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»Vater«, sagte Brustwehr-Gottes.

»Du hast recht gehabt, Brustwehr«, sagte Miller, ohne ihn anzusehen. Er hob seine Hände. »Hier ist er, der Beweis dafür, daß du recht hattest.«

»Measure hat mir gesagt, daß ich von jedem von Euch die Geschichte einmal hören muß«, sagte Brustwehr und wandte sich um, um seine Worte an alle zu richten. »Aber danach werdet ihr von mir kein weiteres Wort mehr darüber hören. Ich bin noch immer euer Sohn und Bruder, sofern ihr mich haben wollt; meine Frau ist eure Tochter und eure Schwester, und ihr seid die einzigen Verwandten, die ich hier draußen habe.«

»Zu deiner Schande«, flüsterte David.

»Bestrafe mich jetzt nicht dafür, daß meine Hände rein sind«, sagte Brustwehr.

Calm streckte ihm eine blutige Hand entgegen. Brustwehr nahm sie ohne zu zögern, schüttelte sie fest, dann ließ er sie fahren.

»Schaut euch das an, wenn du uns berührst, geht es auf dich über!«

Zur Antwort streckte Brustwehr dieselbe befleckte Hand Miller entgegen. Nach einer Weile nahm Miller sie.

15. Zwei-Seelen-Mann

Geschichtentauscher erwachte, als es zu dämmern begann. Sofort merkte er, daß etwas nicht stimmte. Ta-Kumsaw saß auf dem Gras, das Gesicht nach Westen gewandt, schaukelte vor und zurück und atmete schwer, als würde er unter einem stumpfen und schweren Schmerz leiden. War er krank?

Nein. Alvin hatte versagt. Das Gemetzel hatte begonnen. Ta-Kumsaws Schmerz entsprang nicht seinem eigenen Körper. Es war Ta-Kumsaws sterbendes Volk, irgendwo in der Ferne, und was er spürte, das war nicht Trauer und nicht Mitleid, es war der Schmerz seines Todes. Für einen Roten wie Ta-Kumsaw bedeutete ein solch starkes Gefühl, daß viele, viele Seelen den Tod gefunden haben mußten.

Wie so oft schon zuvor, richtete Geschichtentauscher einige stumme Worte an Gott, die immer auf dieselbe Frage hinausliefen: Warum machst du uns so viele Mühe, wenn am Schluß doch alles sinnlos ist? Geschichtentauscher ertrug die Sinnlosigkeit des Ganzen nicht. Ta-Kumsaw und Alvin waren durch das Land gejagt, und er, Geschichtentauscher, war so schnell gelaufen, wie es ein weißer Mann nur konnte; und Alvin hatte den Achtgesichtigen Hügel aufgesucht — aber was hatte es bewirkt? Hatten sie auch nur ein Leben gerettet? Im Augenblick starben so viele, daß Ta-Kumsaw es sogar auf die weite Entfernung spürte.

Und wie üblich hatte Gott Geschichtentauscher nicht viel zu sagen.

Geschichtentauscher wollte Ta-Kumsaw nicht stören. Genauer gesagt erriet er, daß es Ta-Kumsaw nicht sonderlich danach verlangte, ausgerechnet in diesem Moment mit einem Weißen Mann zu reden. Und doch spürte er eine Vision, die in seinem Inneren wuchs. Keine Vision, wie sie die Propheten Gerüchten zufolgte schauten, keine Vision der inneren Schau. Geschichtentauscher erfuhr Visionen als Worte, und er wußte nicht, um welche Vision es sich handelte, bis seine eigenen Worte es ihm sagten. Und selbst dann wußte er noch, daß er kein Prophet war; seine Visionen waren nie von jener Art, wie sie die Welt veränderten, nur von jener, wie sie die Welt beschrieben, wie sie sie verstanden. Jetzt aber verwandte er keinen einzigen Gedanken darauf, ob seine Visionen würdig waren oder nicht. Die Vision kam zu ihm, und er mußte sie festhalten. Da ihm aber an diesem Ort die Möglichkeit genommen war, Worte aufzuschreiben, konnte er sie nicht schriftlich festhalten. Was blieb ihm dann anderes übrig, als sie laut auszusprechen?

Also sprach Geschichtentauscher, formte die Worte zu Zweizeilern, während er sie aufsagte, weil dies die Weise war, wie Visionen auszudrücken waren, durch Dichtung. Es war zunächst eine verwirrende Geschichte, und Geschichtentauscher war sich nicht sicher, ob es Gott oder Satan war, dessen entsetzliches Licht ihn blendete, als die Worte hervorperlten. Er wußte nur, daß der, der es sein mochte, der der Welt ein solches Gemetzel beschert hatte, Geschichtentauschers Zorn wahrhaftig verdient hatte, und so zögerte er auch nicht, ihn in seiner Sprache zu geißeln.

So intensiv war der Strom der Worte, daß Geschichtentauscher dabei kaum atmete, keine sinnspendende Pause im Rhythmus seiner Rede einlegte, daß seine Stimme lauter und lauter wurde, als sich ihm die Zeilen entrangen, und daß er gegen die harte Mauer aus Luft anrannte, die ihn umgab, als wollte er Gott herausfordern, ihn anzuhören und seinem Trotz zu widerstehen.

»Halt!«

Es war Ta-Kumsaw. Geschichtentauscher wartete mit aufgesperrtem Mund, weitere Worte, weitere Pein wartete darauf, aus ihm hervorzuströmen. Doch Ta-Kumsaw war jemand, dem man gehorchte.

»Es ist vorbei«, sagte Ta-Kumsaw.

»Sind alle tot?« flüsterte Geschichtentauscher.

»Von hier aus kann ich kein Leben spüren«, antwortet Ta-Kumsaw. »Ich kann den Tod spüren — die Welt ist zerrissen wie ein altes Tuch, nie kann sie wieder geflickt werden.« Verzweiflung wich sofort dem kalten Haß. »Aber man kann sie reinigen.«

»Wenn ich es hätte verhindern können, Ta-Kumsaw …«

»Ja, Ihr seid ein guter Mann, Geschichtentauscher. In Eurem Volk gibt es auch andere von Eurer Art. Brustwehr-Gottes Weaver ist ein solcher Mann. Und wenn alle weißen Männer, die kämen, so wären wie Ihr, um von diesem Land zu lernen, dann gäbe es zwischen uns keinen Krieg.«

»Es gibt auch keinen Krieg zwischen Euch und mir, Ta-Kumsaw.«

»Könnt Ihr die Farbe Eurer Haut ändern? Kann ich meine ändern?«

»Es ist nicht unsere Haut, es ist unser Herz…«

»Wenn wir dastehen, alle roten Männer auf einer Seite des Feldes und alle weißen Männer auf der anderen Seite, wo werdet Ihr dann stehen?«

»In der Mitte, um beide Seiten anzuflehen, zu…«

Wie hätte Geschichtentauscher ihm widersprechen können? Vielleicht hätte er den Mut aufgebracht, eine solche Entscheidung zu verweigern. Vielleicht aber auch nicht. »Betet zu Gott, daß es niemals dazu kommen wird.«

»Dazu ist es bereits gekommen, Geschichtentauscher.« Ta-Kumsaw nickte. »Nach diesem Tag werde ich keine Schwierigkeiten mehr haben, endlich meine Rotenarmee auszuheben.«

Geschichtentauschers Erwiderung brach spontan aus ihm heraus: »Dann ist es ein schreckliches Werk, das Ihr gewählt habt, wenn der Tod so vieler guter Menschen es beflügelt!«

Ta-Kumsaw antwortete mit einem Brüllen; plötzlich sprang er Geschichtentauscher an, und warf ihn auf den Grasboden der Wiese. Ta-Kumsaws rechte Hand packte des weißen Haar; seine Linke drückte gegen Geschichtentauschers Kehle. »Alle weißen Männer werden sterben, alle, die nicht über das Meer fliehen!«

Und doch stand ihm der Sinn nicht nach Mord. Selbst in seinem Zorn drückte Ta-Kumsaw nicht so fest zu, als daß er Geschichtentauscher erwürgt hätte. Im nächsten Augenblick stieß sich der rote Mann ab und rollte beiseite, vergrub sein Gesicht im Gras, Arme und Beine ausgestreckt, um mit seinem Körper soviel von der Erde zu berühren, wie er nur konnte.

»Es tut mir leid«, flüsterte Geschichtentauscher. »Ich war im Unrecht, so etwas zu sagen.«

»Lolla-Wossiky!« .rief Ta-Kumsaw. »Ich wollte nicht recht behalten, mein Bruder!«

»Ist er am Leben?« fragte Geschichtentauscher.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Ta-Kumsaw. Er drehte den Kopf, um die Wange gegen das Gras zu pressen; seine Blicke jedoch durchbohrten Geschichtentauscher, als wollte er ihn damit töten. »Geschichtentauscher, diese Worte, die Ihr gesagt habt — was haben sie zu bedeuten? Was habt Ihr gesehen?«

»Ich habe nichts gesehen«, sagte Geschichtentauscher. Und dann fuhr er fort, obgleich er die Wahrheit seiner Worte erst durch das Sprechen selbst erfuhr: »Es war Alvins Vision, von der ich gesprochen habe. Es war, was er schaute. Meine Brüder und mein Vater gehen voran, die Himmel befleckt von menschlichem Blute. Es war seine Vision und mein Gedicht.«