Выбрать главу

Clive S. Lewis

Der Ritt nach Narnia

1. Shasta macht sich auf den Weg

Dies ist eine Geschichte eines Abenteuers, das sich in Narnia und Kalormen und in den Ländern dazwischen zutrug, und zwar im Goldenen Zeitalter, als Peter Höchster König von Narnia war und sein Bruder und seine beiden Schwestern als König und Königinnen unter ihm regierten.

Ganz im Süden von Kalormen an einer kleinen Meeresbucht lebte in jenen Tagen ein armer Fischer namens Arashin. Bei ihm wohnte ein Junge, der ihn Vater nannte. Der Junge hieß Shasta. Fast jeden Morgen fuhr Arashin in seinem Boot hinaus und fischte. Am Nachmittag spannte er dann seinen Esel vor einen Karren, belud ihn mit Fisch und marschierte etwa eine Meile nach Süden ins Dorf, um dort den Fisch zu verkaufen. Hatte er gut verkauft, kam er immer recht gut gelaunt nach Hause und ließ Shasta in Ruhe. Hatte er aber schlecht verkauft, dann schimpfte er mit Shasta und schlug ihn vielleicht auch. Grund zum Schimpfen fand er immer, denn Shasta hatte viel zu tun. Er mußte die Netze flicken und waschen, Abendessen kochen und die Hütte putzen, in der die beiden wohnten.

Die Gegend im Süden der Hütte interessierte Shasta überhaupt nicht, denn er war mit Arashin ein- oder zweimal im Dorf gewesen und wußte, daß es dort nichts Besonderes zu sehen gab. Im Dorf traf man nur andere Männer, die genauso waren wie sein Vater – Männer mit langen, schmutzigen Gewändern und hölzernen, an der großen Zehe nach oben gebogenen Schuhen, bärtig und mit einem Turban auf dem Kopf. Sie unterhielten sich mit schleppender Stimme über Sachen, die Shasta schrecklich langweilig fand. Hingegen interessierte Shasta alles, was im Norden lag, sehr. Dort ging nämlich nie einer hin. Auch er selbst durfte es nicht. Wenn er ganz allein draußen saß und die Netze flickte, schaute er oft sehnsüchtig nach Norden. Doch außer einem grasbewachsenen Hügel mit einem gradlinig verlaufenden Kamm, dem dahinterliegenden Himmel und vielleicht ein paar umherfliegenden Vögeln war nichts zu sehen.

Manchmal, wenn Arashin zugegen war, fragte Shasta: „Mein Vater, was liegt hinter jenem Hügel?“ War der Fischer schlecht gelaunt, knuffte er Shasta hinter die Ohren und befahl ihm, sich um seine Arbeit zu kümmern. War er dagegen friedlich gestimmt, dann sagte er: „Mein Sohn, gestatte es deinem Geist nicht, sich von unnützen Fragen ablenken zu lassen. Denn einer der Poeten hat gesagt: ‚Vollendete Konzentration auf die Arbeit ist die Wurzel des Reichtums, aber jene, die müßige Fragen stellen, steuern das Schiff der Torheit auf den Felsen der Armut zu.‘“

Für Shasta lag hinter dem Hügel ein köstliches Geheimnis, das sein Vater vor ihm verbarg. Doch in Wirklichkeit redete der Fischer so, weil er nicht wußte, was im Norden lag. Es interessierte ihn auch nicht. Er war ein sehr praktisch veranlagter Mann.

Eines Tages kam aus dem Süden ein Fremder, und dieser Fremde schaute ganz anders aus als alle Männer, die Shasta jemals zuvor gesehen hatte. Er ritt auf einem kräftigen Schecken mit fliegender Mähne und fliegendem Schweif, und Steigbügel und Zaumzeug waren mit Silber beschlagen. Der Fremde war mit einem Kettenhemd bekleidet, und mitten aus seinem seidenen Turban ragte die Spitze eines Helms hervor. An seiner Seite hing ein Krummsäbel, auf dem Rücken trug er einen runden, mit Messingnieten beschlagenen Schild, und in seiner Rechten hielt er eine Lanze. Er war dunkelhäutig. Doch das überraschte Shasta nicht, denn das ist bei allen Leuten in Kalormen der Fall. Was ihn aber überraschte, war der rote, gelockte und mit duftenden Ölen gesalbte Bart des Mannes. Arashin sah an dem goldenen Ring, den der Fremde an seinem bloßen Arm trug, daß er ein Tarkaan – also ein mächtiger Herr – sein mußte. Arashin warf sich auf die Knie und verbeugte sich, daß sein Bart die Erde berührte. Dabei bedeutete er Shasta, es ihm gleichzutun.

Der Fremde verlangte Unterkunft für die Nacht, was ihm der Fischer nicht abzuschlagen wagte. Obwohl sie dem Fremden das Beste dessen, was sie hatten, zum Abendessen vorsetzten, hielt dieser nicht viel davon. Wie immer, wenn der Fischer Besuch hatte, bekam Shasta ein Stück Brot und wurde aus der Hütte gejagt. Er schlief dann gewöhnlich bei dem Esel in dem kleinen strohgedeckten Stall. Aber zum Schlafen war es noch viel zu früh, und so setzte sich Shasta vor der hölzernen Hüttenwand nieder und legte sein Ohr an eine Ritze. Er wollte hören, worüber die Erwachsenen sprachen.

„Nun denn, mein Gastgeber“, sagte der Tarkaan, „mir steht der Sinn danach, deinen Jungen zu kaufen.“

„Mein Herr“, antwortete der Fischer (und Shasta vermeinte, an der schmeichlerischen Stimme ablesen zu können, welche Gier jetzt in Arashins Augen lag), „auch der höchste Preis könnte Euren Diener – so arm er auch sein mag – nicht dazu bringen, sein einziges Kind, sein eigen Fleisch und Blut, als Sklaven zu verkaufen. Hat nicht einer der Poeten gesagt: ‚Natürliche Zuneigung ist stärker als Suppe, und Nachkommen sind wertvoller als Edelsteine‘?“

„So ist es“, entgegnete der Gast ungerührt. „Aber ein anderer Poet hat gesagt: ‚Jener, der versucht, den Ehrwürdigen zu täuschen, ist im Begriff, seinen Rücken für die Peitsche zu entblößen.‘ Belade deine alten Lippen nicht mit Lügen. Dieser Junge ist nicht dein Sohn, denn deine Wangen sind so dunkel wie die meinen. Der Junge hingegen ist blond und hellhäutig, wie die verwünschten, aber schöngesichtigen Barbaren, die weit im Norden leben.“

„Wie zutreffend ist doch das Poetenwort“, antwortete der Fischer, „daß das Auge der Weisheit jeden Widerstand überwindet. Wisset denn, o mein hoher Gast, daß ich aufgrund meiner großen Armut nie geheiratet habe und kein Kind mein eigen nennen darf. Aber im selben Jahr, in dem der Tisroc – möge er ewig leben – seine erhabene und gütige Herrschaft antrat, in einer Nacht des vollen Mondes, gefiel es den Göttern, mir den Schlaf zu rauben. So erhob ich mich von meinem Lager in dieser elenden Hütte und begab mich zum Strand, um das Wasser und den Mond zu betrachten und die frische Luft zu atmen. Da hörte ich plötzlich ein Geräusch, als näherte sich ein Boot über das Wasser her. Ein gedämpfter Schrei erklang. Kurz darauf brachte die Flut ein kleines Boot an Land, in dem sich ein von Hunger und Durst ausgemergelter Mann befand, der gerade erst verschieden sein mußte, denn er war noch warm. Des weiteren enthielt es eine leere Wasserhaut und ein Kind, das noch atmete. Ohne Zweifel, sagte ich mir, sind diese Unglücklichen dem Untergang eines großen Schiffes entronnen, doch durch die wunderbare Fügung der Götter hat der Mann gehungert, um das Kind am Leben zu erhalten. In Sichtweite des Landes hat er dann den Tod gefunden. Da ich wußte, daß die Götter es nie versäumen, jene zu belohnen, die sich um die Elenden mühen, und von Mitleid ergriffen, denn Euer Diener ist ein weichherziger Mann ... “

„All diese unnützen Worte zu deinem Lob kannst du dir sparen“, unterbrach ihn der Tarkaan. „Es genügt mir zu wissen, daß du den Jungen zu dir genommen hast – und daß er dir, wie jeder sehen kann, sein täglich Brot durch seine Arbeit zehnmal vergilt. Nun sag mir, welchen Preis du für ihn haben willst, denn ich bin deiner Geschwätzigkeit müde.“

„Wie Ihr selbst in Eurer Weisheit gesagt habt“, entgegnete Arashin, „ist die Arbeit des Jungen von unschätzbarem Wert für mich. Das muß bei der Festlegung des Preises berücksichtigt werden. Denn wenn ich den Jungen verkaufe, muß ich zweifellos einen anderen kaufen oder in meine Dienste nehmen, damit er die Arbeit des Jungen verrichtet.“

„Ich gebe dir fünfzehn Kreszent“, sagte der Tarkaan.

„Fünfzehn!“ winselte Arashin. „Fünfzehn! Für den Segen meines Alters? Für meine Augenweide? Habt Respekt vor meinem grauen Bart, auch wenn Ihr ein Tarkaan seid! Mein Preis ist siebzig.“

An diesem Punkt stand Shasta auf und schlich sich auf Zehenspitzen fort. Er hatte genug gehört, denn er hatte oft gelauscht, wenn die Männer im Dorf feilschten. Er wußte, wie das ablief. Er war ziemlich sicher, daß ihn Arashin schließlich für einiges mehr als fünfzehn und einiges weniger als siebzig Kreszent verkaufen würde. Aber sicher dauerte es stundenlang, bis er sich mit dem Tarkaan geeinigt hatte.