Black Jack musste diese hundert Jahre im Kälteschlaf verbracht haben, überlegte Drakon, immerhin wirkte er nicht auffallend gealtert. Hatte die Allianz ihn tatsächlich bei der Schlacht von Grendel verloren? In unbestätigten Geheimdienstberichten war davon die Rede gewesen, dass Black Jack in einer beschädigten Rettungskapsel überlebt habe. Oder hatte die Allianz ihn vielleicht vorsätzlich auf Eis gelegt und Jahrzehnt um Jahrzehnt gewartet, bis sie den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielt, um ihn aufzutauen, weil die Lage so verzweifelt war, dass man keinen anderen Ausweg mehr sah? So etwas hätten die Syndikatwelten mit einem überlebensgroßen Helden gemacht, der in der Lage gewesen war, es mit der Allianz aufzunehmen. Die Allianz-Regierung behauptete zwar von sich, anders zu sein als die der Syndikatwelten, aber ob das stimmte, stand auf einem ganz anderen Blatt.
Morgan saß schweigend da, bis sie sich Drakon zuwandte und ihn wieder anlächelte. »Ich könnte an ihn rankommen. So wie sich Rogero diese Allianz-Befehlshaberin geangelt hat. Wenn Black Jack zurückkehrt, werde ich ihm eine Nachricht zukommen lassen. Irgendwas mit Heldenverehrung. Und mit weiblicher Bewunderung. Er wird anbeißen.«
Drakon sah ihr in die Augen und bemerkte dabei, wie sie es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Ihr hautenger Anzug betonte jedes Detail ihres Körpers, und es war diese Kombination aus Schönheit und Bedrohung, die sie so anziehend machte. Damit konnte sie jeden Mann zum Wahnsinn treiben, und Morgan wusste das nur zu gut. »Black Jack könnte bereits eine Frau haben. Es gibt Gerüchte in dieser Richtung.«
»Aber keine Frau wie mich«, sagte sie, zwinkerte ihm zu und stand auf. »Einen Versuch ist es wert, nicht wahr?«
Er versuchte, den Vorschlag ganz vernünftig abzuwägen, verspürte aber einen Anflug von Eifersucht, als er daran dachte, Morgan könnte etwas mit Black Jack anfangen. Er gab sich Mühe, das Ganze nüchtern zu betrachten. Sie würde Black Jack in der Hand haben, sie würde an Informationen darüber kommen, was er vorhatte. Man konnte gar nicht genug betonen, wie unschätzbar wertvoll derartige Informationen wären. »Vielleicht ja. Haben Sie sonst noch was herausgefunden?«
»Nein. Falls es von den Schlangen noch irgendwelche Schläfer gibt, befinden sie sich eindeutig nicht in den Führungspositionen der Bodenstreitkräfte«, erklärte Morgan entschieden.
Das waren gute Neuigkeiten. Wenn jemand Schläfer ausfindig machen konnte, dann Morgan.
Sub-CEO Akiri erfuhr nicht mehr, wer oder was seinen Tod gewollt hatte.
Die Attentäterin, die alle Alarmanlagen und Schlösser überwunden hatte, stach einen Nervenparalysator in Akiris Hals, dann wartete sie einen Moment, bis sie Gewissheit hatte, dass ihr Opfer tatsächlich tot war. Schließlich machte sie sich auf den Weg zu ihrem nächsten Ziel.
Mehmet Togo, der mit schärferen Instinkten ausgestattet war (oder der womöglich den Schutz seiner Wächtervorfahren genoss, die er insgeheim weiter angebetet hatte, auch wenn die Syndikatwelten offiziell jedem davon abrieten, solchen »Aberglauben« zu betreiben), wachte in dem Moment auf, als die Attentäterin sein Schlafzimmer betrat. Er griff nach seiner Waffe und rollte sich vom Bett, gleichzeitig feuerte er einen Schuss ab. Ungerührt sah er mit an, wie die Angreiferin nach hinten geworfen wurde und dann reglos liegen blieb. In seiner Eile hatte er den Eindringling getötet, anstatt ihn nur außer Gefecht zu setzen. Das war ein unverzeihlicher Fehler, weil er nun von der Attentäterin keine Antworten mehr erhalten würde.
Das Leben von Sub-CEO Marphissa blieb erhalten, da sie an der Luke zu ihrem Quartier einen nichtautorisierten Alarm montiert und den Bordelektriker bestochen hatte, damit er diese Anlage geflissentlich übersah. Der stumme Alarm weckte Marphissa gerade noch rechtzeitig, dass sie nach der Handfeuerwaffe greifen konnte, die sie – wie jeder umsichtige CEO, Sub-CEO und Executive der Syndikatwelten – für den Fall in ihrer Nähe aufbewahrte, dass jemand seiner eigenen Beförderung nachhelfen wollte. Als der Attentäter die reguläre Alarmanlage überwunden hatte und ihr Quartier betrat, verpasste Marphissa ihm einen gezielten Schuss in die Brust. Auch wenn die Vorschriften von ihr verlangten, dass jeder Eindringling nur handlungsunfähig gemacht werden sollte, damit man ihn ausgiebig verhören konnte, ließ sie noch drei Schüsse folgen, die ihn trafen, als er gegen das Schott geschleudert wurde.
Die Vorschriften waren ihr völlig egal. Sie wollte dem Angreifer keine Chance geben, sich nach dem ersten Treffer doch noch aufzurappeln und seinen Auftrag zu erledigen.
Die Nachricht von Sub-CEO Marphissa ging bei Iceni ein, gerade als Togo ihr Bericht erstattete. »Ich habe alle mobilen Streitkräfte alarmiert, aber wie es scheint, gab es nur diesen einen Attentäter«, sagte Marphissa. »Sonst wurde niemand entdeckt, und es ist auch niemand ermordet worden. Somit war ich entweder das erste oder das einzige Opfer. Ich glaube nicht, dass es sich um einen … routinemäßigen … Attentatsversuch gehandelt hat.«
»Das sehe ich auch so«, stimmte Iceni ihr zu. »Wir hatten hier unten auch einen Zwischenfall. Allerdings hatte Sub-CEO Akiri nicht so viel Glück wie Sie.«
»Jemand hat mich und Sub-CEO Akiri töten wollen?«
»Ganz genau, und das auch noch in der gleichen Nacht.« Iceni sah zu Togo. »Konnten meine Leibwächter jemanden im Inneren des Gebäudes finden?«
»Nein, Madam Präsidentin. Ich habe bereits analysiert, wie die Attentäterin in den Komplex eingedrungen ist, und danach hat es den Anschein, dass sie Ihr Privatquartier nicht hätte erreichen können. Die Mittel, mit denen sie ausgerüstet war, um die Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden, hätten nicht genügt, um diese Verteidigungsmechanismen außer Kraft zu setzen.«
»Gut. Konnten Sie den Attentäter an Bord Ihres Kreuzers identifizieren, Sub-CEO Marphissa?«
Marphissa schnaubte wütend. »Er ist völlig unbekannt. Weder gehört er zur Crew noch taucht er auf irgendeiner Liste der mobilen Streitkräfte auf. Aber wir sind weit von jeder bemannten Orbitaleinrichtung entfernt. Niemand konnte sich aus größerer Entfernung dieser Einrichtung nähern, ohne dabei entdeckt zu werden.«
Togo sprach mit ruhiger Stimme: »Unsere Attentäterin ist ebenfalls unbekannt. Keine registrierte Identität passt auf sie, weder bei den Bodenstreitkräften noch bei den mobilen Streitkräften. Und als Zivilperson taucht sie auch nirgends auf.«
»Wie soll das möglich sein?«, wunderte sich Marphissa. »Die Überwachungssoftware des ISD hätte die Anwesenheit jeder Person registrieren müssen, zu der es keine Datei gibt, selbst wenn sie zuvor noch nie hier aufgetaucht wäre. Ich weiß das. Jemand wie diese Attentäter hinterlässt ein Loch, eine Stelle, an der jemand etwas tut, der sich aber dem Anschein nach gar nicht dort befindet. Das ist, was der Software auffällt.«
»Die Attentäterin kann auf vielerlei Wegen hergekommen sein«, wandte Iceni ein.
»Sub-CEO Marphissa hat allerdings recht. Die Mörderin muss über Helfer verfügt haben, wenn es ihr gelungen ist, auf dem Planeten nicht aufzufallen«, betonte Togo. »Und zwar hochrangige Helfer.«
Iceni sah ihn forschend an. »Sind Sie bereit, diesen Helfern Namen zu geben?«
»Ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir von General Drakon keine Meldung über Attentäter erhalten haben, die letzte Nacht versucht hätten seinen Stab zu ermorden, Madam Präsidentin. An den Standorten der Bodenstreitkräfte gab es weder einen Alarm noch irgendwelche anderen ungewöhnlichen Aktivitäten.«
Das konnte als belastender Beweis ausgelegt werden. Iceni war jedoch davon überzeugt, dass Drakon wusste, wie man ein solches Attentat erfolgreich verübte. Man suchte sich jemanden aus den eigenen Reihen, der entbehrlich war und bei dem es einem nichts ausmachte, auf ihn verzichten zu müssen. Dann ließ man ihn zur gleichen Zeit ermorden, zu der die Attentäter beim Gegner in Aktion traten. So hatte man eine Art von Alibi und konnte zugleich eigenen Ballast loswerden. Dabei handelte es sich um eine grundlegende CEO-Taktik. Wenn sie Drakon auch nur annähernd richtig einschätzte, dann war er nicht so dumm, sie und ihre Leute in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ausschalten zu wollen, während er selbst allzu offensichtlich von einem Attentat verschont blieb. »Wie sollte General Drakon einen Killer auf Sub-CEO Marphissas Kreuzer gebracht haben? Sub-CEO, Sie sagten doch, dass Ihr Attentäter nur von einem der Kriegsschiffe in der unmittelbaren Umgebung gekommen sein kann, richtig?«