteten Armen und in sonderbar verrenkter Haltung vor dem Gitter auf der anderen Seite des schmalen Ganges. Dutzende von Händen hatten sich zwischen den Stäben hindurchgeschoben, krallten sich in seine Kleider, hielten seine Arme und Handgelenke fest. Schmutzige Fingernägel zerkratzten seine Haut, tasteten nach seinem Gesicht, seinen Augen, und zerrten an seinen Haaren. Der Wächter bäumte sich auf. Robin konnte sehen, wie er seine gewaltigen Muskeln anstrengte, um den Griff der Gefangenen zu sprengen, aber nicht einmal seine Kraft reichte dazu. Schließlich gab er es auf und setzte dazu an, einen Hilferuf auszustoßen.

Er kam nicht dazu. Robin war mit einem einzigen Satz auf den Beinen und bei ihm, presste ihm die linke Hand auf den Mund und erstickte seinen Schrei. Mit der anderen riss sie den schweren Schlüsselbund von seinem Gürtel. Der Krieger bäumte sich auf, versuchte sie abzuschütteln und stieß mit den Knien nach ihr. Robin wich dem Stoß mit einer geschickten Drehung des Körpers aus, konnte aber nicht verhindern, dass sein hochgerissenes Knie mit solcher Wucht ihren Oberschenkel traf, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Außerdem versuchte der Kerl nach ihren Fingern zu beißen.

Mit einer hastigen Bewegung sprang sie zurück, prallte gegen das Gitter auf der anderen Seite des Ganges und fand nur mühsam ihr Gleichgewicht wieder. »Haltet ihn fest!«, rief sie. »Und sorgt dafür, dass er nicht schreit!«

Sie ließ den Schlüsselbund fallen, hastete zu der Nische, in der der Krieger seine Waffen zurückgelassen hatte, und riss den fast metergroßen Schild in die Höhe, um den Mann damit zu bezwingen.

Robin blieb nach zwei Schritten wieder stehen und stöhnte entsetzt auf. Sie musste nicht mehr kämpfen. Der Mann würde nicht um Hilfe rufen, weder jetzt noch irgendwann. Er stand noch immer aufrecht und mit fast grotesk verrenkten Gliedern vor dem Gitter, aber in seinen weit aufgerissenen Augen war kein Leben mehr. Einer der Gefangenen hatte einen ledernen Gürtel zwischen den Gitterstäben hindurch gezogen und ihn damit erwürgt.

»Nein«, murmelte Robin. »Warum... warum habt ihr das getan?« Niemand antwortete. Der kurze Tumult, der während des Kampfes entstanden war, war wieder verstummt, und eine fast unheimliche, atemlose Stille herrschte jetzt im Keller. Robin konnte spüren, wie sich aller Aufmerksamkeit auf sie konzentrierte, und es war auch wirklich keine Zeit zu verlieren, aber sie stand trotzdem endlose Sekunden einfach da, starrte den Toten an und versuchte, die Hysterie niederzukämpfen, die sich ihrer bemächtigen wollte.

Schließlich gelang es ihr, ihre Gedanken wieder in einigermaßen geregelte Bahnen zu zwingen. Rasch hob sie den Schlüsselbund auf, drehte sich herum und hielt nach Nemeth Ausschau. In den engen, überfüllten Zellen, die ihr plötzlich noch viel düsterer und erbärmlicher vorkamen als bisher, konnte sie im ersten Moment nichts ausmachen. Wieder drohte sich Panik ihrer Gedanken zu bemächtigen. Was, wenn Nemeth und ihre Mutter gar nicht mehr hier waren? Wenn man sie in einen anderen Kerker gebracht oder Omar am Ende doch noch einen Käufer für sie gefunden hatte?

Dann aber entdeckte sie sie doch. Nicht in der Zelle, in der sie sie das letzte Mal gesehen hatte, sondern hinter den Gitterstäben auf der anderen Seite des Ganges: Saila starrte sie wie alle anderen Gefangenen aus ungläubig aufgerissenen Augen an. Ihre Tochter hatte sich gegen sie gepresst und das Gesicht an der Brust ihrer Mutter vergraben. Robin war mit zwei Schritten bei der Tür ihres Verlieses, probierte ungeduldig und mit immer heftiger zitternden Fingern die Schlüssel durch, bis sie endlich den richtigen gefunden hatte, und riss die Zellentür auf. Mit einem einzigen Satz war sie bei Saila und ließ sich vor ihr auf die Knie fallen.

»Nemeth!«

Das Mädchen sah nur kurz in ihre Richtung, fuhr entsetzt zusammen und presste sich noch heftiger an seine Mutter und auch Saila wich ein kleines Stück vor ihr zurück und begann zu zittern.

»Nemeth, ich...« Und endlich begriff Robin. Hastig streifte sie sich die Abeiya von den Schultern und riss sich den Schleier vom Gesicht. Sailas Augen weiteten sich ungläubig und auch Nemeth drehte den Kopf. Ein Ausdruck vollkommener Fassungslosigkeit erschien in ihrem Blick.