»Tja, dann wollen wir mal Sub-Executive Kontos und seine tapferen Manager retten, Kommodor.«
Zehn
»Sub-Executive Kontos, hier spricht Präsidentin Iceni. Wir sind auf dem Weg zu Ihnen, um Ihnen beizustehen. Halten Sie durch, solange Sie können. Wir haben die Schlangen bei Midway ausgelöscht, und wir werden hier das Gleiche tun. Wenn es Ihnen gelingt, Ihr Komm-System wiederherzustellen, dann halten Sie uns über Ihren aktuellen Status auf dem Laufenden.« Es sprach einiges dagegen, dass Kontos diese Nachricht überhaupt empfangen würde, und mit einer Antwort darauf war auch kaum zu rechnen. Aber falls die überlebende Crew ihre Botschaft zu hören bekam, würde sie dadurch vielleicht so sehr motiviert, dass sie länger durchhielt.
Marphissa deutete mit einem Finger auf das Display. »Wie schalten wir diese andere Flotte schnell genug aus, um unsere Bodenstreitkräfte auf das Schlachtschiff bringen zu können? Wir verfügen nicht über genug Feuerkraft, um all diese Kriegsschiffe bei einem einzigen Vorbeiflug außer Gefecht zu setzen.«
»Das werden wir gar nicht erst versuchen«, sagte Iceni und lehnte sich zurück, wobei sie ein deutliches Gefühl von Selbstsicherheit verspürte. In den letzten Monaten hatte sie sich wieder und wieder die Aufzeichnungen der Gefechte angesehen, die Black Jacks Flotte ausgetragen hatte, bis ihr auf einmal das eine Verhaltensmuster auffiel, nach dem sie die ganze Zeit über gesucht hatte. Wenn die Situation es zuließ, vermied Black Jack das zu tun, was der Gegner von ihm erwartete. Es klang so simpel. Wenn der Feind einen unter diesen und jenen Umständen zum Angriff herausforderte, dann unternahm er, sofern das machbar war, etwas ganz anderes.
Das war nicht die Art von Kriegsführung, die man ihr eingetrichtert hatte. Eine halbe Ewigkeit war sie dazu angehalten worden, den Feind zu töten, seine Streitmacht zu zerschlagen und zu diesem Zweck so beharrlich aufeinander zuzurasen, dass schließlich eine Seite nachgab. So war gekämpft worden, seitdem im Verlauf der ersten Jahrzehnte des Kriegs gegen die Allianz diejenigen gestorben waren, die noch andere Gefechtsmethoden gekannt hatten, gefolgt von jenen, die noch einen Teil davon erlernt hatten, bis niemand mehr da war, der alte Taktiken kannte und vermitteln konnte. Black Jack dagegen stammte noch aus der Zeit, als der Krieg gerade erst ausgebrochen war, und er hatte nie das getan, wozu sein Gegner ihn verleiten wollte.
»Madam Präsidentin?« Kommodor Marphissa deutete abermals auf ihr Display. »Wir müssen diese Flotte zerstören.«
»Nein, das müssen wir nicht. Wir müssen sie nur schlagen. Was wollen die erreichen? Dass wir langsamer werden. Dass unsere Schiffe beschädigt werden. Dass wir lange genug aufgehalten werden, damit die Schlangen Zeit haben, die Kontrolle über das Schlachtschiff zu erlangen. Wir werden sie nicht eines dieser Ziele erreichen lassen.«
Marphissa nickte in der Art, wie man es machte, wenn man bestätigen wollte, dass man das Gesagte gehört, aber nicht zwangsläufig auch inhaltlich verstanden hatte. »Was unternehmen wir stattdessen?«
»Wir fliegen an dieser Flotte vorbei, ohne uns auf einen Kampf einzulassen. Dann bremsen wir so weit ab, dass wir die Shuttles mit den Bodenstreitkräften an Bord so nah wie möglich am Schlachtschiff absetzen können. Danach beschleunigen wir gleich wieder und schlagen erst dann gegen die andere Flotte zu. Die werden in der Zwischenzeit kehrtgemacht haben, um uns anzugreifen.«
Wieder verriet Marphissas Nicken nur ein teilweises Begreifen. »Wie werden wir das erreichen, Madam Präsidentin?«
Iceni lächelte. »Ich habe unsere Ziele und Absichten formuliert, Kommodor. Als Befehlshaberin der Flotte und als erfahrene Leiterin mobiler Streitkräfte überlasse ich es Ihnen, die beste Lösung für diese Vorgaben zu finden.«
»Ich … verstehe«, murmelte Marphissa und starrte eine Weile auf ihr Display. »Danke für diese Gelegenheit, mein Können unter Beweis zu stellen, Madam Präsidentin.« Bemerkenswert war dabei, dass in ihrer Stimme nicht einmal ein Hauch von Sarkasmus mitschwang.
»Ich habe volles Vertrauen in Ihr Können, Kommodor.«
Minutenlang war Marphissas Blick auf ihr Display gerichtet. Sie sagte kein Wort, ihre Augen verrieten höchste Konzentration. Schließlich bewegte sie die Hände und umriss mögliche Vorgehensweisen, damit die Steuersysteme des Schiffs die mutmaßlichen Resultate anzeigen konnten.
»Kommodor?«
Marphissa wurde aus ihren Überlegungen gerissen, drehte sich um und warf dem Ablauf-Spezialisten einen verärgerten Blick zu. »Was ist denn?«
»Kommodor«, begann der Spezialist und schluckte nervös. »Ich denke, wenn der ISD die mobilen Streitkräfte der anderen Flotte kontrolliert und wenn sie die automatische Kontrolle aktiviert haben, da die Offiziere tot sind oder unter Arrest gestellt wurden, dann wird es sich um die gleichen automatischen Systeme handeln wie die, die unsere eigenen mobilen Streitkräfte benutzen.«
»Ja, und?«, herrschte Marphissa den Spezialisten an.
»Wenn wir eine Simulation durchspielen, bei der unsere automatischen Systeme die Aktionen der anderen Flotte kontrollieren, dann wird uns das zeigen, wie die Flotte tatsächlich auf uns reagieren wird. Wir können ihr Verhalten voraussagen.«
Der gereizte Ausdruck wich aus Marphissas Gesicht. »Das ist eine exzellente Beobachtung. Eine Simulation stößt immer dort an ihre Grenzen, wo man nicht sagen kann, wie die Gegenseite tatsächlich reagieren wird. Aber in diesem Fall werden wir das sogar ganz genau wissen. Beginnen Sie die Simulation.«
»Ja, Kommodor.«
Iceni beugte sich zu Marphissa rüber. »Warum ist er kein Sub-Executive? Ein Schiffsoffizier oder ein Leytenant?«
»Ich werde mich damit befassen«, erwiderte sie.
Als die Simulation auf einem Teil ihres Displays zu laufen begann, widmete sich Marphissa wieder ihrer Arbeit, wobei sie sich nach und nach sichtlich entspannte und schließlich einen zufriedenen Eindruck machte. »Es ist machbar, Madam Präsidentin. Ich muss die Befehle an die anderen Einheiten der Flotte übermitteln, damit das Timing auch genau richtig ist. Der schwierigste Moment wird das Bremsmanöver sein, um das Schlachtschiff zu erreichen. Das wird unsere Einheiten der größten Belastung aussetzen.«
»Aber es geht? Bewegt es sich im Rahmen der Fähigkeiten unserer Kriegsschiffe?«, wollte Iceni wissen.
»Jjjaaa.« Diese Bestätigung kam so gedehnt und zögerlich über Marphissas Lippen, dass sie Anlass zu Sorge gab.
»Lassen Sie mich sehen.« Iceni ließ den Plan auf ihrem Display durchlaufen und verfolgte mit, wie die Flotten sich im Zeitraffer einander näherten. Einige Manöver würden die Belastung für die Kriegsschiffe dicht an den roten Bereich führen, aber nicht in den Bereich hinein, bei dem die Gefahr bestand, dass ein Schiff buchstäblich in Stücke gerissen wurde. Jedenfalls theoretisch betrachtet. In der Praxis dagegen würden diese Manöver das Material auf eine Weise belasten, der zumindest einzelne Einheiten womöglich nicht gewachsen waren. »Wir werden die automatischen Sicherheitssperren aufheben müssen«, merkte Iceni an.
»Ja, Madam Präsidentin. Die Sperren würden uns solche Manöver nicht fliegen lassen.«
Sollten sie auf Nummer sicher gehen und verlieren, oder sollten sie auf Risiko spielen und so die Chance auf einen Sieg bekommen? Wieso war sie überhaupt hergekommen, wenn sie nicht bereit war, ein Risiko einzugehen? »Gut gemacht, Kommodor. Ich genehmige Ihren Plan. Wann beabsichtigen Sie, ihn an den Rest der Flotte zu senden?«
»Elf Minuten vor dem Kontakt. Wir sind alle eine Lichtsekunde voneinander entfernt, damit bleibt für jedes Schiffssystem genug Zeit, um den Plan entgegenzunehmen und zehn Minuten vor dem Kontakt bereit zu sein, ihn auszuführen.«