»Sie kennen Colonel Morgans Meinung zu dem Thema.«
»Ja, Sir, und Sie wissen, dass ich ihr auf das Schärfste widerspreche.«
Drakon lachte. »Kommen Sie, wenn Sie und Morgan sich widersprechen, dann grundsätzlich auf das Schärfste. Versuchen Sie, ob Sie sich noch etwas mehr in Icenis Dateien umsehen und weitere Informationen zusammentragen können. Aber seien Sie vorsichtig, was irgendwelche Spuren angeht.« Der Türsummer wurde betätigt. »Und da kommt auch schon Colonel Morgan.«
»Tja, wenn man vom Teufel spricht«, murmelte Malin.
Morgan kam hereingeschlendert und ignorierte Malin vom ersten Moment an, wenn auch nicht in einem Maße, dass sie ihm den Rücken zugedreht hätte. »Mir ist soeben zu Ohren gekommen, dass heute ein Erschießungskommando Arbeit hatte«, verkündete sie ohne Vorrede. »Irgendein Supervisor der primären Orbitalwerft wurde nachhaltig abgemahnt.«
»Wer hat diese Hinrichtung angeordnet?«, wollte Drakon wissen und ärgerte sich darüber, dass sich etwas Derartiges ohne sein Wissen abgespielt hatte.
»Der Befehl soll wohl von der Präsidentin gekommen sein«, antwortete Morgan. »Aber diese Befehle kommen alle aus ihrem Dunstkreis.«
»Von ihrem Assistenten? Diesem Togo?«
»Richtig.« Morgan zog fragend eine Braue hoch. »Ich frage mich, was wir wohl erfahren hätten, wenn es uns gelungen wäre, mit diesem Supervisor zu reden.«
War der Supervisor auf irgendwelche Informationen gestoßen, die ihn nichts angingen? Drakon betrachtete sein Display. »Wir wissen, dass es ein Problem mit diesem einen Schweren Kreuzer gab, den die Präsidentin zurückgelassen hat. Hing der Vorfall damit zusammen? Wie lautete der Vorwurf gegen den Supervisor?«
»Korruption«, erwiderte Morgan. »Einer von diesen Vorwürfen, die immer und überall passen. Es gab sogar einen Schauprozess, obwohl der Supervisor für einen solchen Aufwand in der Hierarchie eigentlich viel zu weit unten angesiedelt war. Schnelle Verhaftung, schneller Prozess, schnelle Hinrichtung. Alles Routine … bis auf diesen Prozess.«
»Routine für Schlangen«, wandte Malin ein.
»Und für CEOs, die an der Macht bleiben wollen«, konterte Morgan sofort.
»Iceni ist seit über einer Woche weg«, sagte Drakon. »Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass dieser Assistent eigenmächtig Hinrichtungen anordnet.« Wie lasse ich das diesen Mann auf eine möglichst einschüchternde Weise wissen, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, dass ich ihn zu einer Person mache, die so bedeutend ist, dass ich mich unmittelbar mit ihm abgeben muss? »Colonel Morgan, Sie treten mit diesem Assistenten der Präsidentin in direkten Kontakt. Sagen Sie ihm, dass ohne meine ausdrückliche Zustimmung keine weiteren Hinrichtungen erfolgen werden. Wenn ich höre, dass er damit weitermacht, werde ich handeln. Sorgen Sie dafür, dass dieser Assistent begreift, wie ernst ich das meine.«
»Das kann ich erledigen«, meinte sie lächelnd. »Ich kann aber auch gleich den Assistenten erledigen. Das wäre eine schöne und unmissverständliche Botschaft an seinen Boss und alle anderen.«
»Togo ist nicht so leicht zu erwischen«, warnte Malin.
»Ich auch nicht, und trotzdem stelle ich mich hin und wieder als Zielscheibe zur Verfügung, nicht wahr?«, stichelte sie. »General, die Präsidentin und alle anderen müssen erfahren, wer in diesem Sternensystem wirklich das Sagen hat.«
»Ich weiß die Notwendigkeit zu schätzen, mit dem angemessenen Respekt behandelt zu werden«, gab Drakon zurück. »Aber ich bin nicht bereit, der Präsidentin eine so deutliche Nachricht zukommen zu lassen. Gibt es sonst noch jemanden, der an meinen Status erinnert werden muss?«
»Da wären zum Beispiel ein paar Bürger«, antwortete Morgan. »Ein paar von diesen Idioten, die in die lokalen Räte gewählt werden wollen, machen in ihren Wahlprogrammen Aussagen, für die Sie sie schwer bestrafen sollten.«
»Die lassen nur Dampf ab«, beschwichtigte Malin. »Das hilft, damit sich nicht noch mehr Druck aufstaut.«
»Wir können ja auch die Quelle eliminieren, die diesen Dampf ablässt«, schlug Morgan schnippisch vor.
»Ich halte mir erst mal alle Möglichkeiten offen«, erklärte Drakon ausweichend, um diese jüngste Diskussion zu beenden. »So wie ich die Lage einschätze, sehen die Bürger mit großer Mehrheit in mir und der Präsidentin immer noch die Helden, die sie von den Schlangen befreit haben. Wenn ich jeden Bürger verschwinden lasse, der das anders beurteilt, werden die Leute mich sehr schnell für einen gleichwertigen Ersatz der Schlangen halten. Erst wenn irgendetwas über bloßes Gerede hinausgeht, oder wenn zu viele Leute diesen Aufwieglern zuhören, werden wir das anders behandeln müssen.«
»General«, erwiderte Malin. »Wenn Sie morgen freie Wahlen abhielten, würde eine überwältigende Mehrheit der Leute Sie und Präsidentin Iceni zu ihren Anführern wählen. Niemand könnte dann noch behaupten, dass Sie Ihre Macht irgendeinem anderen als dem Volk selbst verdanken.«
»Warum sollte er so was machen wollen?«, fuhr Morgan ihn an. »Warum sollte man ›das Volk‹ auch nur eine Sekunde lang glauben lassen, dass es ein Recht hat, darüber zu urteilen, ob General Drakon das Sagen haben soll oder nicht?«
Malin deutete nach oben. »Wir existieren nicht isoliert vom Rest des Universums. Es gibt auch noch andere Mächte, die wir nicht ignorieren dürfen.«
So wie Morgan sah auch Drakon Malin ungläubig an, dann begann sie zu lachen. »Wollen Sie jetzt etwa die Angst vor Geistern benutzen, um Ihre Argumente zu untermauern? Sie haben eindeutig zu viel Zeit unter Arbeitern verbracht.«
»Sie können meine Worte gerne so auslegen, wenn Sie das wollen, aber Sie können sie auch so deuten, dass damit die Syndikatwelten gemeint sind«, erklärte Malin in frostigem Tonfall. »Die haben sich nicht einfach in Luft aufgelöst. Wir verfügen über eine bemitleidenswert winzige Flotte, die uns verteidigen soll, bis Präsidentin Iceni zurückkehrt. Wenn sie ohne Verlust, aber auch ohne das gesuchte Schlachtschiff zurückkehrt, haben wir eine bemitleidenswert kleine Flotte. Bringt sie das Schlachtschiff mit, werden wir auch nicht mehr als eine kleine Flotte haben. Wie wir alle wissen, werden die Syndikatwelten nicht nur mit ihren mobilen Streitkräften und mit den Bodenstreitkräften gegen uns vorgehen, sondern sie werden mit allen Mitteln versuchen, uns zu zermürben. Sie werden für zivilen Ungehorsam sorgen, sie werden Sabotageakte begehen, um unsere Position zu schwächen, und sie werden auf jeden Trick zurückgreifen, den sie kennen, damit sie uns anschließend mühelos überrennen und Midway zurückerobern können. Wir kennen dieses System von innen, wir haben doch selbst diese Spiele gespielt. Die mobilen Streitkräfte sind genauso wenig unsere erste Verteidigungslinie wie die Bodenstreitkräfte. Wir müssen die Bürger glauben lassen, dass dies hier ihr Sternensystem ist, dass General Drakon und Präsidentin Iceni ihre Anführer sind, dass wir ihre beste Wahl sind, um sie vor den Kräften zu beschützen, die von außen auf uns alle einwirken. Erst dann werden unsere Streitkräfte bei der Verteidigung dieses Sternensystems den Rückhalt dieser Bürger haben.«
»Den Rückhalt bekommt man, wenn man den Bürgern Gehorsam einimpft«, beharrte Morgan.
»Gibt es sonst noch etwas?«, ging Drakon in einem Tonfall dazwischen, der der Diskussion augenblicklich ein Ende bereitete. Er hatte keine Lust, dieses Hin und Her schon wieder mitzumachen – erst recht nicht, wenn er genug mit der Frage zu tun hatte, was Black Jack beabsichtigte, und wenn er sich Sorgen zu machen begann, was mit Iceni los war.
Malin atmete einmal tief durch. »Da wäre noch eine Sache, über die ich gern mit Ihnen reden würde, Sir. Das Taroa-Sternensystem.«
Diesmal verdrehte Morgan die Augen. »Wollen Sie General Drakon den Ratschlag erteilen, dass er nach Taroa fliegen und den Leuten sagen soll, sie mögen sich doch bitte endlich vertragen?«