»Wenn ich alle 2 oder 3 Monate ein solches Glück habe«, sagte er, »bin ich damit etwa einen Schritt weiter gekommen? Es ist nicht ein Diamant von 7 Karat, was ich brauche, sondern 1000 oder 1500 solcher Steine ... wenn mir nicht Miss Watkins entgehen soll, um jenem James Hilton oder einem anderen Bewerber von ebenso geringem Wert in die Hände zu fallen.«
Cyprien überließ sich gerade eines Tages solchen Gedanken, als er nach dem Frühstück bei drückender Hitze und quälendem Staub - jenem rötlichen, blendenden Staub, der die Atmosphäre der Diamantlager unausgesetzt erfüllt -nach der Kopje zurückkehrte, und, um eine Hütte biegend, vor Schreck zurückwankte. Hier bot sich seinen Augen ein klägliches Schauspiel.
Ein Mann hing an der Deichsel eines Büffelkarrens, der vor der Mauer aufgerichtet stand, mit dem Hinterteil auf der Erde und der Deichsel in der Luft. Unbeweglich, mit ausgestreckten Füßen und Händen, hing der Körper wie ein Senkblei im schwindenden Tageslicht und bildete mit der Deichsel einen Winkel von etwa 20 Grad.
Es war ein schauerlicher Anblick.
Zuerst verblüfft, empfand Cyprien doch ein warmes Gefühl von Mitleid, als er den Chinesen Li erkannte, der mit dem um den Hals geschlungenen langen Zopf hier zwischen Himmel und Erde schwebte.
Der junge Ingenieur mußte nicht lange überlegen, was hier zunächst zu tun war; das Ende der Deichsel zu erklimmen, den Körper des armen Wichts in die Arme zu nehmen und etwas zu heben, um die Wirkung der Strangulation aufzuheben - das war für ihn das Werk einer halben Minute. Als das geschehen war, ließ er sich vorsichtig heruntergleiten und legte seine Bürde im Schatten der Hütte nieder. Es war höchste Zeit, obgleich Li noch nicht ganz erkaltet schien. Sein Herz schlug schwach, aber es schlug doch. Bald hatte er auch die Augen wieder geöffnet und schien sonderbarerweise auch gleichzeitig die Besinnung wieder zu bekommen, als er das Licht erblickte.
Die immer gleichgültige Physiognomie des armen Teufels ließ auch jetzt, wo er dieser entsetzlichen Lage entronnen war, weder ein Zeichen von Schrecken noch von Verwunderung erkennen. Er sah vielmehr aus, als ob er nur aus leichtem Schlummer erwachte.
Cyprien reichte ihm ein paar Tropfen mit Essig versetzten Wassers, das er in seiner Feldflasche bei sich trug.
»Können Sie nun sprechen?« fragte er mechanisch, ganz uneingedenk, daß Li ihn wahrscheinlich nicht einmal verstand.
Der andere nickte jedoch mit dem Kopf.
»Wer hat Sie hier gehenkt?«
»Ich selbst«, antwortete der Chinese, als habe er gar kein Bewußtsein davon, damit etwas Außergewöhnliches und Verbrecherisches getan zu haben.
»Sie? ... Sie wollten also einen Selbstmord begehen, Unglücklicher . . . Und warum?«
»Es war Li zu warm! ... Li war mißgestimmt!« erklärte der Chinese. Dann schloß er wieder die Augen, als wolle er weiteren Fragen enthoben sein.
Da bemerkte Cyprien erst zu seiner Verwunderung, daß diese Worte in französischer Sprache gewechselt worden waren.
»Sie sprechen wohl auch Englisch?« fuhr er fort.
»Ja«, bestätigte Li, die Augenlider aufschlagend.
Man hätte jetzt zwei schiefe Knopflöcher zu sehen geglaubt, die sich an beiden Seiten seiner kleinen Stumpfnase befanden.
Cyprien kam es vor, als läge in diesem Blick wieder etwas von jener Ironie, die er schon während der Fahrt vom Kap nach Kimberley bemerkt hatte.
»Ihre Gründe sind töricht!« sagte er ernst. »Man begeht keinen Selbstmord, weil's einem zu warm ist! ... Sprechen Sie offen! . . . Ich wette, hier steckt doch wieder ein boshafter Streich jenes Pantalacci dahinter?«
Der Chinese senkte den Kopf.
»Er wollte mir den Zopf abschneiden«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »und ich weiß, daß er es doch nach wenigen Tagen zur Ausführung gebracht hätte.«
Gleichzeitig gewahrte aber Li jenen berühmten Zopf in der Hand Cypriens und überzeugte sich, daß das Unheil, das er vor allem anderen fürchtete, schon über ihn hereingebrochen war.
»Oh, Herr! ... Wie? ... Sie ... Sie haben mir ihn abgeschnitten?« rief er mit herzzerreißendem Ton.
»Ich mußte es, um Sie loszumachen, armer Freund!« antwortete Cyprien. »Aber zum Kuckuck, deshalb sind Sie hierzulande nicht einen Sou weniger wert! . . . Beruhigen Sie sich getrost!«
Der Chinese schien so verzweifelt über diese Amputation, daß Cyprien aus Furcht, jener könne einen neuen Selbstmordversuch machen, sich entschloß, nach seiner Hütte zurückzukehren und ihn mitzunehmen.
Li folgte ihm ohne Widerspruch, nahm neben seinem Retter Platz, ließ sich geduldig eine Strafpredigt halten und versprach, keinen weiteren Versuch zu unternehmen. Unter der Wirkung einer Tasse dampfenden Tees ließ er sich sogar zur Mitteilung einiger Einzelheiten aus seinem Leben herbei.
Geboren zu Canton, war Li in einem englischen Haus für den Handel erzogen worden. Dann hatte er sich nach Ceylon, von da nach Australien und schließlich nach Afrika gewandt. Nirgends aber wollte das Glück ihm lachen. Das Wäschegeschäft im Minenbezirk ging nicht besser als zwanzig andere Beschäftigungen, die er schon versucht hatte. Sein hauptsächlichster Quälgeist war und blieb aber Annibal Pantalacci. Dieser Mensch verschuldete sein ganzes Elend, und ohne ihn hätte er sich vielleicht mit der immerhin zweifelhaften Existenz im Griqualand ausgesöhnt. Nur um dessen ewigen Quälereien zu entgehen, war in ihm der Entschluß gereift, sich das Leben zu nehmen.
Cyprien stärkte den armen Kerl, versprach ihm, ihn gegen den Neapolitaner zu schützen, gab ihm alle Leibwäsche zum Waschen, die er nur finden konnte, und schickte ihn nicht nur getröstet, sondern auch geheilt von dem Aberglauben seines Haaranhängsels nach Hause.
Und auf welche Weise war das dem jungen Ingenieur gelungen? Er hatte Li einfach, aber sehr ernst erklärt, der Strick eines Gehenkten bringe Glück und daß sein Pech jetzt, wo er seinen Zopf in der Tasche tragen könne, auf jeden Fall sein Ende nehmen werde.
»Nun, wenigstens kann Pantalacci ihn mir nicht mehr abschneiden!«
Diese echt chinesische Betrachtung vollendete dann die Kur.
7. KAPITEL Der Einsturz
50 Tage waren verflossen, ohne daß Cyprien einen einzigen Diamanten in seiner Grube gefunden hätte. Mehr und mehr wurde ihm das Geschäft als Minengräber zuwider; es erschien ihm als albernes Glücksspiel, solange einer nicht Kapital genug besaß, um einen Claim erster Güte zu kaufen und gleich ein Dutzend Kaffern anzustellen, die diesen bearbeiteten.
Eines Morgens ließ Cyprien Matakit und Bardik allein mit Thomas Steel zur Grube gehen und blieb allein im Zelt zurück. Er wollte noch auf einen Brief seines Freundes Pha-ramond Barthes antworten, der ihm durch einen auf der Rückreise nach dem Kap befindlichen Elfenbeinhändler von sich hatte Nachricht zugehen lassen.
Pharamond Barthes war höchst befriedigt von seinem Jägerleben und dessen Abenteuern. Er hatte schon 3 Löwen, 16 Elefanten, 7 Tiger und eine Unzahl Giraffen und Antilopen erlegt, ohne das eßbare Wild zu rechnen.
»Wie die historischen Eroberer«, schrieb er, »ernährte er den Krieg durch den Krieg. Er erhielt von der Jagdbeute nicht allein das ganze kleine Expeditionskorps, das er mitgenommen, sondern es wäre ihm auch ein Leichtes gewesen, wenn er nur gewollt hätte, durch den Verkauf von Fellen und Elfenbein oder durch Tauschhandel mit den Kaf-fernstämmen, bei denen er sich befand, einen recht ansehnlichen Gewinn zu erzielen.«
Sein Brief schloß mit den Worten:
»Solltest Du nicht Lust verspüren, mit mir einen Ausflug nach dem Limpopo zu unternehmen? Dort werde ich Ende kommenden Monats eintreffen und denke daran entlang bis zur Delagoa-Bai hinabzuziehen, um mich zur See nach Durban zu begeben, wohin ich mich verpflichtet habe, meine Bassutos zurückzuführen . . . Verlasse also Dein schreckliches Griqualand für einige Wochen und stelle Dich baldigst bei mir ein . . .«