Der Angriff breitete sich in der Anlage wie eine unregelmäßig geformte Blase aus, da die Soldaten vom Dock gesehen in alle Richtungen gleichzeitig ausschwärmten. Hier wurde ein Pausenraum eingenommen, in dem sich Arbeiter aufhielten, die eben von ihrer Schicht gekommen waren, woanders besetzten die Eindringlinge Werkstatträume. »Sekundäre Docks gesichert«, meldete ein Bataillonskommandant an Gaiene und Drakon. »Rücken jetzt zum Hauptdock vor.«
Drakon konzentrierte sich auf die Displays der Anführer jener Einheiten, die auf das Hauptdock vordrangen. Die Sicherheitstüren waren unbewacht, stattdessen verließ man sich auf vollautomatische Reader, die im Handumdrehen außer Gefecht gesetzt wurden. Und dann stürmten die Soldaten auch schon ins Hauptdock. »O verdammt«, rief einer der Anführer, als er das Objekt sah, das dort vor den Blicken Unbefugter versteckt wurde. »Schlachtschiff oder Schlachtkreuzer, so viel ist sicher.«
»Eins von beiden wird das sein, wenn es irgendwann mal fertiggestellt ist«, ließ ein anderer verlauten. »Im Augenblick ist es nur eine Hülle.«
Erschrockene Arbeiter der Spätschicht ließen ihr Werkzeug fallen und hoben kapitulierend die Arme, als sie auf einmal von den Soldaten umringt waren. »Hier gibt es keinen Widerstand, auch keine Wachen. Das Hauptkonstruktionsdeck ist gesichert.«
»Überzeugen Sie sich davon, dass nirgendwo Sprengladungen angebracht sind, mit denen sich diese Hülle noch zerstören lassen könnte«, befahl Drakon. »Nehmen Sie ein paar von den Arbeitern mit und sehen Sie sich das Ding komplett an.«
Schließlich ertönte ein erster Alarm, da irgendwo irgendwem aufgefallen war, dass es Probleme gab. Da Drakons Ingenieure die Informationen, die an das Kontrollzentrum gerichtet waren, aber weiter störten, schien bislang noch niemand erkannt zu haben, dass sie angegriffen wurden. Verwirrte automatische Systeme versuchten herauszufinden, von welcher Art der Notfall überhaupt war, konnten sich aber nicht entscheiden, da immer wieder ein anderer Sirenentyp ertönte. Mal war es ein Feueralarm, gleich darauf wurde vor der Kollision mit einem Objekt gewarnt, daraus wurde der Dekompressionsalarm, der dann zum Feueralarm zurückkehrte.
Wo zum Teufel sind die Schlangen?, wunderte sich Drakon und suchte auf seinem Display nach irgendeinem Hinweis auf sie. »Haben wir alle Schaltkreise unter Kontrolle?«
»Nein, Sir«, antwortete ein Gefechtsingenieur. »Es existieren ein paar redundante und völlig eigenständige Schaltkreise, an die wir bislang nicht herankommen können.«
»Colonel Gaiene, Ihre Soldaten sollen für unsere Ingenieure so schnell wie möglich einen Zugang zu allen Schaltkreisen finden. Übergehen Sie notfalls andere Ziele. Die müssen warten, bis wir wissen, dass wir die Kontrolle über alles erlangt haben.«
Ein Zug stieß auf eine Schlangenkaserne; wohl durch die unklaren Alarmmeldungen verunsichert, versuchte das ISD-Personal gerade in aller Eile, Gefechtsrüstung anzulegen. Nach einer Schrecksekunde, während der sich beide Seiten nur verdutzt anstarrten, feuerten Gaienes Soldaten Granaten in die Menge ab und schossen dann auf alles, was sich nach den Explosionen noch bewegte. Einige von ihnen jagten Schuss um Schuss in längst zerfetzte Leiber, bis ihr Kommandant mit Fausthieben die Helme traktierte, um die Kämpfer aus ihrem Rausch zu holen.
Drakon knurrte frustriert, als er die roten Markierungen auf seinem Display sah, die wichtige Schaltkreise und Abteilungen kennzeichneten, die noch nicht von seinen Leuten kontrolliert wurden. Allerdings waren inzwischen alle Zivilisten an Bord der Einrichtung wach und drängten sich angsterfüllt in den Korridoren, was bedeutete, dass Drakons Leute nur noch langsam vorankamen. Er konnte die nächste Phase seines Plans nicht noch länger hinauszögern. »Senden Sie die Nachricht.«
Die immer noch wechselnden Alarmsirenen wurden von einer dröhnenden Durchsage übertönt, für die das Lautsprechersystem der Einrichtung zum Einsatz kam, das Drakons Komm-Spezialisten gekapert hatten. »Diese Anlage untersteht jetzt der Kontrolle durch die Soldaten des Midway-Sternensystems unter dem Kommando von General Drakon. Leisten Sie keinen Widerstand. Kein Bürger und kein Soldat, der sich uns ergibt, wird irgendwelchen Schaden erleiden. Kehren Sie in Ihre Quartiere zurück und bleiben Sie dort. Ich wiederhole: Leisten Sie keinen Widerstand.«
Sie stießen auf eine weitere Schlangenkaserne. Diese Schlangen waren auf den Angriff gefasst und leisteten erbitterte Gegenwehr, ehe sie von Drakons Soldaten ausgelöscht wurden.
»Colonel, wir haben einen Zug, der sich nahe der Maschinenkontrolle verschanzt hat. Die machen … Verdammt! Sie haben einen von meinen Leuten niedergeschossen! Die meinen es ernst!«
»Heben Sie das Nest aus«, befahl Gaiene. »Die Leute hatten ihre Chance, sich zu ergeben.«
Soldaten näherten sich von drei Seiten der Position und überrannten die Verteidiger mit einem Sperrfeuer, um den Rest der Schlangen zu erledigen, nachdem die vorderen Reihen ausgeschaltet worden waren.
Drakon verfolgte das alles mit und fühlte sich an so viele frühere Kämpfe erinnert. Nur dass damals die Allianz-Soldaten ihre Feinde gewesen waren. Uns wurde beigebracht, gnadenlos zu kämpfen. Sie haben ebenfalls gnadenlos gekämpft. Und jetzt gehen wir auf die gleiche Weise gegen unsere eigenen Leute vor.
Hat Black Jack deshalb seinen Leuten gesagt, dass sie wieder Gefangene nehmen und damit aufhören sollen, wahllos ganze Städte zu bombardieren? Hat er erkannt, dass gnadenloses Verhalten zu einer Gewohnheit werden kann, die letztlich dazu führt, dass man die erlernten Taktiken gegen die eigenen Leute einsetzt? Die Regierung des Syndikats hat lange Zeit zugelassen, dass wir so handeln, und jetzt wiederholen wir, was uns eingetrichtert wurde, auch ohne dass uns das Syndikat den Befehl dazu gibt oder uns die Schlangen dazu zwingen.
Das muss ein Ende nehmen. »Hier spricht General Drakon. Jeder von Ihnen wird jederzeit den Verteidigern eine Gelegenheit zur Kapitulation geben. Nur wenn sie weiterkämpfen, haben Sie die Erlaubnis, sie zu töten.«
»General?«, meldete sich Gaiene. »Ihre Befehle zum Vorrücken …«
»… haben sich geändert. Wir sind keine Schlangen.«
»Ähm … jawohl, Sir.«
Drakon richtete den Blick auf einen Teil des Displays und wunderte sich, was ihn auf diese Ecke hatte aufmerksam werden lassen, aber dann erkannte er, dass in der Nähe des Hauptkonstruktionsdocks eine Anomalie festgestellt worden war. »Vorsicht im Dock. Etwas nähert sich Ihrer Position!«
Augenblicke später wurde ein Luke aufgesprengt, und schon stürmten Schlangen und Loyalistensoldaten auf den massiven, noch im Bau befindlichen Schiffsrumpf zu. Der Beschuss durch Gaienes Soldaten hielt die Angreifer auf, gleichzeitig machte sich Drakon auf den Weg dorthin und befahl einigen von Gaienes Einheiten in unmittelbarer Nähe, sich sofort zum Hauptdock zu begeben.
Warum war das eigentlich wichtig? Was sollten ein paar Dutzend Schlangen und Soldaten gegen eine so gewaltige Schiffshülle ausrichten, die nicht mal fertiggestellt war? Aber diese Leute kämpften sich verbissen voran, also musste es dafür auch einen Grund geben. »Halten Sie sie zurück!«, wies er die Soldaten im Dock an. »Sie dürfen nicht bis zur Hülle gelangen!«
»Es sind zu viele!«, rief eine von Gaienes Soldatinnen, deren Signal so abrupt endete wie die Schüsse, die auf sie abgegeben worden waren.
Von drei Positionen aus rückte Verstärkung an, eine der Gruppen wurde von Drakon angeführt. Sie konnten die angreifende Streitmacht aus Schlangen und Loyalistensoldaten sehen, deren Vorankommen bislang am erbitterten Widerstand von Drakons ursprünglich für die Bewachung des Docks abgestellter Einheit scheiterte. Die Gruppe um Drakon kam von der Seite herein, sodass sie freie Schussbahn auf die Angreifer hatte. Drakon richtete seine Waffe auf eine Schlange, die abrupt vorrückte, und drückte ab. Zwei weitere Schüsse trafen gleich darauf den selben Mann und schalteten ihn aus.