Выбрать главу

„Seine königliche Hoheit, Prinz Cor von Archenland, wünscht eine Audienz bei Lady Aravis“, sagte der Herold. Dann traten er und der Trompeter zur Seite und verbeugten sich. Die Soldaten salutierten. Und jetzt kam der Prinz selbst herein. Seine Begleiter zogen sich zurück und schlossen hinter sich das Tor.

Der Prinz verbeugte sich. Dafür, daß er ein Prinz war, war diese Verbeugung reichlich ungeschickt. Aravis knickste und machte ihre Sache gut, denn das Knicksen hatte sie gelernt. Dann schaute sie auf und sah, was das für ein Prinz war.

Vor ihr stand ein Junge. Er war barhäuptig, und um sein blondes Haar lag ein dünner Goldreif, kaum dicker als ein Draht. Sein Waffenrock war aus weißem Batist, so hauchdünn, daß ein zweiter, leuchtendroter Waffenrock, den er darunter trug, durchschimmerte. Seine linke Hand, die auf dem emaillierten Knauf seines Schwertes ruhte, war verbunden.

Aravis schaute sich sein Gesicht zweimal an, bevor sie einen Schrei ausstieß und rief: „Ach du grüne Neune! Das ist ja Shasta!“

Shasta wurde rot bis über die Ohren und begann rasch zu reden. „Hör mal, Aravis“, sagte er. „Ich hoffe, du meinst nicht, ich hätte mich so zurechtgemacht und den Trompeter und die anderen mitgebracht, um dich zu beeindrucken oder dir zu zeigen, ich sei etwas Besonderes oder so. Ich wäre viel lieber in meinen alten Kleidern gekommen, aber man hat sie inzwischen verbrannt, und mein Vater sagte ...“

„Dein Vater?“ fragte Aravis.

„Offensichtlich ist König Lune mein Vater“, erklärte Shasta. „Das hätte ich mir ja eigentlich denken können, wo Corin mir doch so ähnlich sieht. Wir sind nämlich Zwillinge. Oh, und in Wirklichkeit heiße ich nicht Shasta, sondern Cor.“

„Cor ist ein schönerer Name als Shasta“, sagte Aravis.

„In Archenland ist das nämlich so mit den Namen von Brüdern“, erklärte Shasta, oder Prinz Cor, wie wir ihn jetzt nennen müssen. „Wie Dar und Darrin, Col und Colin und so weiter.“

„Shasta – oder vielmehr Cor“, sagte Aravis. „Nein, sei still. Ich muß dir etwas sagen. Es tut mir leid, daß ich so ein Scheusal war. Aber ich habe mich geändert, noch bevor ich wußte, daß du ein Prinz bist. Ehrlich. Schon damals, als du zurückranntest, um dich dem Löwen entgegenzustellen.“

„In Wirklichkeit wollte der Löwe dich gar nicht töten“, sagte Cor.

„Ich weiß“, nickte Aravis. Beide waren einen Augenblick lang still und ernst, denn jeder sah, daß der andere wußte, was es mit Aslan auf sich hatte.

Plötzlich fiel Aravis wieder ein, daß Cors Hand verbunden war. „Oje!“ rief sie. „Ich habe ja ganz vergessen, daß du an einer Schlacht teilgenommen hast. Bist du verletzt?“

„Es ist nur ein kleiner Kratzer“, erklärte Cor. „Nicht der Rede wert. Ich habe mir nur an den Fingerknöcheln die Haut abgeschürft, wie das jedem passieren kann, der sich ungeschickt anstellt. Dafür braucht man nicht erst an einer Schlacht teilzunehmen.“

„Immerhin warst du dabei“, sagte Aravis mit ehrlicher Bewunderung. „Aber du hast mir noch gar nicht erzählt, wie König Lune gemerkt hat, wer du bist, Shas – Cor, wollte ich sagen.“

„Komm, setzen wir uns“, schlug Cor vor, „denn es ist eine lange Geschichte. Übrigens ist mein Vater ganz phantastisch. Ich wäre genauso froh darüber gewesen, daß er mein Vater ist, auch wenn er kein König wäre – oder zumindest fast genauso froh. Obwohl ich jetzt natürlich eine Schulbildung und all dieses gräßliche Zeug über mich ergehen lassen muß. Aber du willst ja wissen, wie das Ganze passiert ist. Nun, Corin und ich waren Zwillinge. Ungefähr eine Woche nach unserer Geburt brachten sie uns zu einem weisen alten Zentauren in Narnia, damit er uns seinen Segen gab oder so etwas Ähnliches. Dieser Zentaur war ein Prophet, so wie viele der Zentauren. Hast du schon einmal einen Zentauren gesehen? In der Schlacht gestern waren ein paar dabei. Sie sind ausgesprochen beeindruckend, aber ich habe mich noch nicht so recht an sie gewöhnt. Ich sage dir, Aravis, in diesen nördlichen Ländern hier gibt es viele Dinge, an die man sich erst einmal gewöhnen muß.“

„Ja, da hast du recht“, stimmte Aravis zu. „Aber fahr mit deiner Geschichte fort.“

„Nun, gleich als dieser Zentaur uns sah, da schaute er mich an und sagte: ‚Ein Tag wird kommen, an dem dieser Junge Archenland vor der tödlichsten Gefahr erretten wird, die diesem Land jemals drohte.‘ Darüber freuten sich mein Vater und meine Mutter natürlich gewaltig. Aber einem gewissen Lord Bar, der Vaters Kanzler war, gefiel es überhaupt nicht. Offensichtlich hatte er irgend etwas angestellt – er hatte Unterschlagungen begangen, was immer das sein mag –, und Vater hatte ihn aus seinen Diensten entlassen müssen. Später hat sich herausgestellt, daß er vom Tisroc bezahlt worden war und viele geheime Informationen nach Tashbaan geschickt hatte. Als dieser Mann also hörte, ich würde Archenland aus einer großen Gefahr erretten, da faßte er den Entschluß, man müsse mich aus dem Weg räumen. Nun, es gelang ihm, mich zu entführen, wie, weiß ich auch nicht, und er fuhr mit mir den Schlängelpfeil hinunter bis zur Küste. Er hatte alles vorbereitet, und dort lag ein Schiff vor Anker, das mit seinen Anhängern bemannt war. So stachen sie mit mir in See. Sobald mein Vater von dem Komplott erfuhr, nahm er mit einem seiner Kriegsschiffe die Verfolgung auf. Sie folgten Bars Galeere sechs Tage lang, und am siebten Tag gab es eine große Seeschlacht. Gestern abend hat man mir eine Menge darüber erzählt. Sie muß von zehn Uhr morgens bis Sonnenuntergang gedauert haben, und schließlich nahmen unsere Leute das Schiff ein. Aber ich war nicht an Bord. Lord Bar selbst wurde in der Schlacht getötet. Einer seiner Männer sagte, früh am Morgen, als Lord Bar sah, daß man ihn einholen würde, habe er mich einem seiner Ritter übergeben, der mich im Beiboot wegbrachte. Von diesem Boot hat man nie eine Spur gefunden. Natürlich war es dieses Boot, das Aslan, der hinter allen Geschichten zu stecken scheint, an den Strand schob, wo Arashin saß, um mich in Empfang zu nehmen. Ich wollte, ich wüßte den Namen dieses Ritters, denn er ist verhungert, nur um mich am Leben zu halten.“

„Aslan würde vermutlich sagen, das sei nicht deine Geschichte, sondern die eines anderen“, sagte Aravis. „Ich frage mich, was es mit dieser Prophezeiung auf sich hat und vor welcher großen Gefahr du Archenland retten wirst.“

„Nun ja“, sagte Cor verlegen, „sie glauben, ich hätte es schon getan.“

Aravis klatschte in die Hände. „Aber natürlich!“ sagte sie. „Eine größere Gefahr wird Archenland wohl kaum mehr drohen als Rabadash mit seinen zweihundert Männern. Und in Archenland wußte man noch nichts davon. Bist du nicht stolz?“

„Ich glaube, ich habe ein wenig Angst“, sagte Cor.

„Und von nun an wirst du in Anvard wohnen“, sagte Aravis wehmütig.

„Oh!“ rief Cor. „Da hätte ich doch fast vergessen, warum ich gekommen bin. Vater möchte, daß du mitkommst, um bei uns zu wohnen. Bitte komm mit, Aravis. Vater wird dir gefallen – und Corin auch. Sie sind nicht wie ich; sie sind wohlerzogen. Du brauchst keine Angst zu haben ...“

„Halt den Mund!“ schalt Aravis. „Sonst bekommen wir wirklich noch Streit. Natürlich komme ich mit.“

„Komm, jetzt gehen wir zu den Pferden!“ schlug Cor vor.

Bree und Cor freuten sich riesig über das Wiedersehen. Bree, der noch immer etwas bedrückt war, willigte ein, sofort nach Anvard aufzubrechen. Am darauffolgenden Tag wollte er dann mit Hwin zusammen nach Narnia Weiterreisen. Alle vier verabschiedeten sich liebevoll von dem Einsiedler. Sie versprachen, ihn bald wieder zu besuchen. Dann machten sie sich auf den Weg. Die Pferde hatten erwartet, Aravis und Cor würden auf ihnen reiten, doch Cor erklärte, außer im Kriegsfall, wo jeder sein Bestes gäbe, ließe es sich niemand in Archenland oder Narnia träumen, ein sprechendes Pferd zu besteigen.

Das erinnerte den armen Bree wieder daran, wie wenig er über die narnianischen Gebräuche wußte und wie schrecklich er sich dort vielleicht danebenbenehmen würde. Und so wurde Bree mit jedem Schritt nervöser, während Hwin vergnügt vorwärts trabte.