»Die Bedeutung des Glücks habe ich nie unterschätzt«, sagte Iceni. »Ich unterschätze auch nicht den Wert der Leute, die mich nicht verraten, obwohl sie die Gelegenheit dazu haben.«
Drakon lachte auf. »Wenn es einem von uns darauf angekommen wäre, hätte jeder von uns mehr als genug gegen den anderen in der Hand gehabt.«
»Ich hätte Ihnen nichts nachweisen können, das auch nur annähernd so gravierend war wie meine Vereinbarung mit Black Jack.«
»Ja«, stimmte er ihr zu. »Ein Handel mit der Allianz hätte den Schlangen ganz sicher nicht gefallen.«
»Den Handel habe ich mit Black Jack geschlossen, nicht mit der Allianz«, stellte sie klar.
»Wo ist da der Unterschied?«
»Das weiß ich momentan selbst nicht so genau«, musste Iceni eingestehen. »Auf jeden Fall war die Abmachung das Risiko wert. Wir mussten Gewissheit haben, dass Black Jack nicht auf einmal hereinplatzt und die Haltung der Syndikatwelten unterstützt. Außerdem musste ich andeuten können, dass unser Handeln seinen Rückhalt genießt. Es ist von unschätzbarem Wert, erklären zu können, dass Black Jack weiß, was wir tun, dass er sich nicht einmischen wird und auch eine Einmischung Dritter nicht dulden wird.«
»Ist das exakt das, womit Black Jack sich einverstanden erklärt hat?«, wollte Drakon wissen.
Ohne zu zögern lächelte sie und antwortete: »Natürlich.«
»Das sind ziemlich gewichtige Zugeständnisse, die er da gemacht hat. Ich frage mich, warum er so schnell dazu bereit war.«
Dieses Mal hob sie die Schultern. Sie hatte nicht vor, Drakon zu verraten, dass sie in ganz erheblichem Maß übertrieben hatte, was Black Jacks Rückhalt ihrer Aktionen anging. »Vielleicht hatte er ja diesen Mechanismus wirklich so dringend nötig, um zu verhindern, dass irgendwelche Hypernet-Portale kollabieren. Vielleicht wollte er auch nur für spätere Zeiten etwas gegen uns in der Hand haben. Damit können wir uns immer noch befassen, wenn es notwendig wird. Erst mal haben wir uns unserer Herren und Meister entledigt. Egal, was die Regierung auf Prime plant, es wird eine Weile dauern, bis wir eine Reaktion zu sehen bekommen. Das verschafft uns jetzt erst einmal Luft.«
»Das tut es ganz sicher nicht«, widersprach er und deutete mit einer vagen Geste auf das, was sich draußen abspielte. »Momentan sind die Bürger zufrieden und glücklich, aber ich hatte verdammt viel Arbeit damit, zu verhindern, dass die öffentliche Ordnung zusammenbricht. Unsere eigene Bevölkerung droht, sich gegen uns zu erheben, wenn wir nicht richtig mit ihr umgehen. Dass wir die Rebellion selbst in die Hand genommen haben, war unsere einzige Chance, aber ich glaube, das Prinzip ›gleiche Führer, gleiche Regeln, andere Titel‹ wird nicht lange durchhalten, weil die Bürger dieses Spiel im Handumdrehen durchschauen werden.«
Iceni zog die Brauen zusammen. »Wir haben die Werkzeuge und die Taktiken, die die Schlangen zurückgelassen haben. Wir können jeden eliminieren, der versuchen sollte, die Bevölkerung gegen uns aufzuhetzen.«
»Damit sind die Schlangen und die Syndikatwelten lange Zeit gut gefahren, bis dann auf einmal Schluss war«, betonte Drakon. »Ich kann jeden Unruhestifter identifizieren. Mit der Überwachungssoftware ist es ein Kinderspiel, jeden Rädelsführer anhand seiner Kommunikationsmuster ausfindig zu machen. Und ich werde diese Leute dingfest machen, sobald sie irgendwo auftauchen. Aber sie werden dazulernen. Wie viele verschiedene Methoden kennen Sie und ich, mit denen wir uns der Überwachung durch die Schlangen entzogen haben?«
»Zu viele.«
»Sie und ich, wir beide wissen, wie viele Aktivitäten sich im Untergrund abspielen. Wir wissen, es existiert für alles und jedes ein Schwarzmarkt. Wenn sich ein Widerstand bildet, der sich dieser Techniken bedient, dann wird es verdammt schwer werden, diese Leute aufzuspüren. Wir benötigen zumindest die passive Unterstützung der Mehrheit der Bürger, damit eine Rebellion gegen uns keinen Zulauf erfährt.«
»Wir haben die Kriegsschiffe«, warf Iceni ein. »Die sind der Hammer, mit dem wir zuschlagen können, um die Kontrolle über dieses Sternensystem zu behalten.«
»Ein großer, breiter Hammer. Mit den Kriegsschiffen können wir ganze Städte auslöschen, wenn die Situation außer Kontrolle gerät, aber eine solche Methode sorgt nicht für Begeisterung bei der Bevölkerung, und außerdem gehen uns irgendwann die Städte aus.« Er deutete auf ein Display an einer Wand des Raums, in dem er saß. Es zeigte Bilder von einem Berg nahe einem See auf einem sehr entfernten Planeten. »Das ist aus dem Baldur-Sternensystem.«
»Davon habe ich gehört, aber ich war noch nie dort. Die Schönheit dieser Welt soll atemberaubend sein.«
»Das ist richtig«, sagte Drakon. »Aber wenn ich jetzt dieses Bild ansehe, dann frage ich mich, ob dieser Berg und der See noch existieren oder ob das alles durch ein orbitales Bombardement in eine tote Kraterlandschaft verwandelt worden ist. Wir wissen: Das System des Syndikats ist fehlgeschlagen. Das konnte sich jeder denken, als die Allianz-Flotte auf einmal dieses Sternensystem durchquerte und uns wissen ließ, dass der Krieg vorüber war.« Er schnaubte verächtlich. »Unsere eigene Regierung, diese ach so großartigen Syndikatwelten, konnte uns nicht sagen, dass sie verloren hatte. Nein, da musste erst der Feind herkommen und uns das erzählen. Und dann vernichtete dieser Feind auch noch gleich ein paar von diesen Enigma-Schiffen, die uns unverwundbar vorkamen, obwohl wir Jahrzehnte damit verbrachten, irgendetwas über diese Enigmas herauszufinden. Die Allianz benötigte nur ein paar Monate, um dahinterzukommen, wie man die Aliens in die Flucht schlagen kann.«
»Die Allianz hat Geary«, wandte Iceni mit sanfter Stimme ein. »Black Jack.«
»Black Jack.« Drakon schüttelte den Kopf. »Ich hatte nie an diese Berichte glauben können, er sei von den Toten zurückgekehrt.«
»Aber er ist zurückgekehrt«, sagte sie. »Ich habe mit ihm gesprochen. Es ist kein Trick. Vielleicht hat er uns einen Gefallen getan.«
»Indem er der Regierung der Syndikatwelten den Boden unter den Füßen weggezogen hat? Ja, vielleicht. Diese Unternehmensautokratie hat ihre Existenz immer damit gerechtfertigt, dass sie allen anderen Systemen überlegen ist, vor allem dem mangelhaften System der Allianz.« Drakon warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Ich bin gespannt, welche Argumente die Überreste der Regierung vorbringen werden, warum wir einen hundert Jahre andauernden Krieg nicht gewinnen konnten und wieso jemand, der seit hundert Jahren für tot gehalten wurde, uns im Handumdrehen den Krieg verlieren lässt. Sind Sie sich ganz sicher, dass Black Jack nicht hierher zurückkehren und versuchen wird, uns seinem Imperium einzuverleiben?«
Iceni senkte für einen Moment den Blick und dachte zurück an die Mitteilungen, die sie von Black Jack erhalten hatte. »Sicher kann ich mir natürlich nicht sein, aber er machte auf mich einen authentischen Eindruck. Ein Offizier des Militärs, der einfach seinen Job erledigt. Entweder ist er das auch, oder er ist der beste Betrüger, den ich je erlebt habe.«
»Er muss doch irgendwelche Absichten verfolgen.«
»Wäre er einer von uns, würde ich das auch annehmen.« Sie sah Drakon wieder an. »Apropos ›einer von uns‹. Falls ich das noch nicht deutlich gemacht habe, wir brauchen uns nach wie vor gegenseitig. Wenn Sie versuchen sollten, mich zu hintergehen, dann könnte Ihnen das zwar möglicherweise gelingen, aber auch wenn die Schlangen nicht mehr da sind, werden Sie mit mir untergehen. Nur damit Sie das wissen.«
Drakon lächelte, doch sein Tonfall und sein Mienenspiel verrieten nichts darüber, was in dem Mann vor sich ging. »Zu der Erkenntnis bin ich auch gelangt. Ich habe die Kontrolle über die Bodenstreitkräfte hier und überall sonst im System, und Sie kontrollieren die mobilen Streitkräfte.« Dabei beschrieb er mit einer Hand eine Geste, als würde er mit einer Waffe auf ihren Kopf zielen.