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»Ah«, sagte Harrison. »Einer der Überläufer.«

»Ich bin kein Überläufer«, erwiderte Measure. »Den ganzen Weg hat man mich behandelt wie einen Gefangenen. Ich kann beschwören, daß die Roten mich besser behandelt haben als Eure weißen Soldaten.«

»Das überrascht mich nicht sonderlich«, versetzte Harrison. »Die haben Euch bestimmt richtig nett behandelt. Wo ist der andere Überläufer?«

»Welcher andere Überläufer? Meint Ihr etwa meinen Bruder Alvin? Ihr wißt, wer ich bin, und Ihr laßt mich doch nicht nach Hause?«

»Erst mal beantwortet Ihr meine Fragen, dann werde ich es mir schon überlegen, ob ich auch Eure beantworten will.«

»Mein Bruder Alvin ist nicht hier, und er kommt auch nicht. Und nach allem, was ich bisher gesehen habe, bin ich auch ganz froh darüber.«

»Alvin? Ah, ja, man hat mir gemeldet, daß Ihr behauptet, Measure Miller zu sein. Nun, wir wissen aber, daß Measure Miller von Ta-Kumsaw und dem Propheten ermordet wurde.«

Measure spuckte aus. »Das wißt Ihr? Woher denn? Von ein paar zerrissenen, blutigen Kleidern? Nein, mir macht Ihr nichts vor. Meint Ihr denn, ich würde nicht sehen, was Ihr hier tut?«

»Bringt ihn in den Keller«, befahl Harrison. »Und seid schön sanft zu ihm.«

»Ihr wollt überhaupt nicht, daß die Leute erfahren, daß ich noch am Leben bin, denn dann werden sie merken, daß sie Euch hier oben gar nicht brauchen!« rief Measure. »Es würde mich überhaupt nicht überraschen, wenn Ihr es gewesen wärt, der die Chok-Taw überhaupt dazu gebracht haben, uns gefangenzunehmen!«

»Wenn das wahr wäre«, meinte Harrison, »dann würde ich an Eurer Stelle meine Zunge hüten. Dann würde ich mir nämlich ziemlich viel Sorgen machen, ob ich überhaupt jemals wieder lebendig nach Hause käme. Schaut Euch doch einmal an. Eure Haut, so rot wie ein Kardinalvogel, in einen Lendenschurz gekleidet, so verwildert wie ein Alptraum. Nein, ich schätze, wenn man Euch aus Versehen erschießen würde, könnte uns niemand deswegen einen Vorwurf machen.«

»Mein Vater würde es wissen«, sagte Measure. »Den könnt Ihr mit einer solchen Lüge nicht ins Bockshorn jagen, Harrison. Und Brustwehr-Gottes, der …«

»Brustwehr-Gottes? Dieser erbärmliche Schwächling? Der den Leuten ständig sagt, daß Ta-Kumsaw und der Prophet unschuldig sind und daß wir nicht versuchen sollten, sie auszulöschen? Auf den hört inzwischen niemand mehr, Measure.«

»Das werden sie aber tun. Alvin ist noch am Leben und den werdet Ihr nie fangen.«

»Warum nicht?«

»Weil er bei Ta-Kumsaw ist.«

»Ach, und wo ist das?«

»Jedenfalls nicht hier, darauf könnt Ihr wetten.«

»Ihr habt ihn gesehen? Und den Propheten auch?«

Der gierige Ausdruck in Harrisons Augen ließ Measure verstummen. »Ich habe nur gesehen, was ich gesehen habe«, sagte Measure. »Und ich werde nur sagen, was ich sagen will.«

»Beantwortet meine Fragen, sonst seid Ihr ein toter Mann«, erwiderte Harrison.

»Wenn Ihr mich umbringt, dann sage ich überhaupt nichts. Aber eins will ich Euch sagen: Ich habe gesehen, wie der Prophet einen Tornado aus einem Gewitter herbeigerufen hat. Ich habe ihn auf dem Wasser gehen sehen. Ich habe gesehen, wie er Dinge prophezeit hat, und seine Prophezeiungen sind alle wahr geworden. Er weiß alles, was Ihr vorhabt. Ihr meint, daß Ihr tätet, was Ihr wollt, aber am Ende werdet Ihr doch nur seinen Plänen dienen, wartet nur ab.«

»Welch ein Gedanke!« sagte Harrison lachend. »Nach dieser Rechnung müßte es doch seinen Zwecken dienen, daß Ihr in meine Gewalt geraten seid, nicht wahr?« Er wedelte mit den Händen, und die Soldaten zerrten Measure aus dem Haus und brachten ihn hinunter in den Vorratskeller. Auf dem Weg dorthin behandelten sie ihn richtig sanft — sie traten ihn und schlugen ihn zu Boden und taten alles, was sie ihm nur antun konnten, bevor sie ihn schließlich die Treppe hinunterwarfen und über ihm die Luke verriegelten.

Da die Leute, die hier eigentlich wohnten, aus dem Gebiet um Carthage stammten, besaß die Kellertür nicht nur einen Riegel, sondern auch ein Schloß. Unten zwischen den Rüben, den Kartoffeln und den Spinnen verlor Measure keine Zeit. Sein ganzer Körper schmerzte, doch er wußte, daß Harrison ihn nicht mehr lebendig von hier fortziehen lassen durfte. Er hatte die Späher losgeschickt, um nach ihm und Alvin Ausschau zu halten. Wenn sie jetzt lebendig wiederkehrten, würde das alle seine Pläne zunichte machen; und das wäre wirklich schade, da im Augenblick doch alles so lief, wie Harrison es haben wollte. Nach all diesen Jahren war er nun hier bei Vigor Church, um die Leute des Ortes zu Soldaten zu drillen, während niemand mehr auf das Wort von Brustwehr-Gottes hörte. Measure mochte den Propheten zwar nicht besonders, aber verglichen mit Harrison war der Prophet der reinste Heilige.

Doch war er das wirklich? Der Prophet hatte ihn auf das Gatlopp warten lassen — warum? Damit er nicht schon am Morgen, sondern erst am Nachmittag losging. Damit er den Tippy-Canoe genau im richtigen Augenblick erreichte, als die Soldaten dort entlangritten. Sonst wäre er nach Prophetstown gekommen und von dort nach Vigor Church übergesetzt, ohne auch nur einem Soldaten zu begegnen. Die hätten ihn nie gefunden, wenn er sie nicht selbst sogar angerufen hätte. Gehörte all dies zum Plan den Propheten?

Und wenn dem so sein sollte? Vielleicht verhieß der Plan des Propheten etwas Gutes, vielleicht aber auch nicht — Measure aber hielt nicht allzu viel davon. Jedenfalls würde er nicht in einem Kartoffelkeller herumsitzen und abwarten, wie gut sich der Plan bewährte.

Im hinteren Teil des Kellers grub er sich einen Weg durch die Kartoffeln. Schon bald hatte er sich hineingegraben und seine Bahn hinter sich mit Kartoffeln bedeckt. Sollte jetzt jemand die Tür öffnen, würde er nur einen Haufen Kartoffeln zu sehen bekommen.

Es war ein normaler Keller, ausgehoben, mit Holz ausgeschlagen, überdacht, das Dach mit dem ausgehobenen Erdreich bedeckt. Er würde sich durch die Hinterwand graben und hinter dem Keller herauskommen, ohne daß man vom Haus aus etwas davon sah. Es bedeutete zwar, mit bloßen Händen zu schaufeln, aber die Erde war hier recht locker. Am Ende würde er zwar mehr einem Schwarzen als einem Roten gleichen, wenn er herauskam, doch das machte ihm nicht viel aus.

Leider bestand die hintere Wand aber nicht aus Erdreich, sondern aus Holz. Sie hatten den Keller bis zum Boden mit Holzwänden ausgeschlagen. Ordentliche Leute. Der Boden allerdings war aus Erdreich. Das bedeutete jedoch, daß er erst ein Loch unter der Wand hindurch graben mußte, bevor er wieder in die Höhe stieß. Das war nichts, was er in einer Nacht hätte schaffen können, wie er gehofft hatte, es würde Tage dauern. Und dabei konnten sie ihn jederzeit erwischen. Oder sie zerrten ihn einfach heraus und erschossen ihn. Vielleicht übergaben sie ihn aber auch den Chok-Taw, damit die zu Ende führen konnten, was sie begonnen hatten — so würde es zum Schluß doch noch so aussehen, als hätten Ta-Kumsaw und der Prophet ihn gemartert.

Sein Heim lag keine zehn Meilen entfernt. Das war es, was ihn schier in den Wahnsinn trieb. Er war so dicht am Ziel, und niemand wußte davon, niemand ahnte, daß er hierher kommen mußte, um ihm zu helfen. Er erinnerte sich an das Fackelmädchen vom Hatrack River vor vielen Jahren, das gesehen hatte, wie sie im Fluß festsaßen, und das ihnen Hilfe geschickt hatte. Die könnte ich jetzt gebrauchen, ich brauche eine Fackel, jemanden, der mich aufspürt und mir Hilfe schickt.

Doch das war nicht allzu wahrscheinlich. Nicht für Measure. Ja, wenn es um Alvin gegangen wäre, dann hätte es wahrscheinlich zahllose Wunder gegeben, alles, was ihn in Sicherheit gebracht hätte. Doch für Measure gab es immer nur das, was er sich selbst erarbeitete.