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»Ich verspreche es.«

»Ich webe, Alvin. Das ist alles. Meine ganze Familie bestand schon seit Menschengedenken aus Webern.«

»Dann ist das Euer Name? Becca Weaver? Mein Schwager, Brustwehr-Gottes, dessen Vater ist ein Weaver und…«

»Niemand nennt uns Weber«, erwiderte Becca. »Wenn sie überhaupt einen Namen für uns hätten, würden sie uns… nein.«

Sie wollte es ihm nicht sagen.

»Nein, Alvin, damit kann ich dich nicht belasten. Denn dann würdest du kommen wollen, um zu sehen…«

»Um was zu sehen?« fragte Alvin.

»Wie Isaac hier. Ihm hätte ich es auch nie sagen dürfen.«

»Er hat aber das Geheimnis bewahrt. Er hat niemals auch nur ein Wort davon erzählt.«

»Er hat es aber nicht vor sich selbst bewahrt. Er ist gekommen, um zu sehen.«

»Um was zu sehen?« fragte Alvin wieder.

»Um zu sehen, wie lang die Fäden sind, die meinen Webstuhl emporströmen.«

Erst dann bemerkte Alvin den hinteren Teil des Webstuhls, wo die Fäden von einem Gitter aus feinen Stahldrähten geordnet wurden. Die Fäden besaßen überhaupt keine Farbe. Sie waren von ungebleichtem Weiß. Baumwolle? Jedenfalls keine Wolle. Vielleicht Leichen. Angesichts all der Farben im fertigen Tuch hatte er gar nicht bemerkt, woraus es überhaupt bestand.

»Woher kommen die Farben?« fragte Alvin.

Niemand antwortete ihm.

»Manche der Fäden werden schlaff.«

»Manche von ihnen enden«, sagte Ta-Kumsaw.

»Viele von ihnen enden«, sagte Becca. »Und viele beginnen. Das ist das Muster des Lebens.«

»Was siehst du, Alvin?« fragte Ta-Kumsaw.

»Wenn diese schwarzen Fäden Euer Volk sind«, sagte Alvin, »dann würde ich sagen, daß eine Schlacht bevorsteht, in der viele sterben werden. Allerdings nicht wie am Tippy-Canoe. Nicht so schlimm.«

»Das sehe ich auch«, meinte Ta-Kumsaw.

»Und diese anderen Farben, die sich hier bündeln, was ist das? Eine Armee aus Weißen?«

»Es heißt, daß ein Mann namens Andrew Jackson aus dem westlichen Tennizy-Gebiet eine Armee aufstellt. Man nennt ihn Old Hickory.«

»Ich kenne den Mann«, sagte Ta-Kumsaw. »Er sitzt nicht allzu fest im Sattel.«

»Er hat mit den Weißen getan, was du mit den Roten getan hast, Isaac. Er ist im Westen auf und ab geritten, um die Leute aufzuwiegeln und ihnen etwas von der roten Gefahr zu erzählen. Über dich Isaac. Für jeden roten Soldaten, den du aufgestellt hast, hat er zwei Weiße rekrutiert. Und er vermutet, daß du nach Norden gehen willst, um dich mit einer französischen Armee zu verbünden. Er kennt alle deine Pläne.«

»Er weiß gar nichts«, antwortete Ta-Kumsaw. »Alvin, sage mir, wie viele Fäden der weißen Armee enden?«

»Viele. Vielleicht mehr. Ich weiß es nicht. Es ist ungefähr ausgewogen.«

»Dann sagt es mir nichts.«

»Es sagt dir, daß du deine Schlacht bekommen wirst«, sagte Becca. »Es sagt, daß es deinetwegen noch mehr Blut und Leid auf der Welt geben wird.«

»Aber es sagt nichts vom Sieg«, sagte Ta-Kumsaw.

»Das tut es nie.«

Es war dem menschlichen Auge unmöglich, den Anfang der Fäden auszumachen. Doch Alvin konnte mit anderen Augen schauen, mit inneren Augen, so wie er in das winzige Geschehen im menschlichen Körper hineinschauen konnte, und in die kalten, inwendigen Ströme des Gesteins. Und mit diesem verborgenen Blick schaute er in einen einzigen Faden hinein und verfolgte seinen Weg, bis er schließlich, weit von der Stelle entfernt, wo alle Fäden für das gewöhnliche Auge endeten, ebenfalls sein Ende fand. Der Mensch, von dessen Seele dieser Faden kündete, hatte ein recht langes Leben vor sich.

Alle diese Fäden mußten enden, wenn die entsprechenden Menschen starben. Und irgendwie mußten neue Fäden dort anfangen, wo ein Baby geboren wurde. Aus dem Nichts trat ein neuer Faden hervor.

»Es endet nie«, sagte Becca. »Ich kann alt werden und sterben, Alvin, aber der Stoff wird nicht aufhören.«

»Wißt Ihr, welcher Faden zu Euch gehört?«

»Nein«, antwortete sie. »Ich will es auch gar nicht wissen.«

»Ich glaube, ich würde es gern sehen. Ich möchte wissen, wie viele Jahre ich noch lebe.«

»Viele«, sagte Ta-Kumsaw. »Oder wenige. Alles, was zählt, ist, was du aus den Jahren machst, die du hast.«

»Es zählt aber auch, wie lange ich leben werde«, sagte Alvin. »Erzählt mir nicht, daß es nicht stimmt, weil Ihr es doch selbst nicht glaubt.«

Becca lachte.

»Miß Becca«, sagte Alvin, »wozu tut Ihr das, wenn Ihr die Dinge nicht geschehen macht?«

Sie zuckte die Achseln. »Es ist eine Aufgabe. Jeder hat seine Aufgabe, und das hier ist meine.«

»Ihr könntet hinausgehen und für die Menschen Dinge weben, die sie tragen könnten.«

»Die sie tragen und abnutzen, ja«, erwiderte sie. »Nein, Alvin, ich kann nicht hinausgehen.«

»Soll das heißen, daß Ihr die ganze Zeit im Zimmer bleibt?«

»Ich bleibe immer hier«, erwiderte sie. »In diesem Zimmer an meinem Webstuhl.«

»Ich habe dich einmal gebeten, mit mir zu kommen«, sagte Isaac.

»Und ich habe dich einmal gebeten, zu bleiben.« Sie lächelte zu ihm auf.

»Ich kann nicht für immer dort leben, wo das Land tot ist.«

»Und ich kann keinen Augenblick ohne meinen Stoff leben. Das Land lebt in deinem Geiste, Isaac, und so leben auch alle Seelen Amerikas in meinem. Aber ich liebe dich. Selbst jetzt noch.«

Alvin hatte das Gefühl, daß er besser nicht anwesend gewesen wäre. Ihm war, als hätten sie vergessen, daß er bei ihnen war, obwohl er gerade eben noch mit ihnen gesprochen hatte. Endlich ahnte er, daß sie wahrscheinlich lieber allein wären. Also trat er beiseite, ging wieder zu dem Tuch hinüber und begann erneut damit, seiner Bahn zu folgen, diesmal in die entgegengesetzte Richtung, auf der Suche nach dem frühesten Ende des Tuchs. Doch er konnte es nicht finden. Tatsächlich mußte er in die falsche Richtung geschaut oder sich verirrt haben, denn schon bald fand er sich auf derselben, vertrauten Bahn wieder, die er schon einmal verfolgt hatte, der Bahn, die ihn beim ersten Mal zu dem Wegstuhl geführt hatte. Er kehrte wieder um und fand sich dennoch schon kurze Weile später wieder auf der Bahn zum Webstuhl.

Er blickte wieder zu Ta-Kumsaw und Becca hinüber. Ta-Kumsaw saß mit gekreuzten Beinen vor ihr auf dem Boden, er hielt den Kopf vorgeneigt. Mit sanften Händen streichelte sie sein Haar.

»Dieses Tuch ist älter als der älteste Teil dieses Hauses«, bemerkte Alvin.

Becca antwortete nicht.

»Dieses Tuch besteht schon ewig.«

»Seit Männer und Frauen zu weben gewußt haben, ist dieses Tuch durch den Webstuhl gelaufen.«

»Aber nicht durch diesen Webstuhl. Dieser Webstuhl ist neu«, sagte Alvin.

»Von Zeit zu Zeit wechseln wir die Webstühle. Wir bauen neue um die alten herum. Das tun Menschen unserer Art eben.«

»Dieses Tuch ist älter als die ältesten weißen Siedlungen in Amerika«, sagte Alvin.

»Es war einst Teil eines größeren Tuchs. Doch eines Tages, es war noch in unserer alten Heimat, da sahen wir, wie viele der Fäden sich an den Rand des Tuchs bewegten. Mein Urururgroßvater baute einen neuen Webstuhl. Wir hatten die Fäden, die wir brauchten. Sie lösten sich vom alten Tuch; wir haben sie von dieser Stelle aus fortgeführt. Es ist noch immer damit verbunden — das ist es, was du siehst.«

»Aber nun ist es hier.«

»Es ist hier und dort. Versuch nicht, es zu verstehen, Alvin. Ich habe es auch vor langem aufgegeben. Aber ist es nicht gut zu wissen, daß alle Lebensfäden in ein einziges, gewaltiges Tuch gesponnen werden?«

»Wer webt das Tuch für die Roten, die mit Tenskwa-Tawa nach Westen gegangen sind?« wollte Alvin wissen. »Diese Fäden sind aus dem Tuch ausgetreten.«