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Auch Al dachte jetzt an diesen Zwanzigmeilentag, wie der die Roten lachen hörte, wie er den Schmerz spürte, nur den Beginn des Schmerzes, wissend, daß diese Roten, was immer sie sonst noch vorhaben mochten, zunächst einmal mit zwei toten weißen Jungen anfangen wollten, und daß es ihnen nichts ausmachen würde, wenn es dabei etwas laut wurde. Sei still, sagte er bei sich. Sei still.

Sie rieben ihm mit seinen zerfetzten Kleidern das Gesicht ab, und Al versuchte, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Mit Mühe gelang es ihm, trotz seines Schmerzes und der Unruhe die größten Venen und Arterien in seinem Körper zu erspüren und sie wieder zu verschließen. Als sie zum letzten Mal mit einem Hemd über sein Gesicht wischten, spritzte aus seiner Stirn kein Blut mehr.

Measure hatten sie noch nicht mit dem Messer bearbeitet. Er blickte Al an, und sein Gesichtsausdruck wirkte krank. Al kannte seinen Bruder gut genug, um zu wissen, was er dachte: Daß Ma und Pa ihm Al anvertraut hatten und er nun völlig versagt hatte. Doch es war verrückt, sich deswegen Vorwürfe zu machen. Was gerade geschah, hätte in jedem Blockhaus irgendwo in dieser Gegend geschehen können, und niemand hätte es verhindert. Selbst wenn Al und Measure nicht auf eine lange Reise ausgezogen wären, hätten sie sich gerade auf diesem Weg befinden können. Doch Al konnte Measure nichts dergleichen sagen, es blieb ihm nicht viel anderes übrig, als zu lächeln.

Als zu lächeln und zu versuchen, seine Wunde so gut wie möglich zu heilen. Dafür zu sorgen, daß an seiner Stirn alles wieder so wurde, wie es sein sollte. Er konzentrierte sich darauf, und es fiel ihm immer leichter, während er den Roten zusah.

Sie redeten nicht viel. Sie wußten recht genau, was sie zu tun hatten. Sie nahmen die blutverschmierten Kleider und banden sie auf die Sättel. Dann ritzte einer von ihnen die englischen Buchstaben ›Ta-Kumsaw‹ in den einen Sattel und ›Prophet‹ in den anderen. Einen Augenblick lang war Al überrascht, daß der Rote Englisch schreiben konnte, doch dann sah er, wie er die Buchstaben von einem Papier ablas, das er zusammengefaltet in seinem Lendenschurz verwahrt hatte. Ein Papier!

Dann hielt je ein Roter eines der Pferde am Zügel, während ein anderer den Tieren mit einem Messer in die Flanken stach. Es waren nur kleine, nicht allzu tiefe Stiche, aber sie genügten, um die Pferde wild zu machen, bis sie austraten und sich aufbäumten. Die Pferde warfen die beiden Roten um, die sie festgehalten hatten, und jagten davon, den Weg entlang, der sie nach Hause führte.

Eine Nachricht. Es ging um eine Nachricht. Diese Roten wollten, daß man sie verfolgte, daß ein ganzer Haufen Weißer die Musketen aufnahm und die Pferde bestieg und ihnen folgte. Wie Daniel Boone in der Geschichte. Al und Measure hatten nicht die geringste Chance, davonzukommen. Selbst wenn Al die Fesseln gelöst hätte — was ihm nicht weiter schwergefallen wäre —, hätten zwei weiße Jungen die Roten im Wald niemals abhängen können. Nein, diese Roten hatten sie so lange in ihrer Gewalt, wie sie wollten. Doch Al kannte ein paar Kniffe, wie er sie daran hindern konnte, bestimmte Dinge mit ihnen anzustellen. Und es würde auch in Ordnung sein, diese Fähigkeiten einzusetzen, denn es würde ja nicht nur für ihn sein, sondern für seinen Bruder und seine Familie und irgendwie auch für die Roten selbst. Denn wenn wirklich etwas Schlimmes passieren sollte, wenn zwei weiße Jungen tatsächlich zu Tode gefoltert würden, dann würde es einen grausamen Krieg zwischen Roten und Weißen geben. Solange er dabei niemanden tötete, durfte Al sein Talent ruhig einsetzen.

Als die Pferde fort waren, legten die Roten um Als und Measures Hals Lederriemen und zerrten sie hinter sich her. Measure war ein großer Mann, größer als jeder der Roten, so daß er sich vorbeugen mußte. Das Laufen fiel ihm schwer, und der Riemen saß sehr straff. Al folgte dichtauf und konnte daher mitansehen, wie man Measure behandelte. Aber es war nicht schwer für Al, in diesen Riemen einzudringen und ihn zu strecken, ihn immer weiter zu strecken, bis er nur locker um Measures Hals hing und lang genug war, daß Measure beinahe aufrecht laufen konnte. Das Ganze geschah so langsam, daß die Roten es nicht bemerkten. Doch AI wußte, daß ihnen schon früh genug auffallen würde, was er da tat.

Jedermann wußte, daß Rote keine Fußabdrücke hinterließen. Und wenn Rote Weiße als Gefangene nahmen, trugen sie sie meistens an Armen und Beinen wie aufgebrochenes Rotwild, damit die tolpatschigen Weißen keine Spuren hinterließen. Diese Roten also wollten verfolgt werden, da sie es zuließen, daß Al und Measure unentwegt Spuren hinterließen.

Andererseits sollte es aber auch nicht allzu leicht werden, sie zu finden. Nach einem schier endlosen Marsch gelangten sie an einen Bach und schritten ein Stück stromaufwärts, um dann noch etwa eine weitere Meile zu gehen, bevor sie schließlich an einer Lichtung hielten und ein Feuer machten.

In der Nähe gab es keine Farmen, aber das besagte nicht viel. Inzwischen würden die Pferde mit der blutigen Kleidung, den Wunden in ihren Flanken und den in die Sättel geritzten Namen zu Hause eingetroffen sein. Inzwischen würde jeder weiße Mann im ganzen Gebiet seine Familie nach Vigor Church bringen, wo sie von wenigen Männern bewacht werden konnte, während der Rest sich auf die Suche nach den vermißten Jungen machte. Inzwischen würde Ma bleich vor Entsetzen sein, während Pa die anderen Männer unentwegt antrieb, sie sollten keine Minute vergeuden, sie müßten die Jungen finden, wenn sie nicht bald kämen, würde er allein losreiten! Und die anderen würden zu ihm sagen: Beruhigt Euch, beruhigt Euch, allein könnt Ihr auch nicht viel ausrichten, wir kriegen sie schon, darauf könnt Ihr wetten. Und niemand würde zugeben, was doch alle wußten — daß Al und Measure bereits so gut wie tot waren.

Doch Al hatte nicht vor, tot zu sein. O nein. Er wollte ganz und gar lebendig sein.

Die Roten machten ein richtig großes und heißes Feuer, und das war bestimmt nicht zum Kochen gedacht. Da die Sonne schon grell und heiß brannte, schwitzten Al und Measure beträchtlich. Sie schwitzten noch mehr, als die Roten ihnen auch noch die Unterwäsche vom Leibe schnitten, so daß sie nun völlig nackt waren.

Plötzlich bemerkte einer der Roten Als Stirn. Er nahm ein großes Bündel Unterwäsche und rieb damit über Als Gesicht, rieb ziemlich fest, um das getrocknete Blut zu entfernen. Dann begann er auf die anderen einzuplappern. Alle versammelten sich um Al, schauten sich erst seine Stirn an und dann Measure. Al wußte, wonach sie suchten. Und er wußte auch, daß sie es nicht finden würden. Denn er hatte seine Stirn ohne jede Narbe geheilt, sein ganzes Gesicht war völlig ungezeichnet. Und auf Measures Stirn war natürlich auch nichts zu erkennen, da sie ihn nicht mit dem Messer bearbeitet hatten. Das würde ihnen für eine Weile zu denken geben.

Doch Al verließ sich nicht auf seine Heilkräfte, was ihre Rettung betraf. Es war zu schwierig sie einzusetzen, sie waren zu langsam — die Roten konnten mit Sicherheit schneller schneiden, als Al heilen konnte. Viel besser war es, wenn er seine Fähigkeit auf Dinge wie Stein und Metall anwandte.

Als sich nun einer der Roten vor Measure hinsetzte und ein Messer zückte, wartete Al nicht erst ab, bis er zu schneiden begann. Er holte sich das Messer geistig in seinen Kopf, den Stahl der Klinge — das Messer eines weißen Mannes, so wie sie auch die Musketen des weißen Mannes trugen. Er fand die Schneide und die Spitze, flachte sie ab, glättete sie, rundete sie.

Der Rote setzte das Messer auf Measures nackte Brust und versuchte zu schneiden. Measure wappnete sich gegen den Schmerz. Doch das Messer hinterließ ebensowenig eine Spur auf Measures Haut, wie es ein Löffel getan hätte.

Al hätte beinahe losgelacht, als er sah, wie der Rote sein Messer wieder absetzte und es erstaunt musterte. Er ließ die Klinge über seinen eigenen Finger fahren, um sie zu prüfen; Al dachte daran, sie in diesem Augenblick wieder rasierklingenscharf zu machen, aber die Regeln lauteten, daß er seine Fähigkeiten nur dazu verwenden durfte, die Dinge zu richten, nicht aber, um Verletzungen hervorzurufen. Die anderen scharrten sich um den Roten, schauten das Messer an. Einige von ihnen zogen den Roten auf, wahrscheinlich glaubten sie, daß er seine Klinge nicht sonderlich gepflegt hatte. Diese Zeit aber nutzte Al dazu, die anderen Stahlschneiden der roten Männer aufzuspüren und sie glatt und rund zu machen. Als er damit fertig war, hätten sie mit ihren Messern nicht einmal mehr eine Erbsenschote durchschneiden können.