»Das sagt Ta-Kumsaw aber nicht!«
»Na, und selbst wenn sie den Weißen irgendein scheußliches Verbrechen antun wollten — was ich nicht behaupten will —, glaubt denn auch nur einer von euch, daß Ta-Kumsaw oder Tenskwa-Tawa so dumm sind, dann auch noch mit ihrem eigenen Namen zu unterschreiben?«
»Die sind stolz darauf, Weiße umzubringen!«
»Wenn der rote Mann klug wäre, dann wäre er Weiß!«
»Versteht ihr jetzt, was ich mit Freund der Roten meine?«
Brustwehr-Gottes kannte diese Leute, und er wußte, daß die meisten von ihnen immer noch auf seiner Seite standen. Selbst die Grollenden und Knurrenden würden nicht auf eigene Faust irgendeine Dummheit begehen. Sie würden warten, bis die ganze Gruppe sich zum Handeln entschlossen hatte. Also ließ er sie ihn einen Freund der Roten heißen, denn wenn Männer Angst hatten und wütend waren, dann sagten sie oft Dinge, die sie später bereuten. Solange sie nur abwarteten. Und solange sie sich nicht gleich in einen Krieg gegen die Roten stürzten.
Denn Brustwehr hatte seine Zweifel, was diese ganze Angelegenheit anging. Die Sache war viel zu einfach, wie diese Pferde mit in die Sättel eingeritzten Namen nach Hause zurückgeschickt worden waren. Das war nicht die Art der Roten, nicht einmal jener schlimmen Roten, die einen auf der Stelle umbringen würden, sobald sie einen erblickten. Brustwehr verstand genug von den Roten, um zu wissen, daß sie einen Menschen nur marterten, um ihm Gelegenheit zu geben, sich als tapfer zu erweisen, und nicht, um die Leute zu terrorisierten. (Die meisten Roten zumindest — es gab allerdings auch einige andere Geschichten über die Irrakwa vor der Zeit, als sie zivilisiert geworden waren.) Wer immer dies hier also getan hatte, verhielt sich nicht wie ein echter Roter. Brustwehr war fest davon überzeugt, daß irgend jemand sie angestiftet hatte.
Die Franzosen in Detroit hatten schon seit Jahren versucht, zwischen den Roten und den amerikanischen Siedlern einen Krieg vom Zaun zu brechen — möglicherweise steckten sie dahinter. Vielleicht aber auch Bill Harrison. Diesem Kerl, der unten in seinem Fort am Hio wie eine Spinne lauerte, war so etwas durchaus zuzutrauen. Natürlich sprach Brustwehr nicht laut über diese Vermutung, weil dann manche Leute glauben würden, daß er nur neidisch auf Bill Harrison war, was ja auch stimmte — er war tatsächlich neidisch. Aber er wußte auch, daß Harrison ein bösartiger Mann war, der alles tun würde, damit die Dinge so liefen, wie er es haben wollte. Vielleicht würde er sogar ein paar wilde Rote anheuern, um in der Nähe von Prophetstown ein paar weiße Jungen umzubringen. Schließlich war es Tenskwa-Tawa gewesen, der die meisten Roten in Harrisons Gebiet dazu gebracht hatte, dem Whisky abzuschwören und nach Prophetstown zu kommen. Und es war Ta-Kumsaw gewesen, der die Hälfte der weißen Siedler dort unten vertrieben hatte. Für Brustwehr sah es danach aus, als steckte Harrison hinter der ganzen Sache; das erschien ihm sehr viel wahrscheinlicher als die Franzosen.
Doch nichts von dem konnte er laut sagen, weil es keine Beweise gab. Deshalb mußte er dafür sorgen, daß die Dinge ruhig blieben, bis die Sache sich aufklären ließ.
Was bald der Fall sein könnte. Sie hatten den alten Tack Sweeper mitgebracht, der schnaufend mit den Stärksten von ihnen Schritt gehalten hatte; es war beachtlich, wie kräftig er für einen Mann war, dessen Lungen sich beim Atmen wie eine Kinderrassel anhörten. Tack Sweeper besaß eine Fähigkeit, die nicht immer ganz zuverlässig war, worauf er selbst stets hinwies. Doch manchmal funktionierte sie erstaunlich gut. Er konnte sich eine Weile mit geschlossenen Augen an einen Ort stellen und gewissermaßen sehen, was dort in der Vergangenheit geschehen war. Es waren nur schnelle, kleine Visionen, einige wenige Gesichter. Wie damals, als sie befürchtet hatten, daß Jan de Vries sich selbst absichtlich umgebracht hatte oder möglicherweise ermordet worden war. Da hatte Tack gesehen, daß es ein Unfall gewesen war, und so hatten sie ihn im Kirchhof beerdigen können und hatten auch seinen Mörder nicht suchen müssen.
Und so hofften sie nun, daß Tack ihnen würde sagen können, was hier auf dieser Lichtung geschehen war. Er scheuchte sie alle an den Waldrand zurück, damit sie ihm nicht im Weg standen. Dann ging er mit geschlossenen Augen ganz langsam in der Mitte der Lichtung umher. »Ihr hättet euch hier nicht so erregen dürfen«, meinte er nach einer Weile. »Alles, was ich sehe, ist, wie ihr euch angeifert.« Sie lachten, irgendwie waren sie verlegen. Sie hätten es besser wissen müssen, als die Erinnerungen eines Ortes durcheinanderzubringen, bevor Tack ihn überprüft hatte.
»Das sieht nicht gut aus. Ich sehe ständig Gesichter von Roten. Ein Messer, alle möglichen Messer, die auf die Haut von Leuten einstechen. Ein herabsausendes Beil.«
Al Miller stöhnte auf.
»Das ist alles ein Durcheinander, so viel ist hier geschehen«, meinte Tack. »Ich kann nichts richtig erkennen. Nein. Nein, ich kann… ein Mann. Ein roter Mann, ich kenne sein Gesicht, ich habe ihn schon einmal gesehen — er steht einfach nur da, ohne sich zu rühren. Ich kenne das Gesicht.«
»Wer ist es?« fragte Brustwehr-Gottes. Aber er wußte es schon, er hatte eine gräßliche Vorahnung.
»Ta-Kumsaw«, sagte Tack. Dann öffnete er die Augen und blickte Brustwehr-Gottes beinahe entschuldigend an. »Ich hätte es auch nicht geglaubt, Brustwehr«, sagte er. »Ich habe immer gedacht, daß Ta-Kumsaw der tapferste Mann sei, dem ich je begegnet bin. Aber er war hier, und er hatte die Sache unter Kontrolle. Ich sehe ihn, wie er dort steht und wie er den Leuten sagt, was sie tun sollen. Hier vorn hat er gestanden. Ich kann ihn so deutlich erkennen, weil niemand anders längere Zeit an derselben Stelle gestanden hat. Und er war wütend. Daran besteht kein Zweifel.«
Brustwehr und die anderen glaubten ihm, alle wußten sie, daß Tack ein wahrhaftiger Mann war, und wenn er sagte, daß er sich sicher war, dann war er sich auch sicher. Aber es mußte doch irgendeinen Grund dafür geben. »Vielleicht ist er ja gekommen und hat die Jungen gerettet, habt ihr daran schon einmal gedacht? Vielleicht ist er gekommen und hat irgendeine Bande wilder Roter daran gehindert…«
»Rotenfreund!« schrie jemand.
»Ihr kennt doch Ta-Kumsaw! Er ist kein Feigling, und Jungen zu entführen, das ist eine feige Tat. Ihr kennt den Mann doch!«
»Niemand kennt einen roten Mann wirklich.«
»Ta-Kumsaw hat diese Jungen nicht entführt!« beharrte Brustwehr-Gottes. »Ich weiß es!«
Da verstummten alle, weil der alte Al Miller sich den Weg nach vorn bahnte, zu der Stelle, wo Brustwehr-Gottes stand. Er baute sich vor seinem Schwiegersohn auf, und seine Miene war ein Abbild der Hölle selbst, so wütend war er. »Ihr wißt überhaupt nichts, Brustwehr-Gottes Weaver! Ihr seid der nichtsnutzigste Abschaum, der sich jemals auf der Oberfläche eines Nachttopfs gebildet hat. Erst habt Ihr meine Tochter geheiratet und wolltet nicht zulassen, daß sie Zauber benutzt, weil Ihr Euch so verdammt sicher wart, daß das Teufelswerk sei. Und dann habt Ihr es zugelassen, daß sich deine Roten die ganze Zeit hier aufhalten durften. Und als wir einen Palisadenzaun bauen wollten, da habt Ihr gesagt, nein, wenn wir ein Staket bauen, dann haben die Franzosen nur etwas, was sie angreifen und niederbrennen können, wir werden uns mit den Roten anfreunden, dann lassen sie uns in Ruhe, wir werden mit den Roten Handel treiben. Und schaut einmal, wohin uns das jetzt geführt hat! Schaut einmal, was Ihr für uns getan habt! Wie sind wir doch jetzt alle froh darüber, daß wir auf Euch gehört haben! Ich glaube nicht, daß Ihr ein Freund der Roten seid, Brustwehr-Gottes. Ich glaube nur, daß Ihr der größte Narr seid, der jemals den Hio überquert und in den Westen gekommen ist; und die einzigen Leute, die noch dümmer sind als Ihr, sind wir, wenn wir auch nur eine weitere Minute auf Euch hören sollten!«