»Eisen«, fuhr Napoleon fort.
»Wir besitzen kein Eisen.«
»Nein. Aber sie wissen, wo es ist. In den oberen Gebieten des Mizzipy und entlang des Mizota. In der Nähe des Westufers des High Water Lake. Alles, was sie wollen, ist Euer Versprechen, daß Ihr Ihren Boten nichts antun werdet, wenn sie das Eisenerz nach Irrakwa bringen, und ihren Bergarbeitern auch nicht, wenn sie es schürfen.«
»Friede in der Zukunft im Tausch gegen Gewehre heute?«
»Ja«, bestätigte Napoleon.
»Fürchten sie denn nicht, daß ich die Gewehre gegen sie richten könnte?«
»Sie wollen Euer Versprechen, daß Ihr es nicht tut.«
Ta-Kumsaw dachte darüber nach. »Richtet ihnen folgendes aus. Ich verspreche, daß keines der Gewehre, daß sie uns geben, jemals gegen irgendeinen Irrakwa gerichtet werden wird. Alle meine Männer werden diesen Eid ableisten. Und wir werden auch nie eines ihrer Boote auf dem Wasser angreifen oder ihre Bergarbeiter, während sie schürfen.«
»Und das meint Ihr auch?« fragte Napoleon.
»Wenn ich es sage, meine ich es auch«, erwiderte Ta-Kumsaw.
»Obwohl Ihr sie so haßt?«
»Ich hasse sie, weil das Land sie haßt. Wenn der weiße Mann verschwunden und das Land wieder stark ist und nicht krank, dann mögen Erdbeben die Schürfarbeiter verschlingen, sollen Stürme die Schiffe zum Sinken bringen, und dann werden die Irrakwa entweder wieder zu wahren roten Männern werden, oder sie werden sterben. Ist der weiße Mann erst einmal verschwunden, wird das Land streng zu jenen seiner Kinder sein, die bleiben.«
Dann endete ihre Begegnung. Ta-Kumsaw erhob sich und schüttelte die Hand des Generals. Alvin überraschte die beiden, indem er vortrat und ebenfalls die Hand ausstreckte.
Amüsiert schüttelte Napoleon sie. »Sagt dem Jungen, daß er gefährliche Gesellschaft pflegt«, meinte er.
Ta-Kumsaw dolmetschte es. Alvin blickte ihn mit geweiteten Augen an. »Meint er damit Euch?« fragte er.
»Ich denke schon«, erwiderte Ta-Kumsaw.
»Aber er ist doch der gefährlichste Mann der Welt«, warf Alvin ein.
Napoleon lachte, als Ta-Kumsaw ihm die Worte des Jungen übersetzt hatte. »Wie kann ich gefährlich sein? Ein kleiner Mann, der hier draußen mitten in der Wildnis festsitzt, wo doch Europa die Mitte der Welt ist, wo doch dort gerade große Kriege stattfinden, an denen ich nicht teilnehmen kann!«
Ta-Kumsaw brauchte es nicht zu dolmetschen. Der Junge verstand Napoleons Ton und seinen Gesichtsausdruck. »Er ist so gefährlich, weil er Leute dazu bringt, ihn zu lieben, obwohl er es nicht verdient hat.«
Ta-Kumsaw spürte die Wahrheit in den Worten des Jungen. Napoleon war tatsächlich gefährlich, gefährlich und böse und finster. Ist er der Mann, auf dessen Hilfe ich mich verlasse? Der mein Verbündeter sein soll? Ja, er ist es, weil ich keine andere Wahl habe. Ta-Kumsaw übersetzte ihm jedoch nicht, was der Junge gesagt hatte, obwohl Napoleon darauf drängt. Bisher hatte der französische General nicht versucht, seinen Zauber gegen den Jungen anzuwenden.
Wenn er die Worte des Jungen in Erfahrung gebracht hätte, könnte er es vielleicht versuchen, und möglicherweise würde Alvin davon eingenommen werden. Ta-Kumsaw begann den Jungen zu schätzen. Vielleicht war er zu stark für Napoleon, um sich verzaubern zu lassen. Vielleicht würde er aber auch zu seinem ihn bewundernden Sklaven werden wie de Maurepas. Es war besser, ihn nicht auf die Probe zu stellen.
Alvin bestand darauf, die Kathedrale zu besichtigen. Einer der Priester reagierte entsetzt bei dem Gedanken, Männer im Lendenschurz hereinzulassen, doch ein anderer tadelte ihn und hieß sie im Inneren der Kirche willkommen. Ta-Kumsaw amüsierte sich immer über die Heiligenstatuen. Wann immer möglich, stellte man die Heiligen dar, wie sie auf die schrecklichste Weise gefoltert wurden. Die Weißen mochten zwar den ganzen Tag lang darüber reden, wie barbarisch es von den Roten sei, ihre Gefangenen zu martern, damit sie ihren Mut unter Beweis stellen konnten. Doch vor welchen Statuen knieten sie danach nieder, um zu beten? Vor Menschen, die unter der Marter Mut bewiesen hatten!
Als sie die Stadt verließen, sprach er länger mit Alvin darüber. Sie hatten es nun nicht mehr eilig. Er erklärte dem Jungen auch, wie es ihnen gelungen war, so schnell so weit zu laufen. Und wie außergewöhnlich es für einen weißen Jungen war, mit ihnen Schritt gehalten zu haben.
Alvin schien zu verstehen, wie die Roten mit dem Land in Einklang lebten; zumindest versuchte er es. »Ich glaube, ich habe es gespürt, als ich lief. Das ist, als wäre ich nicht ich selbst. Meine Gedanken schweifen umher. Wie im Traum. Und während ich fort bin, sagt etwas anderes meinem Körper, was er tun soll. Es ernährt ihn, es benutzt ihn, es bringt ihn dorthin, wo es hin will. Ist es das, was Ihr fühlt?«
Das war es überhaupt nicht, was Ta-Kumsaw fühlte. Wenn das Land in ihn eindrang, dann fühlte er sich lebendiger denn je; nicht fern von seinem Körper, sondern kraftvoller in ihm verwurzelt als jemals sonst. Doch das erklärte er dem jungen nicht. Statt dessen gab er Alvin die Frage zurück. »Du sagst, es sei wie Träumen. Was hast du letzte Nacht geträumt?«
»Ich habe wieder viel von den Visionen geträumt, die ich hatte, als ich im Kristallturm war mit dem leuchtenden — mit dem Propheten.«
»Mit dem leuchtenden Mann. Ich weiß, daß du ihn so nennst — er hat mir auch gesagt, warum.«
»Diese Dinge habe ich wieder geträumt. Nur daß es anders war. Diesmal konnte ich einige Dinge klarer erkennen, während ich andere vergessen habe.«
»Hast du irgend etwas geträumt, was du vorher nicht geschaut hast?«
»Ja, von diesem Ort hier. Von den Statuen in der Kathedrale. Und von dem General, den wir aufgesucht haben. Und etwas noch viel Seltsameres. Ein großer Berg, fast rund — nein, mit acht Seiten. Daran erinnere ich mich noch. Ein Hügel mit acht glatten Hängen, und darin war eine ganze Stadt, voller kleiner Zimmer, wie in einem Ameisenhügel, aber groß genug für Menschen. Oder jedenfalls für Wesen, die größer waren als Ameisen. Und ich stand ganz oben, ging zwischen all diesen seltsamen Bäumen umher — sie hatten silberne Blätter, keine grünen —, und ich suchte nach meinem Bruder. Nach Measure.«
Lange Zeit sagte Ta-Kumsaw nichts. Doch er dachte über vieles nach. Kein weißer Mann hatte diesen Ort jemals gesehen — das Land war noch immer stark genug, um die Weißen daran zu hindern. Und doch hatte dieser Junge davon geträumt. Und ein Traum vom Achtgesichtigen Hügel kam nie zufällig. Immer bedeutete er etwas, und immer dasselbe.
»Wir müssen dorthin«, entschied Ta-Kumsaw.
»Wohin?«
»Zu dem Hügel, von dem du geträumt hast«, sagte Ta-Kumsaw.
»Es gibt tatsächlich so einen Ort?«
»Kein weißer Mann hat ihn jemals zu sehen bekommen. Wenn ein Weißer dort stünde, dann wäre das… schmutzig.«
Alvin antwortete nichts. Was hätte er auch sagen sollen? Ta-Kumsaw schluckte schwer. »Aber wenn du davon geträumt hast, mußt du auch dorthin gehen.«
»Was ist das?«
Ta-Kumsaw schüttelte den Kopf. »Der Ort, von dem du geträumt hast, das ist alles. Wenn du mehr darüber wissen willst, mußt du wieder davon träumen.«
Es war fast Nacht, als sie das Lager erreichten; inzwischen hatte man Wigwams aufgebaut, weil es so aussah, als würde es heute nacht noch mehr regnen. Die anderen bestanden darauf, daß Ta-Kumsaw sich mit Alvin eine Behausung teilte, damit er in Sicherheit war. Ta-Kumsaw aber wollte das nicht. Der Junge machte ihm angst. Das Land tat Dinge mit diesem Jungen, ohne Ta-Kumsaw zu zeigen, was dabei geschah.
Doch wenn man im Traum den Achtgesichtigen Hügel schaute, blieb einem keine andere Wahl, als ihn aufzusuchen. Und da Alvin den Ort allein niemals würde finden können, mußte Ta-Kumsaw ihn hinbringen.