Dabei hegte er aber gegen sich selbst ein solches Mißtrauen, daß er es vorzog, dem jungen Mädchen von den Experimenten, die er eben ausführte, lieber nichts zu erzählen. Miss Watkins wußte nur, daß er, ihrem Rat folgend, sich wieder chemischen Studien hingegeben habe, und schon darüber fühlte sie sich glücklich.
9. KAPITEL Eine Überraschung
Der Tag, an dem das Experiment der Berechnung nach beendet sein sollte, war natürlich ein großer, wichtiger Tag.
Schon seit 2 vollen Wochen brannte das Feuer nicht mehr, so daß sich der ganze Apparat langsam hatte abkühlen können. In der Meinung, daß die Kristallisation des Kohlenstoffs nun vor sich gegangen sein müsse, wenn sie überhaupt durch die hier gegebenen Bedingungen zu erzielen war, ging nun Cyprien daran, die Tonschicht zu entfernen, die rund um und über den Ofen aufgeschüttet worden war.
Hierzu mußte indes die Spitzhacke angewendet werden, denn dieser Ton war ebenso verhärtet wie ein Ziegelstein im Brennofen. Endlich gab die Hülle den Anstrengungen Matakits nach und ließ zunächst den oberen Teil des Ofens - die sogenannte Haube - und dann den großen Ofen wahrnehmen.
Das Herz des jungen Ingenieurs schlug 120 mal in der Minute, als der junge Kaffer mit Lis und Bardiks Hilfe diese Haube abnahm. Daß das Experiment geglückt sei, glaubte er selbst am wenigsten, denn Cyprien gehörte zu den Leuten, die am meisten an sich selbst zweifeln. Und doch war das ja möglich! Welcher Jubel, wenn es der Fall wäre! Verbarg doch dieser große, geschwärzte Zylinder, der ihm jetzt nach mehrwöchentlichem Harren wieder vor Augen trat, alle seine Hoffnungen auf Glück, auf Ruhm und Reichtum!
O weh! . . . Die Kanone war geplatzt!
Unter dem ungeheuren Druck des sehr hoch erhitzten Wasserdampfs und des Sumpfgases hatte selbst der Stahl nicht Widerstand zu leisten vermocht. Obwohl das Rohr volle 5 Zentimeter Wandstärke hatte, war es doch wie ein einfaches Probierglas geborsten. Es zeigte an der einen Seite und ziemlich genau in der Mitte einen offenen Sprung gleich einem geschwärzten, von den Flammen verzogenen Mund, der den höchst enttäuschten jungen Ingenieur boshaft anzugrinsen schien.
Das hieß doch Unglück haben! So viel Mühe, um zu einem so negativem Resultat zu kommen! Cyprien hätte sich gewiß weit weniger gedemütigt gefühlt, wenn sein Apparat infolge besserer Vorsichtsmaßnahmen wenigstens die Feuerprobe ordentlich ausgehalten hätte. Daß sich in dem Zylinder kein kristallisierter Kohlenstoff vorfand, auf diese Enttäuschung war er mehr als hinreichend vorbereitet. Aber diesen alten Stahlschlauch 1 ganzen Monat lang erhitzt und wieder abgekühlt, ja geradezu zärtlich gepflegt und gehütet zu haben, um ihn nun ins alte Eisen werfen zu können, das war denn doch zuviel. Am liebsten hätte er das Rohr gleich mit einem Fußtritt zur Seite geschleudert, wenn es nicht so schwer gewesen wäre, sich in dieser zwanglosen Art und Weise behandeln zu lassen.
Schon wollte Cyprien es einfach im Ofen zurücklassen und wollte eben ziemlich betrübt wegschleichen und Alice seine kläglichen Erfolge mitteilen, als die Wißbegierde des Chemikers, die doch noch in ihm lebte, ihn veranlaßte, mit-
tels eines angezündeten Streichhölzchens durch die entstandene Öffnung des Rohrs dessen Inneres zu überblicken.
»Jedenfalls«, so dachte er, »hat sich der feuerbeständige Ton, mit dem ich es innerlich und äußerlich umkleidet habe, ganz in Backstein umgewandelt.«
Diese Voraussetzung erwies sich als begründet. Indes hatte sich auf Cyprien zunächst unerklärliche Weise von der Wandauskleidung eine Tonkugel abgelöst, die für sich allein im Rohr verhärtet war.
Die schwarzrote Kugel von etwa Orangengröße konnte er durch den Sprung bequem herausholen. Cyprien ergriff sie also nur aus Neugier, um sie oberflächlich zu betrachten. Da erkannte er erst, daß sie wirklich aus einem von der Innenwand abgelösten Tonfragment bestand, das isoliert hart gebrannt war, und eben wollte er sie beiseite werfen, als er bemerkte, daß sie wie ein Topf einen hohlen Klang hatte.
Sie bildete eine Art geschlossenen Krug, in dem ein anderes, ziemlich schweres Stück frei herumtanzte.
»Die reinste Sparbüchse!« sagte Cyprien für sich.
Doch selbst wenn er bei Todesstrafe hätte eine Erklärung dieses Geheimnisses geben sollen, wäre er das nicht imstande gewesen.
Jedenfalls wollte er über die Sache ins klare kommen. Er ergriff also einen Hammer und zertrümmerte die Sparbüchse.
Es war in der Tat eine solche, und noch dazu eine, die einen ganz unschätzbaren Wert enthielt. Nein, er konnte sich über die Natur des Steins, der sich jetzt den erstaunten Au-gen des jungen Ingenieurs zeigte, keinen Moment täuschen! Dieser Stein war ein in seine Gangart eingeschlossener Diamant, der den hier gewöhnlich gefundenen vollkommen glich, aber ein Diamant von kolossalen, fast unglaublichen und jedenfalls nie zuvor gesehenen Dimensionen.
Man urteile selbst. Der Diamant erschien größer als ein Hühnerei, glich äußerlich etwa einer Kartoffel und mußte mindestens 300 Gramm wiegen.
»Ein Diamant! . . . Ein künstlicher Diamant!« wiederholte der erstaunte Cyprien halblaut. »Ich habe also die Lösung des Problems der Herstellung entdeckt, trotz des Mißgeschicks mit dem Rohr! ... Ich bin also reich! ... Alice, meine geliebte Alice ist mein!«
Dann aber wollte er wieder nicht an das glauben, was er sah.
»Doch nein, das ist unmöglich! ... Es ist eine Illusion, eine Täuschung!« wiederholte er, von bangem Zweifel gequält. »Oh, ich werde ja bald wissen, woran ich bin!«
Und ohne sich die Zeit zu nehmen, den Hut aufzusetzen, lief Cyprien außer sich vor Freude, wie es ehemals Ar-chimedes war, als er aus dem Bad stieg, in dem er gelegen hatte, als er seinen berühmten Lehrsatz entdeckte, in aller Eile hinaus und platzte wie eine Bombe in die Hütte Jacobus Vandergaarts hinein.
Hier fand er den alten Steinschneider eben beschäftigt, von Nathan gekaufte Diamanten zu prüfen, die dieser ihm zum Schleifen übergeben hatte.
»Ah, Herr Nathan, Sie sind hier gerade am Platz!« rief
Cyprien. »Sehen Sie einmal! Und Sie auch, Herr Vanderg-aart, sehen Sie, was ich bringe, und sagen Sie mir, was das ist!«
Er hatte seinen Stein auf den Tisch gelegt und blieb mit gekreuzten Armen davor stehen.
Nathan griff zuerst nach dem Stein, erblaßte vor Verwunderung und übergab ihn mit weit aufgerissenen Augen und offenstehendem Mund Jacobus Vandergaart. Dieser führte den Gegenstand dicht vor die Augen, ging damit ans Fenster und betrachtete ihn sorgsam mit dem Vergrößerungsglas. Dann legte er ihn wieder auf den Tisch und starrte Cyprien an.
»Das ist der größte Diamant, den es auf Gottes Erdboden gibt«, sagte er ruhig.
»Ja, der allergrößte«, wiederholte Nathan. »Vier- oder fünfmal so groß wie der Koh-i-noor, der >Berg des Lichts<, der Stolz des englischen Königsschatzes, der geschliffen noch 170 Karat wiegt!«
»Zwei- oder dreimal so groß wie der >Großmogul<, der größte bisher bekannte Stein, der ein Gewicht von 280 Karat hat!« fuhr der Steinschneider fort.
»Vier- oder fünfmal so groß, wie der Diamant des Zaren, der 93 Karat wiegt!« fügte Nathan immer verwunderter hinzu.
»Sieben- oder achtmal so groß wie der >Regent<, der mit 136 Karat angegeben worden ist!« vervollständigte Jacobus Vandergaart.
»Zwanzig- bis dreißigmal so groß wie der Diamant in Dresden, der nur 31 wiegt!« rief Nathan.
Dann fügte er hinzu:
»Ich schätze ihn nach dem Schliff noch mindestens auf 400 Karat! Aber wer wäre imstande, nur annähernd seinen Wert zu taxieren! Das entzieht sich jeder Berechnung!«
»Warum?« erwiderte Jacobus Vandergaart, der von den beiden Männern am ruhigsten geblieben war. »Der Koh-i-noor wird auf 30 Millionen Francs geschätzt, der >Großmo-gul< auf 12 Millionen, der Diamant des Zaren auf 8 und der >Regent< auf 6 Millionen! Danach müßte dieser hier einen Wert von, gering angeschlagen, 100 Millionen haben!«