»Definitiv keine Eroberung. Eine Intervention. Wir spielen nur das Zünglein an der Waage, aber eine Eroberung wird es nicht sein. Wenn wir mit dem, was wir haben, versuchen, Taroa unseren Willen aufzuzwingen, dann wird das sich in einen Sumpf verwandeln, der dieses Sternensystem im Handumdrehen aussaugt. Wir wären eine leichte Beute, wenn auf einmal die Syndikatwelten durch das Hypernet-Portal hereingeschneit kommen und fordern, wieder die Kontrolle über das System zu übernehmen. Aus persönlichen Gründen wäre es mir lieber, wenn es nicht dazu kommt.«
»Mir würde so etwas auch nicht gefallen.« Iceni kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Ich glaube, ich habe bei Kane hier und da eine Saat gestreut, aus der formale Beziehungen zwischen unseren Sternensystemen heranwachsen könnten. Wenn so etwas Ähnliches bei Taroa möglich wäre, wenn es uns also gelingt, die Grundlagen für eine Art Allianz zu schaffen, dann könnten wir auf lange Sicht ganz erheblich davon profitieren. Handel und Verteidigung – sozusagen eine Blase der Stabilität und Ordnung inmitten der zusammenbrechenden Syndikatwelten. Drei Sternensysteme mögen nicht viel sein, aber es wäre auf jeden Fall schon mal ein Anfang, und es ist eindeutig viel mehr als nur ein einzelnes Sternensystem.«
Drakon nickte. »Die Menschheit hat einst mit nur einem einzigen Sternensystem angefangen, und da ist schon etwas Beachtliches bei herausgekommen.«
»Nach einem so großen Erfolg strebe ich gar nicht. Aber eine Intervention bei Taroa wird einen beachtlichen Einsatz an Bodenstreitkräften und mobilen Streitkräften bedeuten, und auf beide können wir derzeit vor unserer eigenen Haustür schlecht verzichten.«
»Richtig. Aber die Truppen haben wir auch hier benötigt, als wir von diesem Schlachtschiff bei Kane erfahren hatten. Trotzdem war es sinnvoller, fast all unsere Kriegsschiffe nach Kane zu schicken. Und jetzt ist es sinnvoller, ein paar von diesen Einheiten nach Taroa zu entsenden.« Er merkte Iceni an, dass sie zwar im Prinzip überzeugt, aber immer noch nicht bereit war, die notwendigen Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Also spielte Drakon seinen letzten Trumpf aus. »Es gibt noch etwas in Verbindung mit den Schiffswerften von Taroa. Die letzten Schiffe, die das System durchflogen haben, berichteten davon, dass das Hauptdock vollständig geschlossen ist. Sie befinden sich in einer Phase, in der Komponenten von irgendetwas in einen Rumpf eingebaut werden.«
»Von irgendetwas?«, wiederholte Iceni. »Dieses Irgendetwas muss aber sehr groß sein, wenn sie dafür das Hauptdock brauchen.«
»Irgendetwas Großes«, stimmte er ihr zu. »Und ich glaube, dass wir dieses Irgendetwas dringender gebrauchen können als der Irgendjemand, für den es zusammengebaut wird. Das dürfte nämlich die Syndikat-Regierung auf Prime sein. Wenn wir das Dock einnehmen, gehört uns auch dieses große Irgendetwas.«
»Das Dock einzunehmen, dürfte extrem nützlich sein.« Iceni nickte und sah Drakon forschend an. »Was würden Sie benötigen, um die Kontrolle über die Docks zu erlangen und den Sieg der Freien Taroaner sicherzustellen?«
»Ich würde drei Brigaden einsetzen wollen«, erklärte er. »Dafür wäre es natürlich erforderlich, ein paar zivile Handelsschiffe zu rekrutieren, die sich derzeit im System aufhalten. Und es wäre eine angemessen große Flotte nötig, die mit allen leichten mobilen Streitkräften klarkommt, die dort auf uns warten könnten. Falls es bei Taroa gar keine mobilen Streitkräfte gibt, werden wir jegliche Opposition mit unserer Flotte vor Ehrfurcht erstarren lassen.«
»Wenn Sie sie vor Ehrfurcht erstarren lassen wollen, muss das Schlachtschiff zum Einsatz kommen. Nur ist das nicht einmal annähernd einsatzbereit.«
»Mit dem Schlachtschiff will ich da auch gar nicht auftauchen«, sagte Drakon. »Das ist zu groß und zu bedrohlich. Wenn wir damit ankommen, müssen wir gar kein Wort mehr sagen, weil man glauben wird, wir seien auf einem Eroberungsfeldzug. Ich möchte lieber Zeit genug haben, um zu verkünden, dass wir gekommen sind, um unseren Freunden beizustehen – den Freien Taroanern.«
Abermals nickte Iceni. »Und im Gegenzug erhalten wir die Kontrolle über die Docks und dieses Irgendetwas, das dort fertiggestellt wird. Also gut. Drei Brigaden. All Ihre Soldaten, womit mir die lokalen Truppen bleiben.«
»Die werden mit allem zurechtkommen, was sich ereignen könnte«, sagte Drakon und wählte seine Worte mit Bedacht. »Mit den drei Brigaden meinte ich zwei von meinen und eine lokale Brigade. Damit würde eine Brigade aus absolut zuverlässigen Soldaten hier verbleiben.«
»Absolut zuverlässig?«, wiederholte Iceni und lächelte flüchtig. »Sie meinen, für den Fall, dass jemand eine Dummheit versucht, wenn Sie nicht hier im System sind?«
So unverblümt hatte er das nicht ausdrücken wollen. »Wenn Sie diese Brigade als meine Versicherung gegen Sie ansehen wollen, steht Ihnen das frei. Sie haben diesen Schweren Kreuzer hier zurückgelassen, damit er mich im Auge behält, während Sie nicht da waren. Aber das ist bei weitem nicht der einzige Grund für mich, eine Brigade hierzulassen. Sie wissen so gut wie ich, dass wir uns auf unsere lokalen Brigaden nicht hundertprozentig verlassen können.«
»Und trotzdem wollen Sie eine von denen auf diese Mission mitnehmen?«
Machte sie sich über ihn lustig? Oder suchte sie ernsthaft nach seiner Rechtfertigung für diesen Schritt? Drakon hob die Hände an. »Meine eigenen Soldaten können die Lokalen in den Griff bekommen, falls das nötig werden sollte. Und die Lokalen sollten in der Lage sein, mit allem klarzukommen, was uns bei Taroa erwarten könnte.«
»Also fühlen wir uns beide sicherer, wenn eine Ihrer Brigaden hierbleibt?«
»Richtig.«
»Wie umsichtig von Ihnen, General.« Sie stützte ihr Kinn auf die Faust und musterte ihn wieder. »Welche Brigade? Welcher Colonel?«
»Colonel Rogeros Brigade.«
»Colonel Rogero? Schon wieder? Hat Colonel Rogero etwa einen Narren an mir gefressen?«
Drakon lachte kurz auf. »Ich weiß nicht, welche Gefühle er für Sie hegt, aber ich weiß, ich kann ihm das alles hier anvertrauen.« Gaiene mochte noch so fähig und loyal sein, doch wenn man ihn über einen längeren Zeitraum hinweg unbeaufsichtigt ließ, konnte es leicht passieren, dass er von einem aufgebrachten Ehemann oder einem vor Wut rasenden Vater erschossen wurde. Und Gaiene würde in dem Moment womöglich sogar sturzbetrunken sein, da er sich ja keine Sorgen machen musste, dass Drakon plötzlich nach dem Rechten sehen kam. Kai wiederum würde nicht jegliche Kontrolle über sich verlieren. Er schien von seiner Arbeit abgesehen überhaupt keine anderen Interessen zu haben, aber er war zu steif, zu unflexibel, um auf unerwartete Ereignisse zu reagieren. Und in diesem Fall wäre Drakon nicht in der Nähe, um ihm Anweisungen zu geben, wie er sich verhalten sollte. »Colonel Rogero hat die Streitmacht angeführt, die Sie nach Kane begleitet hat. Colonel Gaiene und Colonel Kai verdienen es, auch mal in Aktion zu treten.«
»Und welche lokale Brigade?«
»Die Eintausendfünfzehnte. Unter dem Kommando von Colonel Senski.«
»Colonel Senski. Hmm.« Das schien sie nicht zu überzeugen, aber schließlich machte sie eine zustimmende Geste. »Nehmen Sie auch Ihre beiden Adjutanten mit?«
»Malin und Morgan? Ja.«
»Dann bin ich einverstanden. Wie lange werden Sie brauchen, bis Sie aufbrechen können?«
»Normalerweise«, begann er, »dauert es eine Weile, eine solche Truppenbewegung auf die Beine zu stellen, aber …«
»… aber Sie haben mit den Vorbereitungen lange vor meiner Rückkehr begonnen, weil Sie davon ausgegangen sind, dass ich der Mission zustimmen würde«, führte sie seinen Satz zu Ende. Sie sagte es nicht auf eine Weise, als hätte sie das soeben erraten, sondern als wäre ihr das bereits vor diesem Treffen bekannt gewesen.
Entweder versuchte sie ihn aus der Ruhe zu bringen, indem sie vorgab, über gewisse Informationen zu verfügen, oder aber sie hatte tatsächlich eine gute Verbindung zu jemandem in seinen Reihen. Die beste Reaktion war wohl die, keine besondere Reaktion erkennen zu lassen. Er lächelte sie an, als sei ihre Bemerkung für ihn keine große Sache. »Das ist korrekt.«