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Iceni nickte nur schweigend. Eine Fähigkeit, die wir alle gemeinsam haben, ist die, zu bestimmen, wie jemand gestorben ist. Zu viele Menschen, zu viel Erfahrung. Und es ist noch immer nicht vorbei.

Die Sonde flog an den Toten vorbei und steuerte auf die Brücke zu. »Überall Vakuum«, meldete die Sonden-Controllerin. »Keine Hinweise auf Bemühungen, die Löcher im Rumpf zu schließen, damit der Druck im Inneren erhalten bleibt. Diese Luke dort wurde geöffnet, als drinnen noch Druck herrschte. Sie ist aber nicht wegen unseres Beschusses aufgegangen.«

Die Leichen auf der anderen Seite der Luke unterstrichen ihre Aussage. »Lecks in den Schutzanzügen, verursacht durch Handfeuerwaffen.«

»Wie viele von ihnen waren die Angreifer, wie viele Verteidiger?«, wollte Akiri wissen.

»Das lässt sich nicht mehr feststellen.«

Iceni unterdrückte ein Schaudern, als sie sich ausmalte, welche Szenen sich an Bord dieses Schiffs abgespielt haben mussten. Die Crewmitglieder gehen aufeinander los, inmitten der Zerstörungen durch den Beschuss von Icenis Flotte. Keiner kann dem anderen ansehen, auf welcher Seite er steht, sodass jeder Schuss Freund und Feind gleichermaßen treffen kann. Das alles in flackernden Gängen und Quartieren, während um einen herum das Schiff in Stücke geschossen wird.

»Die letzten beiden Meuterer oder die letzten beiden Loyalisten könnten sich gegenseitig umgebracht haben, ohne zu ahnen, wen sie vor sich hatten und was sie da taten«, sprach Marphissa aus, was Iceni durch den Kopf gegangen war. »Wenn da noch jemand lebt, wird er am ehesten auf der Brücke oder im Maschinenraum zu finden sein.«

»Schicken Sie die Sonde zuerst auf die Brücke«, befahl Iceni. Dort hielt sich zweifellos Kolani auf.

Die Sonde bahnte sich ihren Weg durch die Gänge, wobei sie immer wieder Trümmerteilen und Leichen ausweichen musste. Das Innenleben des Kreuzers erinnerte Iceni zunehmend an einen Albtraum, der stellenweise von Notbeleuchtung in grelles Licht getaucht wurde. In anderen Abschnitten flackerte es nervös oder war ganz ausgefallen, sodass völlige Schwärze herrschte, aus der jeden Moment eine Hand mit verkrampften Fingern auftauchen konnte, die nach etwas zu greifen versuchte, was längst nicht mehr da war. Ein zerstörtes Schiff mit einer toten Besatzung, das wirkte, als sei es einer düsteren Weltraumlegende entsprungen.

Dann tauchte ein Stück weit voraus die gepanzerte Luke auf, die auf die Brücke führte. »Diese Luke wurde ebenfalls mit Gewalt geöffnet«, erklärte die Sonden-Controllerin mit angestrengter Stimme.

Iceni betrachtete die Toten vor der Luke. »Sie haben viele Leute verloren, um ihr Vorhaben umzusetzen.« Eine Brücke galt im Fall einer Meuterei als Zitadelle für die Offiziere, also verfügte sie über aktive Verteidigungssysteme und war entsprechend gepanzert. Ein paar dieser Systeme waren vermutlich beim Beschuss durch Icenis Flotte ausgefallen, aber es waren immer noch genug Sicherheitsmaßnahmen erhalten geblieben, um diejenigen zu dezimieren, die versucht hatten, auf die Brücke zu gelangen.

»Auf der Brücke herrscht auch Vakuum.« Die Sonde näherte sich vorsichtig der Luke und übermittelte dabei die Codes, mit denen alle eventuell noch aktiven Verteidigungssysteme abgeschaltet wurden. Dann hatte der Flugkörper den Durchgang erreicht.

Von der Luke aus betrachtet sah die Brücke weitestgehend intakt aus, aber Iceni konnte auch hier Leichen ausmachen. Hatte die Brückencrew sich untereinander bekämpft? Der Senior-Agent des ISD hätte anwesend und bewaffnet sein müssen. Kolanis Offiziere hätten ebenfalls auf ihrer Seite gestanden. Aber was war mit den anderen, den Managern und Executives, die zur Crew der C-990 gehört hatten?

Aus dem aktuellen Blickwinkel war zu erkennen, dass Kolani noch im Kommandosessel saß. Sie hatte den Rücken der Luke zugewandt und trug einen Schutzanzug, dessen CEO-Kennzeichnung im Lichtschein der Sonde deutlich zu erkennen war. Aber sie bewegte sich nicht und saß völlig starr da. »Keine Lebensanzeichen«, meldete die Sonden-Controllerin. »Von keinem der Schutzanzüge werden Lebensdaten gesendet, das Infrarotbild zeigt keine Wärmequellen. Auf der Brücke müssen alle tot sein.« Die Sonde bewegte sich auf die Brücke vor, gerade als Iceni den Befehl geben wollte, dass sie nicht weiter vordringen sollte. Sie hatte in ihrem Leben schon genug schreckliche Erinnerungen angehäuft, die sie manchmal nachts schweißgebadet aus dem Schlaf hochschrecken ließen. Sie wollte nicht auch noch ständig vom Gesicht der toten Kolani verfolgt werden.

Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, ertönte ein Alarm. »Die Sonde hat irgendeinen Schaltkreis ausgelöst«, erklärte die Controllerin. »Stelle Energieanstieg fest. Irgendein Befehl scheint erteilt wor-«

Icenis Bild von der Sonde verschwand vom Display, gleichzeitig ertönte ein viel lauterer Alarm.

»Überladung der Antriebseinheiten der C-990«, meldete Marphissa mit gesenkter Stimme. »Das muss eine Falle gewesen sein. Wenn jemand die Brücke betritt, wird die Zerstörung des Schiffs ausgelöst. Wir befinden uns am Rand der Gefahrenzone, also stellt die Explosion für uns keine Bedrohung dar.«

Icenis Blick ruhte unverändert auf der Stelle, an der sie eben noch das von der Sonde übertragene Bild gesehen hatte. Das war eindeutig Kolanis Werk gewesen, davon war sie überzeugt. In den letzten Minuten ihres Lebens hatte sie noch schnell eine Falle gestellt für alle, die sich an ihrer Niederlage erfreuen wollten. Vielleicht hatte Kolani sogar darauf gehofft, dass es Iceni persönlich sein würde, die ihrem Leichnam gegenüberstand. Tja, da muss ich Sie leider enttäuschen. »Rufen Sie die Flotte zusammen, und dann kehren wir zum Planeten zurück. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas von der C-625 oder irgendeiner anderen Einheit am Gasriesen hören.«

Sie waren rund sechs Lichtminuten vom Planeten entfernt, sodass Informationen mit leichter, aber erträglicher Verspätung bei ihnen eintrafen. Iceni schloss die Augen und rieb sich die Stirn, dann sah sie nach, ob von Drakon eine Nachricht eingegangen war.

Tatsächlich waren sogar etliche Nachrichten von ihm aufgelaufen. Als Iceni sich die ersten davon ansah, wurde sie auf einmal von einer beängstigenden Vision heimgesucht, dass die Verwüstung und das Morden an Bord der C-990 nur ein Prolog für das gewesen war, was sich auf dem Planeten abspielte.

»Die Leute müssen Sie sehen«, beharrte Malin.

»Wenn er sich zu den Massen begibt«, gab Morgan zurück, »dann ist er so gut wie tot.«

Wie üblich hatten sowohl Malin als auch Morgan stichhaltige Argumente zur Hand. Drakon warf einen Blick auf die aktuellen Berichte, die in etlichen Komm-Fenstern übertragen wurden. Er sah zögerliche Polizisten und noch viel zögerlichere Regierungsvertreter, die sich in kleinen Gruppen durch die gewaltigen Massen der Feiernden bewegten. Ihnen folgten Züge von Soldaten, wiederum gefolgt von weiteren Mannschaften, die die Vorausgehenden aufmerksam beobachteten.

Hier und da kam es zu kurzen Gewaltausbrüchen, wenn jemand versuchte, in ein Geschäft einzubrechen und er vom schnellen, brutalen Einsatz nicht tödlich wirkender Reizstoffe zurückgetrieben wurde. Wenn das alles nichts half, wurde umgehend das Feuer auf die betreffende Person eröffnet. Das waren jedoch seltene Einzelfälle, zumal die überwiegende Mehrheit der Feiernden für Gesetzesbrecher nicht viel übrig hatte. Ein über Generationen hinweg eingetrichterter Gehorsam vor Autoritätspersonen konnte nicht über Nacht abgelegt werden; erst recht nicht, wenn diese Autoritätspersonen auf den Straßen unterwegs waren und rigoros gegen jeden vorgingen, der gegen ein Gesetz verstieß.

Trotzdem war da ein beharrliches, für Drakon aber unbestimmbares Gefühl, dass sich die Situation auf Messers Schneide bewegte. Die Stimmung der Massen war ausgelassen und fröhlich, mit einem Anflug von Unbekümmertheit und Verantwortungslosigkeit, aber das konnte von einem Moment auf den anderen umschlagen.