Oder ist das alles nur gespielt?
Drakon ging zielstrebig zurück zu seinem Hauptquartier und bemerkte die Bürger kaum, die ihm hastig Platz machten; diesmal jedoch nicht aus Angst, sondern mit Freude und Elan. Er wünschte, er könnte den Leuten glauben, dass ihre Gefühle echt waren, aber über die Jahrhunderte hinweg hatten die Menschen auf jeder Ebene der Syndikat-Gesellschaft die Fähigkeit entwickelt, ihre wahren Gefühle für sich zu behalten und stattdessen jene Gefühle zur Schau zu stellen, von denen sie glaubten, dass andere sie bei ihnen sehen wollten.
Ganz so wie die CEOs. Er wünschte, er könnte glauben, dass Iceni ihre Worte ernst meinte.
Warum habe ich ihr das von Malin und Morgan gesagt? Gut, ich habe weder Namen noch Details genannt, aber ich habe enthüllt, dass es in meinem Stab ein Problem gegeben hat. Das ist genau das, was andere CEOs wissen wollen, weil sie dann versuchen können, Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zu ihrem Vorteil zu nutzen. Warum habe ich Iceni anvertraut, dass es einen möglichen Riss in meiner Verteidigung gibt, den sie sich zunutze machen kann?
Aber vielleicht hielt sie das Ganze auch für eine Falle, damit er feststellen konnte, ob sie einen Schritt in diese Richtung unternahm.
Ich wollte ihr sagen, dass es mir leidtut, weil ich meinen Job nicht ordentlich gemacht habe. Ich habe einen Fehler gemacht. Was ich über die Jahre bei meinen Vorgesetzten am meisten gehasst habe, war ihre Unfähigkeit zuzugeben, wenn sie etwas falsch gemacht hatten. Aber das ist wohl immer einer der Grundpfeiler der Syndikatwelten gewesen, dass man niemals einen Fehler zugab. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Regierung das jemals gemacht hat. Nicht mal, als Black Jack auf einmal mit einer ganzen Flotte vor der Tür gestanden hatte. Selbst da noch wäre der damalige Oberste Rat lieber tot umgefallen als zuzugeben, dass man dem einen oder anderen Irrtum erlegen war. Und deshalb sind sie alle tot umgefallen, wenn auch nicht aus freien Stücken. Aber ich bezweifle, dass der neue Haufen auf Prime auch nur einen Hauch besser sein wird.
Schließlich sind das alles CEOs.
Obwohl … Iceni ist auch ein CEO.
Und ich ebenfalls.
Kann man wirklich alles Eingefahrene über Bord werfen und auf einmal umdenken? Ich musste nie umdenken, weil ich mich für die linientreue Denkweise interessiert habe. Deshalb hat es mich ja auch in dieses System verschlagen, weil ich nicht egoistisch genug war. Weil ich nicht das Leben von Untergebenen abschreiben wollte, nur um selbst befördert zu werden. Und Iceni hat man ebenfalls hierher ins Exil geschickt, weil sie illegale Aktivitäten gemeldet hat, anstatt für sich selbst ein Stück vom Kuchen abzuschneiden. Keiner von uns ist für das System des Syndikats wirklich geschaffen.
Malin hat recht, wenn er sagt, dass die Unfähigkeit, Fehler einzugestehen, letztlich bedeutet, nicht aus den eigenen Fehlern lernen zu können. Ich kann auf genügend Erfahrung zurückblicken, die das belegt.
Vielleicht ist es ja gut, dass ich Iceni gegenüber die Sache mit Malin und Morgan angeschnitten habe. Auch wenn ich zumindest bewusst gar nicht vorhatte, ihr eine Falle zu stellen, ist doch genau das daraus geworden. Wenn Iceni versucht, ohne mein Wissen mit Malin oder Morgan Kontakt aufzunehmen, kann ich davon ausgehen, dass die beiden mich darauf aufmerksam machen werden.
Und dann weiß ich ein kleines bisschen mehr über Iceni und muss entscheiden, was ich als Nächstes tun werde.
Acht
Ein Display, das die Sterne der näheren Umgebung zeigte, schwebte mitten über dem Konferenztisch, aber Iceni sah gar nicht hin. Sie schien in ihre Gedanken vertieft zu sein und starrte so abwesend auf das virtuelle Fenster mit dem idyllischen Strand, als würde sie nicht mal das richtig wahrnehmen.
»Was gibt es?«, fragte Drakon schließlich. »Sie wollten sich auf neutralem Boden mit mir treffen, ohne Berater und Adjutanten, nur Sie und ich.«
Sie atmete langsam ein, als würde sie allmählich von weit her ins Hier und Jetzt zurückkehren, dann erst sah sie ihn an. »Ja. Es gibt sehr interessante Neuigkeiten von Taroa. Der Jäger, den ich in dieses System geschickt hatte, ist vor ein paar Stunden zurückgekehrt. Haben Sie den Bericht schon gesehen?«
»Ja.« Drakon warf einen Blick auf das Sternendisplay, auf dem Taroa durch besonders intensives Leuchten hervorgehoben wurde, was aus irgendeinem Grund auch für den Stern Kane galt. »Bürgerkrieg an drei Fronten gleichzeitig. Sie verfügen nicht über so viele Truppen, deshalb sind es nicht so schwere Kämpfe, aber dafür finden sie weit verstreut statt. Da Taroa kein Hypernet-Portal besitzt, gibt es dort nicht sehr viele Schlangen und Syndikat-Truppen. Die Loyalisten können die beiden anderen Gruppierungen nicht besiegen.«
Iceni nickte, dabei fiel ihm auf, dass sie nicht länger auf die Darstellung von Taroa, sondern auf die von Kane schaute. »Es gibt da noch eine andere Sache, die mir von dem Befehlshaber dieses Jägers gemeldet wurde. Diese Sache findet sich nicht mal im vertraulichen Teil seines Berichts. Es ist ihm gelungen, ein persönliches Treffen mit dem Befehlshaber eines Leichten Kreuzers bei Taroa zu arrangieren, der in dem herrschenden Kampf bislang eine neutrale Position einnimmt, und der sich uns hier im System möglicherweise anschließen wird.«
»Das ist schön.« Ein Leichter Kreuzer mehr oder weniger kam ihm nicht wie ein so bedeutsames Thema vor, dass Iceni deshalb so abgelenkt sein könnte.
»Wichtig ist, was dieser Befehlshaber uns noch erzählt hat. Sie wissen, dass die Schiffswerften bei Taroa an einigen maßgeblichen Bauarbeiten für die Syndikatwelten beteiligt waren. Nichts so Gewaltiges wie das, was Werften wie die bei Sancere auf die Beine stellen können, aber dennoch große Projekte. Die Werften von Taroa sind wesentlich besser ausgestattet als unsere, weil die Syndikat-Regierung der Ansicht war, dass sie keinem so großen Risiko durch Angriffe der Enigma-Rasse ausgesetzt sind. Also sind erheblich größere Mittel dorthin geflossen.« Iceni sah ihm in die Augen und beugte sich vor. »In den Werften von Taroa befindet sich ein fast fertiggestelltes Schlachtschiff. Es verfügt nur über eine Minimalbesetzung und wird derzeit noch ausgestattet.«
Einen Moment lang stockte Drakon der Atem. »Ein Schlachtschiff?«, wiederholte er schließlich. »Sie sagten doch, dass es in den umliegenden Sternensystemen maximal Leichte Kreuzer gibt.«
»Ja, das hat man mir weisgemacht. Um es komplett auszurüsten, wurde dieses Schlachtschiff offiziell in ein anderes Sternensystem geschickt, das wesentlich näher bei Prime liegt, weil die Syndikat-Regierung dort viel leichter darauf zugreifen könne. Aber in Wahrheit hat der CEO auf Taroa das Schiff nach Kane geschickt, da er glaubte, eines Tages vielleicht doch mal ein Schlachtschiff zu benötigen. Er setzte darauf, im Chaos nach Black Jacks Sieg bei Prime das Schiff von allen unbemerkt beiseiteschaffen zu können.«
»Allesamt vernünftige Annahmen von ihm.«
»Ja, nicht wahr? Aber wir benötigen dieses Schlachtschiff dringender als er. Wenn wir es unter unsere Kontrolle bekommen, besitzen wir genügend Feuerkraft, um hoffentlich jeden Angriff auf dieses Sternensystem abwehren zu können.«
»Könnten wir die Fertigstellung denn hier erledigen?«
»Ja.«
Sein Blick kehrte zurück zum Sternendisplay. »Und es liegt bei Kane. Wie verstecken die da ein Schlachtschiff? Das System ist zwar nicht allzu dicht besiedelt, aber es leben dort viele Bürger, und es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen von Handelsschiffen.«
»Diese Frage habe ich mir auch gestellt.« Iceni vergrößerte den Kane zeigenden Ausschnitt, womit die um den Stern kreisenden Planeten sichtbar wurden. »Die Haupteinrichtung der dortigen mobilen Streitkräfte ähnelt unserer und befindet sich in der Nähe eines der Gasriesen. Sehen Sie diese großen Monde? Wenn man das Schlachtschiff an der Stelle hinter dem Gasriesen und im richtigen Winkel zu den beiden Monden platziert, kann man es von den bewohnten Standorten im Sternensystem und von den üblichen Flugrouten aus nicht sehen. Man müsste dann schon zum Gasriesen fliegen und gezielt danach suchen.«