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»Aber Ihr könnt doch Englisch lesen«, widersprach Alvin.

»Nicht hier«, erklärte Ta-Kumsaw.

Alvin sah den Brief an, alle drei Seiten, und mußte zu seiner Überraschung feststellen, daß er ihn auch nicht lesen konnte. Die Buchstaben sahen alle vertraut aus. Wenn er sie genauer ansah, konnte er sie sogar benennen.

DER-MACHER-BRAUCHT-DICH, so fing es an, aber das ergab für Al überhaupt keinen Sinn. Er war sich nicht einmal sicher, in welcher Sprache der Brief geschrieben war. »Ich kann es auch nicht lesen«, sagte er und gab ihn Geschichtentauscher zurück. Geschichtentauscher musterte den Brief eine Zeit, dann lachte er und steckte ihn wieder in eine Rocktasche. »Ach, da ist aber eine Geschichte für mein Buch! Ein Ort, wo man nicht lesen kann.«

Zu Alvins Überraschung fing Ta-Kumsaw an zu lächeln. »Nicht einmal Ihr?«

»Ich weiß, was drin steht, weil ich ihn schon einmal gelesen habe«, erwiderte Geschichtentauscher. »Aber heute kann ich kein einziges Wort ausmachen. Selbst wenn ich weiß, welches Wort es eigentlich sein soll. Was ist das denn für ein Ort hier?«

»Wir sind im Feuersteinland«, sagte Alvin.

»Wir befinden uns im Schatten des Achtgesichtigen Hügels«, erklärte Ta-Kumsaw.

»Ich wußte gar nicht, daß man als Weißer überhaupt hierher kommen könnte«, meinte Geschichtentauscher.

»Ich auch nicht«, antwortete Ta-Kumsaw. »Aber nun haben wir hier einen weißen Jungen und einen weißen Mann.«

»Letzte Nacht habe ich von Euch geträumt«, erzählte Alvin. »Ich habe geträumt, daß ich auf dem Gipfel des Achtgesichtigen Hügels stehe und daß Ihr bei mir wart und mir Sachen erklärt habt.«

»Darauf verlaß dich lieber nicht«, sagte Geschichtentauscher. »Ich bezweifle, daß es auf dem Achtgesichtigen Hügel etwas gibt, das ich irgend jemandem erklären könnte.«

»Wie seid Ihr hierhergekommen?« fragte Ta-Kumsaw. »Wenn Ihr gar nicht wußtet, daß Ihr ins Feuersteinland kommen würdet?«

»Sie hat mir gesagt, ich solle den Musky-Ingum hinaufgehen und an einem weißen Fels den Weg nach links nehmen. Sie sagte, daß ich dort an einem Feuer Alvin Miller Junior mit Ta-Kumsaw finden würde.«

»Wer hat Euch all das erzählt?« wollte Alvin wissen.

»Eine Frau«, erwiderte Geschichtentauscher. »Eine Fackel. Sie hat mir gesagt, daß sie dich in einer Vision geschaut hat, Alvin, in einem Kristallturm, das ist jetzt kaum mehr als eine Woche her. Sie war es, die den Mutterkuchen von deinem Gesicht gezogen hat, als du geboren wurdest. Seitdem hat sie über dich gewacht, wie es eine Fackel eben tut. Sie ist mit dir in den Turm eingetreten und hat durch deine Augen geschaut.«

»Der Prophet hat auch gesagt, daß jemand bei uns sei«, meinte Alvin.

»Sie hat auch durch seine Augen geschaut«, erzählte Geschichtentauscher, »und sie hat all seine Zukünfte gesehen. Der Prophet wird sterben. Morgen früh. Von einer Kugel aus dem Lauf deines eigenen Vaters getroffen, Alvin.«

»Nein!« hei Alvin.

»Es sei denn«, fuhr Geschichtentauscher fort, »es sei denn, daß Measure noch rechtzeitig kommt, um deinem Vater zu zeigen, daß er noch am Leben ist, daß Ta-Kumsaw und der Prophet ihm nie irgendwelche Wunden zugefügt haben und dir auch nicht.«

»Aber Measure ist doch schon vor Tagen losgegangen!«

»Das stimmt, Alvin. Aber er wurde von Gouverneur Harrisons Leuten gefangengenommen. Harrison hat ihn in seiner Gewalt, und heute, vielleicht sogar in diesem Augenblick, ist einer von seinen Leuten dabei, ihn umzubringen. Er bricht ihm die Knochen, bricht ihm das Genick. Morgen wird Harrison Prophetstown mit seinen Kanonen angreifen und alle töten. Sämtliche Einwohner. Es wird so viel Blut fließen, daß der Tippy-Canoe und der Wobbish bis zum Hio rot gefärbt werden.«

Ta-Kumsaw sprang auf. »Ich muß zurück. Ich muß …«

»Ihr wißt, wie weit Ihr davon entfernt seid«, warf Geschichtentauscher ein. »Ihr wißt, wo Eure Krieger sind. Selbst wenn Ihr die ganze Nacht und den ganzen Tag liefet, so schnell, wie nur ihr Roten es könnt…«

»Morgen mittag«, sagte Ta-Kumsaw.

»Dann wird er bereits tot sein«, versetzte Geschichtentauscher.

Ta-Kumsaw schrie auf vor Schmerz, so laut, daß die Vögel ebenfalls Schreie ausstießen und davonstoben.

»Einen Augenblick noch! Wenn wir nichts dagegen tun könnten, hätte sie mich ja wohl kaum losgeschickt, um euch beiden nachzujagen, oder? Begreift ihr denn nicht, daß wir es hier mit einem Plan zu tun haben, der größer ist als wir alle? Warum wurden ausgerechnet Alvin und Measure von den Roten Harrisons entführt? Warum seid ihr jetzt hier und ich auch, ausgerechnet an diesem Tag, da man uns am meisten braucht?«

»Man braucht uns dort«, wandte Ta-Kumsaw ein.

»Das glaube ich nicht«, widersprach Geschichtentauscher. »Wenn man uns dort brauchte, dann würden wir auch dort sein. Nein, man braucht uns gerade hier.«

»Ihr seid wie mein Bruder, der versucht, mich in seine Pläne einzupassen!«

»Ich wünschte, ich wäre wie Euer Bruder. Er hat Visionen und sieht, was geschieht, während ich lediglich einen Brief von einer Fackel erhalte. Aber hier bin ich nun, und hier seid auch Ihr, und wenn wir nicht hier sein sollten, dann wären wir es einfach nicht, ob Euch das nun gefällt oder nicht.«

Alvin mochte das Gerede über das, was geschehen sollte, nicht. Wer machte denn nur diese Annahmen? Was wollte Geschichtentauscher damit sagen — daß sie alle nur Marionetten waren? Gab es da jemanden, der sie irgendwie umherbewegte, so, wie es ihm gerade gefiel? »Wenn irgend jemand es so darauf abgesehen hat, alles zu leiten«, wandte Alvin ein, »dann hat er jedenfalls ziemlichen Mist gebaut, uns in eine solche Lage zu bringen.«

Geschichtentauscher grinste. »Dir liegt die Religion wirklich nicht, nicht wahr, mein Junge?«

»Ich glaube einfach nur nicht, daß irgend jemand uns zu irgend etwas zwingt.«

»Das habe ich auch nicht behauptet«, sagte Geschichtentauscher. »Ich sage nur, daß die Dinge nie so schlimm werden, als daß wir sie nicht noch irgendwie verbessern könnten.«

»Nun, Vorschläge lasse ich mir gern gefallen. Was soll ich denn nach der Meinung dieser Fackel tun?« fragte Alvin.

»Sie sagt, daß du den Berg besteigen und Measure heilen sollst. Frag mich nicht nach Einzelheiten — das ist alles, was sie gesagt hat. In dieser Gegend gibt es keinen Berg, der diesen Namen verdient hätte, und Measure befindet sich in einem Keller hinter dem Haus von Vinegar Reiley…«

»Das kenne ich«, sagte Alvin. »Ich bin schon einmal dagewesen. Aber ich kann nicht… Ich meine, ich habe doch noch nie versucht, jemanden zu heilen, der sich nicht direkt vor mir befand.«

»Genug Gerede«, warf Ta-Kumsaw ein. »Weißer Junge, der Achtgesichtigen Hügel hat dich in einem Traum gerufen. Dieser Mann ist gekommen, um dir zu sagen, daß du den Berg besteigen sollst. Alles beginnt, wenn du ihn besteigst. Sofern du es kannst.«

»Manche Dinge enden auch auf dem Achtgesichtigen Hügel«, meinte Geschichtentauscher.

»Was weiß ein Weißer schon von diesem Ort?« fragte Ta-Kumsaw.

»Überhaupt nichts«, antwortete Geschichtentauscher. »Aber ich habe vor vielen Jahren am Bett einer sterbenden Irrakwa-Frau gekniet, und sie sagte mir, was das Wichtigste in ihrem Leben gewesen war. Sie war die letzte Irrakwa gewesen, die jemals im Achtgesichtigen Hügel gestanden hatte.«

»Die Herzen der Irrakwa sind alle weiß geworden«, sagte Ta-Kumsaw. »Heute würde der Achtgesichtige Hügel sie nicht mehr einlassen.«

»Aber bin ich nicht auch weiß?« wandte Alvin ein.

»Eine sehr gute Frage«, meinte Ta-Kumsaw. »Der Hügel wird dir die Antwort darauf geben. Vielleicht lautet die Antwort, daß du nicht hinaufgehst und daß alle sterben. Komm.«