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Seit den 6 Wochen, die Matakit nun in Cypriens Diensten stand, hatte dieser nur Veranlassung gehabt, mit jenem zufrieden, ja über ihn erstaunt zu sein. Seine Intelligenz und Gelehrigkeit, sein Arbeitseifer waren gar nicht zu übertreffen. Er war verläßlich, gutmütig, gefällig und von besonders sanftem und heiterem Charakter. Keine Arbeit wies er zurück, keine Schwierigkeit erschien seinem Mut unüberwindlich. Zuweilen sagte sich wohl der junge Mann, daß kaum ein Franzose, wenn er dieselben Fähigkeiten besaß, soviel hätte leisten können, wie dieses wilde Kind der Natur. Und hier wohnten so kostbare Gaben unter der schwarzen Haut und dem Wollkopf eines armen Kaffern!

Dennoch hatte Matakit einen Fehler - sogar einen recht schlimmen Fehler -, der offenbar auf seine frühere Erziehung und auf die gar zu laxen Sitten zurückzuführen sein mochte, die in seinem Kraal jedenfalls herrschten. Sollen wir ihn verraten? Matakit wurde zuweilen, fast unbewußt, zum Dieb. Sah er einen Gegenstand, der ihm gefiel, so hielt er es für ganz natürlich, ihn sich anzueignen. Vergeblich machte ihm sein Herr wegen dieser lasterhaften Neigung sehr ernsthafte Vorwürfe. Vergeblich drohte er ihn wegzu-jagen, wenn er sich wieder bei solchen Diebereien ertappen ließ. Matakit versprach davon abzulassen, er weinte, er bat um Verzeihung, und wenn er am nächsten Tag Gelegenheit dazu fand, fing er's doch von neuem an.

Seine Neigung verführte ihn keineswegs zur Entwendung besonders wertvoller Dinge; im Gegenteil, im allgemeinen beschränkte er sich auf Kleinigkeiten, auf ein Messer, eine Krawatte, einen Bleistift oder irgendeine ähnliche Lappalie. Cyprien aber schmerzte es darum nicht minder, einen solchen Fehler bei einer sonst so gut angelegten Natur zu entdecken.

»Warten wir! ... Hoffen wir das Beste!« sagte er für sich. »Vielleicht gelingt es mir, ihm klarzumachen, daß es Unrecht ist, zu stehlen!«

Und während er den Schläfer betrachtete, dachte er an diese auffälligen Kontraste, die er sich nur durch die Vergangenheit Matakits inmitten seines wilden Stammes erklären konnte.

Als die Nacht herankam, erwachte der Kaffer ebenso frisch, ebenso munter, als ob seine Atembewegungen nicht 2 oder 3 Stunden fast vollständig unterdrückt gewesen wären. Er konnte jetzt erzählen, was bei jenem Unfall vorgegangen war.

Der Eimer, der sich ihm zufällig auf das Gesicht gestürzt und eine lange Leiter, die schräg über ihn wegfiel, hatten ihn zunächst gegen die mechanische Einwirkung des Einsturzes gesichert, und dann längere Zeit vor der Erstickung geschützt, da ihm eben dadurch in seinem entsetzlichen Gefängnis ein kleiner Luftvorrat übrig blieb.

Über diesen glücklichen Umstand war er sich klargeworden und hatte alles getan, daraus Nutzen zu ziehen, indem er nur nach langen Zwischenräumen Atem holte. Nach und nach freilich hatte sich die Luft verändert und Matakit gefühlt, daß sein Bewußtsein sich allmählich trübte. Endlich war er in eine Art schweren ängstlichen Schlummers verfallen, aus dem er nur zeitweise erwachte, um mit äußerster Anstrengung ein wenig Luft zu schöpfen. Von dem, was ihm sonst widerfahren war, hatte er kein Bewußtsein; er war tot - denn er war wirklich vom Tod wieder auferstanden.

Cyprien ließ ihn kurze Zeit plaudern, gab ihm dann zu trinken und zu essen und nötigte ihn trotz seines Widerspruchs, die Nacht über in dem Bett zu bleiben, in das er ihn geschafft hatte. Nachdem er sich endlich überzeugt, daß hier nichts mehr zu fürchten war, ließ er ihn allein, um seinen gewöhnlichen Besuch im Watkinsschen Haus zu machen.

Den jungen Ingenieur drängte es, Alice die Erlebnisse des Tages mitzuteilen, wie seinen Widerwillen gegen die Minenarbeit, ein Widerwillen, der durch den beklagenswerten Unfall des heutigen Morgens nur genährt werden konnte. Es schnitt ihm ins Herz, täglich das Leben Matakits aufs Spiel zu setzen wegen der sehr fraglichen Chance, einige schlechte Diamanten zu gewinnen.

»Die Sache mit eigener Hand zu betreiben, das möchte noch hingehen!« sagte er sich. »Sie aber für jämmerlichen

Lohn einen unglücklichen Kaffern ausführen zu lassen, das ist einfach erbärmlich.«

Er vertraute dem jungen Mädchen also seine Empfindungen und seinen Widerwillen an, und sprach ihr auch von dem Brief, den er von Pharamond Barthes erhalten hatte. Täte er wirklich nicht besser, dem Rat seines Freunds zu folgen? Was konnte er dabei verlieren, wenn er einmal nach dem Ufer des Limpopo reiste, um dort das Jagdglück zu versuchen? Das wäre sicherlich anständiger, als hier wie ein Geizhals die Erde zu durchwühlen, oder diese für seine Rechnung von anderen armen Teufeln durchwühlen zu lassen.

»Was meinen Sie, Miss Watkins? Da Sie so viel Feingefühl und praktischen Verstand haben, geben Sie mir einen Rat! Ich bedarf dessen sehr! Ich habe das moralische Gleichgewicht eingebüßt! Ich brauche eine befreundete Hand, mich wieder aufzurichten!«

So sprach er mit voller Offenherzigkeit und fand ein besonderes Vergnügen, das er sich gar nicht weiter erklärte, gerade darin, trotz seiner gewöhnlichen Zurückhaltung gegenüber dieser sanften und reizenden Vertrauten das Mißgeschick seiner Unentschlossenheit zu enthüllen.

Das Gespräch wurde in französischer Sprache geführt und nahm schon nach Verlauf von wenigen Minuten infolge dieses einfachen Umstands einen recht vertraulichen Charakter an, obgleich John Watkins, der seit kurzer Zeit bei der dritten Pfeife eingeschlafen war, sich auch nicht da-rum gekümmert hätte, wenn die jungen Leute etwa Englisch oder irgendein anderes Idiom gesprochen hätten.

Alice hörte Cyprien mit inniger Teilnahme zu.

»Alles, was Sie mir da sagen«, antwortete sie, »hab' ich bezüglich Ihrer, Monsieur Mere, schon längst hin und her überlegt. Ich habe kaum begreifen können, wie Sie als Ingenieur und Gelehrter sich haben scheinbar fröhlichen Herzens entschließen können, ein derartiges Leben zu führen. Ist das nicht ein Verbrechen gegen Sie wie gegen die Wissenschaft? Ihre kostbare Zeit an eine Handarbeit zu verschwenden, die jeder Kaffer, jeder gewöhnliche Hottentotte vielleicht besser als Sie verrichten könnte, das finde ich unerhört!«

Cyprien hätte freilich nur ein Wörtchen zu sagen gebraucht, um dem jungen Mädchen diesen ihr so auffälligen und peinlichen Umstand zu erklären. Und wer weiß, ob sie ihre Entrüstung nicht ein wenig übertrieb, um ihm ein Geständnis zu entlocken. Er hatte sich jedoch geschworen, dieses Geheimnis für sich zu bewahren, und hätte sich selbst verachten müssen, wenn er es dennoch verriet. So hielt er also jede weitere Erklärung darüber auf den Lippen zurück.

Miss Watkins fuhr fort:

»Wenn Sie so begierig sind, Diamanten zu finden, Monsieur Mere, warum suchen Sie sie nicht da, wo Sie weit größere Aussicht haben, welche zu entdecken - in Ihrem Schmelztiegel? Wie, Sie sind Chemiker, Sie kennen besser als tausend andere die Natur dieser elenden Steine, denen man so hohen Wert beilegt, und Sie suchen sie durch eine so undankbare, maschinenmäßige Arbeit zu erlangen? Ich für meinen Teil beharre auf dem Gedanken: Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würd' ich vielmehr Diamanten herzustellen als in fertigem Zustand aufzufinden suchen!«

Alice sprach mit einem solchen Feuer, mit einem solchen Vertrauen zu seiner Wissenschaft und zu Cyprien selbst, daß das Herz des jungen Mannes wie von einem erquickenden Morgentau gebadet war.

Leider erwachte Mr. Watkins eben aus seinem Halbschlummer und fragte nach Neuigkeiten aus der Vander-gaart-Kopje. Die beiden jungen Leute mußten sich also wieder der englischen Sprache bedienen und dieses vertrauliche Zwiegespräch abbrechen. Dessen Reiz war erloschen.

Das Samenkorn war jedoch auf günstigen Boden gefallen und sollte Wurzel schlagen. Als der junge Ingenieur nach Hause ging, überdachte er jene eindringlichen und vielleicht die Wahrheit treffenden Worte, die er von Miss Watkins gehört hatte. Was daran vielleicht Chimärisches war, das verschwand vor seinen Augen, um diese nur noch das ehrenvolle und wirklich zärtliche Zutrauen sehen zu lassen.