Das ist doch die eigentliche Frage, nicht wahr? Wir reden davon, dass wir Schutz und Sicherheit brauchen, aber wie viele Bürger der Syndikatwelten können nachts ruhig schlafen, weil sie sich beschützt und sicher fühlen? Nein, wir verbringen jeden Tag und jede Nacht mit der Frage, wann jemand an unsere Tür anklopft oder diese Tür einfach eintritt, um einen von uns mitzunehmen, damit man ihn für irgendwelche Verbrechen zur Rechenschaft zieht, ohne Rücksicht darauf, ob er diese Verbrechen überhaupt begangen hat. Ich bin die mächtigste Person im Midway-Sternensystem, und ich verstecke mich hinter verriegelten und gesicherten Türen, obwohl mir Leibwächter zur Seite stehen. Von wegen Schutz und Sicherheit!
Iceni seufzte leise. Wie kann ich das ändern und trotzdem dafür sorgen, dass wir alle weiterhin in Sicherheit leben? Das Schlachtschiff zu erbeuten, war möglicherweise eine der leichtesten Übungen, wenn ich mir all die anderen Dinge vorstelle, mit denen ich mich noch werde befassen müssen.
Ich hoffe, General Drakon hat es nicht so schwer. Ich sollte mir eigentlich Gedanken darüber machen, womit er gerade beschäftigt ist, aber aus einem unerklärlichen Grund fühle ich mich sicherer, wenn ich weiß, dass er über Midway wacht. Hoffentlich kommt er mit allem klar, bis ich zurück bin.
»Eine Flotte ist am Sprungpunkt von Lono kommend aufgetaucht«, meldete Malin mit lauter Stimme, die den Lärm der Alarmsirenen übertönen musste.
Drakon war nur einen Augenblick später im Kommandozentrum, obwohl jegliche Eile eigentlich völlig absurd war, wenn der Feind eben erst in einer Entfernung von sechs Lichtstunden und fünfzehn Lichtminuten im System erschienen war. Dennoch hatte er das Gefühl, es sei unabdinglich, sich beeilen zu müssen. Die menschlichen Reflexe verlangten seit Urzeiten, dass jeglicher Feind in Sichtweite als unmittelbare Bedrohung wahrgenommen wurde, und darauf reagierten Hirn und Körper immer noch. »Verdammt noch mal«, murmelte er, als er die Informationen verarbeitete.
Zwei Schwere Kreuzer, drei Leichte Kreuzer und vier Jäger. Und er konnte dem genau einen Schweren Kreuzer entgegensetzen. Man musste kein Experte für mobile Streitkräfte sein, um zu wissen, wie schlecht ihre Chancen damit standen. »Colonel Malin, informieren Sie die Befehlshaberin der C-818 darüber, dass Präsidentin Iceni eine große Sprengladung in ihrer Einheit deponiert hat, deren Auslösung ich befehlen werde, wenn die C-818 auf die Idee kommen sollte, sich vor der Verteidigung dieses Sternensystems zu drücken.«
Malin zögerte. »Ein Schwerer Kreuzer ist nicht groß genug, um eine Sprengladung so zu verstecken, dass sie nicht relativ schnell gefunden werden kann, General.«
»Mir geht es nur darum, dass sie im Orbit bleiben, während sie nach der Sprengladung suchen. Wir brauchen hier etwas, das nach Verteidigung aussieht.«
Morgan war ebenfalls eingetroffen und schüttelte den Kopf. »Und ich habe einen Moment lang tatsächlich geglaubt, dass unsere Präsidentin wenigstens einmal etwas Vernünftiges gemacht hat.«
»Falls ja«, gab Drakon zurück, »ist es mir nicht bekannt. Haben wir noch nichts von dieser Flotte gehört?«
»Nein, Sir«, sagte Morgan. »Als sie hier eingetroffen sind, haben sie keine Nachricht gesendet.«
»Eigenartig. Ich hatte mit einer sofortigen Aufforderung zur Kapitulation gerechnet.«
»Ihr Ziel ist … das Hypernet-Portal«, meldete Malin. »Gleich nach Verlassen des Sprungpunkts sind sie auf diesen Vektor eingeschwenkt.«
Mit finsterer Miene betrachtete Drakon das Display. »Keine Flotte des Syndikats würde vorsätzlich das Portal zerstören. Die wissen so gut wie wir, dass bei einem Zusammenbruch des Portals nicht mehr das gesamte System ausgelöscht wird. Warum sollten sie den Hauptgrund für eine Rückeroberung dieses Systems vernichten?«
Plötzlich begann Morgan zu lachen. »Ach, verdammt. Die sind nicht hier, um uns anzugreifen. Die fliegen nur durchs System und verschwinden durch das Hypernet-Portal wieder.«
»Wie viel Zeit werden wir dadurch gewinnen?«
»Nicht viel, General. Momentan empfangen sie jede Menge Nachrichten, die da draußen herumtreiben. Sie werden viel über General Drakon und Präsidentin Iceni und über das unabhängige Sternensystem Midway erfahren. Und dann wird ihnen auffallen, dass auf den ISD-Kanälen Schweigen herrscht. Vielleicht fangen sie sogar die eine oder andere Bemerkung auf, dass die Schlangen hier alle tot sind.« Morgan deutete auf das Display. »Jetzt überlegen sie, was das zu bedeuten hat, und gleich werden sie entscheiden, was sie tun sollen. Angenommen, Sie wären der Befehlshaber einer Flotte und plötzlich bietet sich Ihnen die Gelegenheit, ein Sternensystem zurückzuerobern, das den Syndikatwelten den Rücken zugekehrt hat. Und die Rebellen verfügen über nichts weiter als einen einzelnen Schweren Kreuzer. Was würden Sie tun, General?«
Drakon nickte bedächtig. »Vermutlich überlegen die sich in der nächsten halben Stunde die Forderung, dass wir uns ihnen ergeben sollen. Ich bin für alle Vorschläge offen.«
»Reden Sie mit ihnen«, sagte Malin. »Halten Sie sie hin, solange es irgendwie geht. Präsidentin Iceni könnte jeden Moment eintreffen.«
»Sagen Sie ihnen, wenn sie angreifen, werden Sie das Hypernet-Portal kollabieren lassen«, warf Morgan ein.
Das klang womöglich nützlich.
»Was würden Sie tun, wenn ich diese Drohung aussprechen würde, Colonel Morgan?«, fragte Malin.
Nach einer kurzen Pause zuckte sie mit den Schultern. »Ich würde Ihren Bluff durchschauen.«
»Weil es nur ein Bluff sein kann, eine Drohung, die wir nicht wahrmachen würden. Wenn das Portal kollabiert, schrumpft der Wert der Infrastruktur in diesem Sternensystem auf praktisch Null zusammen. Es würde sie nicht länger interessieren, wie wir für das Bombardement Vergeltung üben wollten.«
Morgan nickte missmutig. »Das ist richtig.«
»Also dann«, schloss Drakon, »sechs Stunden und fünfundzwanzig Minuten, um die Lage zu bewerten und eine Entscheidung zu treffen. Dann werden wir ja hören, was sie uns zu sagen haben.«
Die Frau, die die Nachricht gesprochen hatte, war ihm nicht bekannt. Sie sah etwas älter aus, ihr erster Eindruck ließ verhaltene Skepsis erkennen. Aber ein erster Eindruck konnte sich später leicht als schwerer Fehler entpuppen, also konzentrierte sich Drakon ganz darauf, was sie sagte und wie sie es sagte.
»Hier spricht CEO Gathos, an die Rebellen im Midway-Sternensystem. Sie werden sich sofort ergeben und die Autorität der Syndikatwelten anerkennen. Ferner werden Sie mir Ihre Anführer General Drakon und Präsidentin Iceni sowie deren Seniorstab ausliefern. Wenn Sie nicht eine halbe Stunde nach Erhalt dieser Aufforderung Ihre Kapitulation übermitteln, werde ich damit beginnen, die sekundäre Infrastruktur zu bombardieren. Für das Volk. Gathos, Ende.«
»Kennen Sie sie?«, fragte Morgan.
»Nein«, entgegnete Drakon. Die Syndikatwelten verfügten über unzählige CEOs. Vielleicht kannte Iceni diese Frau, aber wenn sie hier wäre, um ihm diese Frage zu beantworten, dann wäre auch ihre Flotte hier. »Einschätzung?«
»Sie meint es ernst«, sagte Morgan.
»Sehe ich auch so«, stimmte Malin zu.
»Eine halbe Stunde, sonst schmeißt sie uns Steine auf den Kopf. Das heißt, ich kann sie nicht in eine Unterhaltung verwickeln, um Zeit zu schinden.« Sein Blick kehrte zum Display zurück, wo zu sehen war, dass die Flotte ihren Kurs geändert hatte und sich näherte. Eine halbe Stunde, um zu antworten. Gathos und ihre Leute würden diese Antwort erst sechs Stunden später empfangen, aber es änderte nichts daran, dass er seine Nachricht innerhalb der Halbstundenfrist auf den Weg schicken musste.
»Täuschen Sie eine Kapitulation vor«, schlug Morgan vor. »Das Schiff, mit dem Sie an diese Flotte überstellt werden, ist mit Kommandosoldaten besetzt. Damit nehmen wir denen einen ihrer Kreuzer ab. Damit haben wir dann plötzlich zwei Schwere Kreuzer und die nur noch einen. Schlimmstenfalls wird das Schiff beim Entern zerstört; auch dann haben die nur noch einen übrig, wir aber auch.«