Sie ahmte die Geste nach und erwiderte: »Dann wollen wir hoffen, dass keiner von uns so dumm ist, den anderen dazu zu zwingen, dass er den Abzug betätigt.«
»Welches Versprechen muss ich Ihnen geben, damit Sie sich sicher genug fühlen, um auf die Oberfläche zurückzukehren?«
»Ihre Versprechen bedeuten gar nichts.« Wieder musterte sie Drakon und wünschte, sie wüsste mehr über den Mann. »Aber ich habe die Kontrolle über die mobilen Streitkräfte, und ich sage Ihnen, wenn mir etwas zustößt, wird ein Totmannschalter aktiviert, und der löst automatisch ein Programm aus, damit alle an Bord befindlichen kinetischen Projektile auf den Planeten abgeworfen werden.«
»Das würde mir gar nicht gefallen.«
Sie konnte Drakon nicht anmerken, ob er ihr glaubte oder nicht. Tatsache war, dass sie noch keine Gelegenheit gehabt hatte, ein solches Programm zu installieren. Aber es genügte, dass Drakon es glaubte oder zumindest nicht mit Gewissheit sagen konnte, dass eine solche Vorsichtsmaßnahme nicht existierte, mit der ihr Tod vergolten werden sollte. »Mir auch nicht. Ich bin froh, dass wir uns verstehen. Ich denke, wir sollten schnellstens eine Besprechung unter vier Augen an einem sicheren Ort abhalten. Wo können wir uns treffen?«
Drakon überlegte einen Moment lang. Sie wusste, was ihm so zu denken gab. Wenn er in ihr Büro kam, würde es den Eindruck erwecken, dass sie höherrangig war als er. Aber wenn sie sich in sein Hauptquartier begab, um mit ihm zu reden, dann würde man meinen, er habe das Sagen.
»Zwischen Ihrem Büro und meinem Hauptquartier existieren etliche sichere Konferenzräume, die von den Schlangen eingerichtet wurden«, entgegnete er schließlich. »Wir haben uns da bereits umgesehen, ob sich irgendwo Schlangen versteckt halten, aber ich werde veranlassen, dass sie noch einmal nach Spionageausrüstung der Schlangen und nach Sprengfallen durchsucht werden. Wäre das für Sie annehmbar?«
Es bedeutete zwar, sich darauf verlassen zu müssen, dass Drakons Leute auch wirklich ordentlich arbeiteten, aber sie würde sich von ihren Leibwächtern begleiten lassen, die alle verborgene Ausrüstung bei sich trugen, mit der sich vielerlei Gefahren entdecken ließen. Sie dachte sekundenlang darüber nach und nickte schließlich. »Also gut, ich werde Ihnen Bescheid geben, wenn ich gelandet bin.«
Als Iceni das Shuttle verließ, erblickte sie Togo und einige ihrer Leibwächter, die am Fuß der Rampe standen. Deutlich weiter entfernt sah sie Soldaten und Militärfahrzeuge, die den Landeplatz umgaben. »Warum sind die hier?«, fragte sie.
Togo zuckte mit den Schultern. »Die dienen der Sicherheit und sollen die Menschenmengen zurückhalten. Sagen sie jedenfalls. Bislang haben sie uns in keiner Weise behindert.«
»Mal sehen, ob das so bleibt.« Zumindest war Drakon so rücksichtsvoll gewesen, seine Leute weit genug vom Shuttle entfernt zu postieren, dass nicht der Eindruck entstand, die Soldaten wären hier, um sie zu kontrollieren.
Sie ging auf ihre Offiziere zu. »Wie sieht es aus?«
Hätte Togo Es ist alles in bester Ordnung sagen wollen, wäre das die ideale Gelegenheit dafür gewesen. »Es könnte schlimmer sein.«
Da ein paar der Barrieren rund um den Landeplatz zur Seite geräumt wurden, konnte Iceni die Menschenmassen sehen, die immer noch die Straßen bevölkerten. Den von ihnen ausgehenden Lärm hatte Iceni bis dahin nur als ein Summen im Hintergrund wahrgenommen. In dem Moment, da die Leute Iceni sehen konnten, schwoll er an. Nach einem Augenblick nervöser Anspannung fiel ihr auf, dass sie Jubelrufe hörte. »Meinetwegen?«
»Sie gehören zu den Befreiern, CEO Iceni«, erwiderte Togo mit todernster Miene. »Die Bürger freuen sich, weil sie es Ihnen zu verdanken haben, dass die mobilen Streitkräfte nicht länger eine Bedrohung darstellen, sondern jetzt über ihre Sicherheit wachen.«
Von einem albernen Impuls angetrieben hob Iceni eine Hand und winkte der Menge zu, woraufhin der Jubel noch lauter wurde. Es tat gut, aber es hatte auch etwas Beängstigendes. »Drakon nennt sich inzwischen General. Ich benötige auch einen neuen Titel. Mit einem CEO verbindet man zu viel Schlechtes, und es klingt nach den Syndikatwelten.«
Togo zog sein Handpad hervor, während sie losgingen. Die Leibwächter folgten mit dezentem Abstand. Er tippte eine Anfrage ein und stutzte, als er das Ergebnis sah. »Es gibt viele denkbare Alternativen. Königin?«
»Eine gute Stellenbeschreibung, aber die könnte von den Bürgern als etwas zu autokratisch aufgefasst werden.«
»Es ist nicht nötig, mit dem Titel auch gleich Ihre Absichten zu vermitteln«, stimmte Togo ihr zu. »Gouverneur?«
»Klingt zu sehr nach einem Untergebenen.«
»Premierminister?«
»Der Minister, der über anderen Ministern steht? Nein, ich stehe allein da, nicht über anderen.«
Togo schaute wieder aufsein Pad. »Der Boss.«
»Was?«, fragte sie.
»Der Boss. Archaisch. Sehr archaisch sogar.«
»Und eindeutig nicht ich«, ergänzte sie.
»Der Obermacker … der große Kahuna …«
»Erfinden Sie das gerade alles, oder steht das wirklich da?«
»Ich lese nur vor, was hier steht, Madam CEO. Wie wäre es mit Zarin? Kaiserin? Cäsar? Die beiden ersten leiten sich vom letzten ab.« Er zog die Stirn in Falten. »Alles steht für einen absoluten Herrscher. Führer, Khan, Scheich, Pascha, Sultan, ›Die, der Gehorsam gebührt‹ …«
»Das Letztere gefällt mir.«
»Und es passt«, pflichtete Togo ihr bei. »Aber die Bürger könnten dann glauben, dass Sie nur Ihre Bezeichnung geändert haben, aber eigentlich planen, so weiter zu herrschen wie bislang als CEO.«
»Das sollen sie natürlich nicht glauben, nicht wahr?«, fragte sie.
»Wie wäre es mit Präsidentin? Oder Erste Bürgerin?«
»Ersteres könnte eine Möglichkeit sein. Wie wird man Präsidentin?«
Togo rief die Definition auf. »Präsident beschreibt eine herausragende Position, die keinen Rückschluss auf die Quelle der Autorität zulässt. Der Titel wird für Führungspersönlichkeiten verwendet, die über totale Diktaturen ebenso herrschen wie über so populistische Gesellschaften, dass sie nur noch einen Schritt von völliger Anarchie entfernt sind. Präsidentin könnte ein guter Titel für Sie sein.«
»Präsidentin Iceni«, sprach sie den Titel laut aus. »Oder einfach nur ›die Präsidentin‹, da es ja keine anderen gibt. Das gefällt mir.«
»Darf ich Ihnen als Erster zu Ihrem Titel gratulieren, Präsidentin Iceni?«, gab Togo zurück. »Ja, das dürfen Sie. Kommen Sie, wir gehen zu General Drakon.«
Die gesicherten Konferenzräume befanden sich in einem unscheinbaren Bürogebäude, hinter dessen nichtssagender Fassade der ISD aktiv gewesen war. Am Eingang gab es nur eine Hausnummer, aber kein Türschild, das auf den ISD hinwies, sodass auch tausend andere Unternehmen hier ihren Verwaltungssitz unterhalten könnten. Nach außen hin hatte sich der ISD schon immer so zwiegespalten präsentiert. Da waren auf der einen Seite die allgegenwärtigen und für jeden sichtbaren Überwachungssysteme, die Hauptquartiere und die regionalen Kommandozentren, deren immense Dimensionen ein deutlich sichtbares Symbol für die Macht und Präsenz der Schlangen waren. Auf der anderen Seite wurden untergeordnete Einrichtungen irgendwo versteckt, wo niemand mit ihnen rechnete, und es gab andere Überwachungssysteme, die sich nur mit der neuesten und besten Ausrüstung aufspüren ließen. Die Bürger der Syndikatwelten hatten immer gewusst, dass der ISD unter ihnen war, aber wo genau, das hatte keiner von ihnen sagen können; und genau daraus war die so wirkungsvolle Kombination aus berechtigter Angst und purer Paranoia entstanden.
In den Büros selbst hatten die Schlangen dagegen an nichts gespart. Iceni ging an der Plüschgarnitur vorbei und blieb vor einem von der Decke bis zum Boden reichenden virtuellen Fenster stehen, das den Ausblick auf einen traumhaften Sandstrand erlaubte. Es kam ihr so vor, als begänne tatsächlich nur einen Schritt von ihr entfernt der Strand, während sie von der anderen Seite durch ein reales Fenster das gedämpfte rhythmische Meeresrauschen hörte. Die Primärwelt des Midway-Sternensystems, üblicherweise ebenfalls Midway genannt, besaß viele Strände, jedoch war der nächstgelegene immer noch über zwanzig Kilometer von diesem Gebäude entfernt. Iceni bezweifelte, dass dieses virtuelle Fenster tatsächlich jenen Küstenstreifen zeigen sollte. Der Stand der Sonne schien um rund eine Stunde verschoben, zudem hatte der Küstenstrich etwas von einem Archipel, einem von vielen, die die Oberfläche von ganz Midway überzogen. Vielleicht handelte es sich ja um ein Bild jener Inselketten, die vom ISD zur verbotenen Zone erklärt worden waren, damit die Schlangen dort ungestört Urlaub machen und unter sich sein konnten. Der kleine Kontinent, auf dem sich die Stadt befand und der die einzige andere Landmasse auf dem Planeten darstellte, verfügte über etliche schöne Strände. Die wurden aber fast immer von Touristen bevölkert, da sie eines der wenigen Erholungsgebiete für die einfachen Bürger darstellten, bei denen die Syndikatwelten keine Möglichkeit gefunden hatten, den Zugang zu beschränken.