»Zieh das an!«, herrschte Naida sie an.
Robin erkannte erst jetzt, dass die alte Sklavin eine Art Kaftan aus dem durchscheinenden roten Stoff, aus dem auch ihre Hose gefertigt war, über dem unverletzten Arm trug. Sie versteifte sich innerlich. Schon Naidas herrischer Ton weckte ihren Trotz, und sie hatte gute Lust, sich zu widersetzen, aber ein warnender Blick Haruns hielt sie davon ab. Gehorsam, wenn auch nicht ohne Naida mit fast verächtlichen Blicken zu messen, legte sie das Kleidungsstück an. Hinzu kam noch eine Art Kopftuch, das bis weit auf ihren Rücken hinabreichte und aus ebenfalls rotem, jedoch dichterem Stoff gefertigt war, sowie ein gleichfarbiger Schleier, auf dem winzige Goldplättchen aufgenäht waren, die bei jeder noch so kleinen Bewegung klimperten und klirrten. Als Robin endlich alle nacheinander von Naida gereichten Kleidungsstücke angelegt hatte, war sie bis auf den schmalen Streifen über ihren Augen vollständig verhüllt. Dennoch kam sie sich jetzt ausgelieferter und hilfloser vor denn je.
Harun schien ihre Veränderung jedoch zu gefallen, denn er nickte zufrieden. In seinen Augen erschien ein sanftes, Mut machendes Lächeln, als sie seinem Blick begegnete. »Du wirst sehen, mein Honigpferdchen, dass es viel geschickter ist, seine Schönheit langsam und ein bisschen widerspenstig den Blicken frei zu geben, als gleich alles zu zeigen. So wirst du das Verlangen nach dir in Omars Gästen wecken - und natürlich ihre Gier, was wiederum Omar Khalids Geldbeutel füllen wird.«
Naida lachte leise. »Sich nur widerstrebend zeigen... damit wird sie keine Schwierigkeiten haben.«
Harun schenkte der alten Sklavin einen langen, ärgerlichen Blick und wandte sich wieder mit demselben, fast väterlichen Ausdruck im Gesicht an Robin. »Das wirst du nicht, nicht wahr? Du weißt, wie viele Leben davon abhängen, dass Omar dir nicht zürnt.«
»Und wer sagt Euch, dass mir das nicht egal ist?«, fragte Robin.
Harun schüttelte mit einem angedeuteten Lächeln den Kopf. »Ich«, sagte er. »Darüber hinaus würde sich sein Zorn vielleicht nicht nur gegen dich und die Knaben unten im Keller richten, sondern auch gegen mich, der ich dein Lehrer war. Also, in Allahs Namen, bedenke wohl, was du tust. Ich werde Omar nun davon unterrichten, dass du so weit bist. Mag er entscheiden, wann der passende Augenblick gekommen ist, dich vor seine Gäste zu führen.«
Während er sich herumdrehte und die Kammer verließ, dachte Robin flüchtig daran, dass jetzt der unwiderruflich allerletzte Augenblick wäre, noch einmal einen Fluchtversuch zu wagen, zumal hier im Zimmer nur Aisha und die alte Sklavin als Wachen zurückgeblieben waren. Das Fenster war nicht vergittert und der winzige Hof draußen, so weit sie erkennen konnte, völlig leer. Selbst die gut zwei Meter hohen Mauern, die ihn umschlossen, stellten für Robin kein unüberwindliches Hindernis dar. Aber wie weit würde sie schon kommen, am helllichten Tage und in diesen Kleidern? Und selbst wenn ihr wider aller Wahrscheinlichkeit die Flucht noch einmal gelingen sollte - Harun hatte völlig Recht. Omar würde keinen Augenblick zögern, seinen Zorn an den Sklaven auszulassen. Niemand hatte ihr bisher sagen wollen, was aus Rustan geworden war oder ob er überhaupt noch lebte. Und Omars Worte waren auch in diesem Punkt völlig unmissverständlich gewesen: Nemeth wäre die Nächste, und sie würde er zu Tode peitschen lassen.
Sie konnte keinen Fluchtversuch wagen. Die Fesseln, mit denen Omar sie gebunden hatte, waren unsichtbar, aber fester als der härteste Stahl.
Die Musik, die zu ihr aus einem anderen Teil des Hofes herüberwehte, kam ihr mit einem Male unendlich traurig vor, und nicht zum ersten Mal an diesem Tag saß plötzlich ein bitterer Kloß in ihrem Hals, der ihr das Atmen erschwerte. Es gelang ihr nicht, ihre Fantasie davon abzuhalten, sich die Männer auszumalen, die jetzt dort draußen saßen, sich von Omars Sklavinnen bewirten ließen und vermutlich schon voller Vorfreude auf den einzigen und ganz besonders kostbaren Posten warteten, der an diesem Tag zur Versteigerung anstand. Vielleicht rieben sie sich schwitzende Hände an Hosenbeinen trocken, machten derbe Scherze oder stellten sich vor, was sie mit ihrer Neuerwerbung anfangen konnten. Auf jeden Fall aber waren es Männer, für die sie nicht viel mehr sein würde als ein kostbares Pferd in ihren Ställen.
Sie wünschte sich, sie würde noch ein einziges Mal Salim sehen können, ihn noch einmal berühren, noch einmal seine Stimme hören. Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, kam ein leises, trauriges Seufzen über ihre Lippen.
»Fang jetzt nicht auch noch zu heulen an, du nichtsnutziges Geschöpf!«, herrschte Naida sie an. »Die Schminke wird verlaufen und deine Wangen mit schwarzen Streifen verzieren, törichtes Ding! Wir haben keine Zeit mehr, um dich wieder herzurichten. Ganz zu schweigen davon, dass Tränen deine Augen rot und hässlich machen!«
»Lasst sie in Frieden«, sagte Aisha - mit dem Ergebnis allerdings, dass Naida mit einer wütenden Bewegung herumfuhr und sich ihr Zorn nun auf Haruns Sklavin entlud.
»Schweig, du dummes Weib! Siehst du nicht, was sie vorhat? Anscheinend ist sie wild entschlossen, nichts auszulassen, womit sie meinem Herrn schaden kann.«
Robin sah das Aufblitzen in Aishas Augen und setzte gerade dazu an, etwas zu sagen, um den drohenden Streit im Keim zu ersticken. Auch wenn Aisha nicht gerade ihre Freundin war, so wollte sie doch nicht, dass Naida die Gelegenheit ergriff, um ihre unübersehbar gereizte Laune nun an ihr auszulassen.
Bevor sie jedoch ein Wort sagen konnte, ging die Tür auf und Harun kam zurück. »Es ist so weit«, verkündete er, und in seiner Stimme klang fast so etwas wie Stolz mit. »Die Gäste sind versammelt und alle warten begierig darauf, die kostbarste Blüte aus den Gärten Hamas zu sehen.«
Die Musik auf dem Hof brach in diesem Moment ab und auch die Stimmen, die die fremdartigen Töne bisher murmelnd untermalt hatten, wurden leiser und verstummten dann ganz. Sicher war es nur Zufall, aber die Szene hätte kaum besser verlaufen können, hätte Harun sie sorgsam arrangiert.
Harun streckte die Hand aus und nickte auffordernd. Robin bedachte seinen ausgestreckten Arm nur mit einem verächtlichen Blick, was Haruns Lächeln aber sonderbarerweise nur noch eine Spur wärmer werden ließ. Dann trat sie dennoch gehorsam neben ihn und setzte sich in Bewegung, als Harun seine gewaltige Körperfülle ächzend herumwälzte und den Flur hinunterging. Robin war nicht überrascht, dass sie draußen von fast einem Dutzend Kriegern erwartet wurde. Die Hälfte der Männer ging vor ihnen her, der Rest in dichtem Abstand hinter ihnen.
»Hab keine Angst«, flüsterte Harun neben ihr. »Dir wird nichts geschehen. Omar Khalid gehört zu den Männern, die keine Gelegenheit auslassen, um ihre Macht zu demonstrieren.«
Ein leises Gefühl von Übelkeit begann sich von ihrem Magen aus in ihrem ganzen Körper auszubreiten, und ihr Herz klopfte mit jedem Schritt schneller, den sie sich der Tür und damit dem Hof näherten. Als sie aus dem Haus heraustraten, rauschte das Blut in ihren Ohren, und sie musste sich mit aller Macht beherrschen, um sich nicht mit dem Handrücken über die Augen zu fahren; eine Geste, die Naida ganz bestimmt wieder zum Anlass genommen hätte, sie zu maßregeln.
Draußen erwartete sie eine Überraschung. Sie befanden sich jetzt auf dem zweiten, größeren Hinterhof. Robin hatte erwartet, dass vor oder neben dem Springbrunnen vielleicht eine kleinere Version des obszönen Podestes aufgebaut worden wäre, wie sie es vom Sklavenhof her kannte. Das war jedoch nicht der Fall. Außer Omar selbst und einer kleinen Gruppe von Sklavinnen, die Musikinstrumente sowie Schalen mit Obst und silberne Trinkbecher hielten, befanden sich nur noch drei weitere Personen hier. Es waren drei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten.
»Hab keine Angst«, raunte Harun ihr zu, als sie unwillkürlich im Schritt verhielt. »Niemand wird dir zu nahe treten. Bleib ganz ruhig und sprich nur, wenn du etwas gefragt wirst.«
»Wer sind diese Männer?«, flüsterte Robin unter ihrem Schleier.