Das war eine neue Anschauung der Sachlage, an die
Cyprien bisher noch nicht gedacht hatte. Da trat ihm auch schon mit unerbittlicher Strenge das Dilemma vor Augen, entweder das Geheimnis seiner Entdeckung für sich zu behalten, es der Welt nicht mitzuteilen und es zur eigenen Bereicherung auszunützen, oder mit einem Schlag, wie John Watkins mit Recht sagte, alle natürlichen und künstlichen Diamanten der Welt völlig zu entwerten und folglich auf jeden Vermögensvorteil zu verzichten um des einen Zwecks willen . . . die Steingräber von Griqualand, von Brasilien und Indien zu ruinieren!
Vor diese Alternative gestellt, zauderte Cyprien vielleicht ein wenig, aber doch nur einen Augenblick. Und doch sah er ein, daß er, wenn er sich voll Offenheit für die Ehre und die Treue gegenüber der selbstlosen Wissenschaft entschied, für immer auf die Hoffnung verzichten müsse, die doch der erste Beweggrund zu seiner Entdeckung gewesen war.
Die peinliche Empfindung war für ihn ebenso bitter, ebenso schmerzlich und unerwartet, weil er ja plötzlich aus dem schönsten Traum gerissen wurde.
»Mr. Watkins«, sagte er sehr ernst, »wenn ich meine Entdeckung als Geheimnis behandelte, wär' ich doch nichts als ein Fälscher! Ich verkaufte dann nach falschem Gewicht, ich würde andere über die Qualität der Ware täuschen! Erfolge, die ein Gelehrter erzielt, gehören ihm niemals allein! Sie sind stets ein Teil des geistigen Eigentums aller! Davon nur den kleinsten Teil für sich aus egoistischem, persönlichem Interesse zurückzubehalten, wäre das schändlichste Verbrechen, dessen ein Mann sich schuldig machen könnte. Ich werde es nicht tun! . . . Nein! . . . Ich denke keine Woche, keinen Tag zu warten, um das Verfahren, auf das ich neben einiger Berechnung zum großen Teil doch durch glücklichen Zufall gekommen bin, zum Gemeingut zu machen! Dabei habe ich mir nur die eine, ich glaube, gerechtfertigte Beschränkung aufzuerlegen, daß ich die Art und Weise zuerst Frankreich, meinem Vaterland, mitteile, das mir die Gelegenheit geboten hat, ihm dienstbar zu sein! Schon morgen werde ich der Akademie der Wissenschaften mein Geheimnis schriftlich übermitteln! Adieu, Mr. Watkins, Ihnen verdanke ich es wenigstens, auf eine Verpflichtung hingewiesen worden zu sein, an die ich zunächst gar nicht dachte . . . Miss Watkins . . . ich hatte wohl einen herrlichen Traum . . . ach, daß ich auf seine Verwirklichung verzichten muß!«
Noch ehe das junge Mädchen eine Bewegung auf ihn zu machen konnte, hatte Cyprien seinen Diamanten ergriffen, grüßte artig Miss Watkins sowie ihren Vater und verschwand.
10. KAPITEL Worin John Watkins nachdenkt
Mit gebrochenem Herzen hatte Cyprien die Farm verlassen und begab sich, fest entschlossen, zu tun, was er für Ehrenpflicht hielt, von neuem zu Jacobus Vandergaart, den er jetzt allein traf; der Händler Nathan hatte alle Eile gehabt, ihn zu verlassen, um als erster im Lager die Neuigkeit zu verbreiten, welche die Lebensinteressen aller seiner Insassen so tief berührte.
Seine Mitteilung erregte hier natürlich ein ungewöhnliches Aufsehen, obwohl die Leute noch nicht einmal wußten, daß der Diamant des »Monsieur«, wie man Cyprien zu nennen pflegte, ein Kunstprodukt war. Der »Monsieur« kümmerte sich freilich blutwenig um das Geschwätz in der Kopje. Ihm lag es nur am Herzen, mit Hilfe des alten Van-dergaart die Qualität und Farbe seines Steins festzustellen, ehe er einen Bericht über die ganze Angelegenheit aufsetzte, und aus diesem Grund begab er sich eben zu dem alten Mann.
»Mein lieber Jacobus«, begann er, neben diesem Platz nehmend, »erweisen Sie mir doch den Gefallen, an diesen Klumpen eine Facette zu schleifen, damit wir einigermaßen erkennen können, was sich unter seiner Gangart verbirgt.«
»Das soll bald geschehen sein«, erklärte der alte Steinschleifer, den Stein aus der Hand seines jungen Freunds entgegennehmend. »Sie haben da übrigens eine recht passende Stelle bezeichnet«, fügte er hinzu, als ihm eine Ausbuchtung an einer Seite des Steins auffiel, nach der Cyprien gewiesen hatte. Letzterer bildete nämlich bis auf diese Unregelmäßigkeit ein ganz vollständiges Oval. »Wenn wir ihn hier anschleifen, kann seine künftige Gestalt nicht beeinträchtigt werden.«
Jacobus Vandergaart ging ohne Zögern ans Werk; und nachdem er aus seiner Kommode einen rohen Stein von 4 bis 5 Karat entnommen und diesen an einer Art eisernem
Griff sorgfältig befestigt hatte, begann er die beiden äußeren Schichten kräftig gegeneinander zu reiben.
»Es wäre schneller geschehen, wenn ich eine Spaltung vornähme«, sagte er. »Wer möchte aber wagen, auf einen Stein von solchem Wert einen Hammerschlag zu führen!«
Die lange und sehr einförmige Arbeit nahm nicht weniger als 2 Stunden in Anspruch. Als die Facette breit genug erschien, um die Natur des Steins beurteilen zu lassen, mußte sie noch auf der Mühle poliert werden, was wiederum 2 Stunden Zeit erforderte.
Bei Beendigung dieser Vorarbeiten war es indes noch immer voller Tag. Jetzt konnten nun Cyprien und Jacobus Vandergaart ihre gespannte Neugier befriedigen und sahen sich das Ergebnis der vorherigen Operationen an.
Eine schöne Facette von Gagatfarbe, aber vollkommenster Durchsichtigkeit und unvergleichlichem Glanz bot sich ihren Blicken.
Der Diamant war schwarz! Eine merkwürdige Eigentümlichkeit, die nur selten gefunden wird, und seinen Wert womöglich noch weiter erhöht.
Jacobus Vandergaarts Hände zitterten, als er den Kristall in den Strahlen der Abendsonne funkeln ließ.
»Das ist der merkwürdigste und schönste Edelstein, der jemals das Licht des Tages wiedergestrahlt hat!« rief er mit wirklich religiöser Ehrfurcht. »Wie wird er erst aussehen, wenn seine Facetten alle kunstgerecht geschliffen sind!«
»Würden Sie zustimmen, diese Arbeit zu übernehmen?« fragte Cyprien eifrig.
»Ja, gewiß, lieber Junge! Das wäre der höchste Ruhm, die Krone meiner langen Lebensbahn! . . . Vielleicht aber möchten Sie lieber eine jüngere und sicherere Hand dazu wählen als die meinige?«
»Nein«, antwortete Cyprien mit Wärme. »Ich hege die Überzeugung, daß niemand dieser Aufgabe mehr Sorgfalt und Geschick widmen wird als Sie. Bewahren Sie diesen Diamanten, lieber Jacobus, und schneiden ihn, wie Sie es für gut halten. Sie werden ein Meisterstück liefern. Die Sache ist hiermit abgemacht!«
Der Greis drehte und wendete den Stein zwischen den Fingern und schien unschlüssig zu sein, was er tun solle.
»Es beunruhigt mich nur eins«, sagte er endlich. »Wissen Sie, daß ich mich nicht recht mit dem Gedanken anfreunden kann, ein Juwel von solchem Wert in meiner Behausung zu haben? Das sind mindestens 50 Millionen, vielleicht noch mehr, was ich hier in der hohlen Hand halte. Es scheint mir nicht ratsam, eine solche Verantwortung auf mich zu nehmen.«
»Wenn Sie nichts davon sagen, wird es kein Mensch wissen, Herr Vandergaart, und was mich angeht, so verpflichte ich mich zur Wahrung des strengsten Stillschweigens.«
»Hm! Vermutungen werden deshalb nicht ausbleiben! Es kann Ihnen jemand gefolgt sein, als Sie zu mir gingen! . . . Man wird die Veranlassung annehmen, wenn sie auch keiner sicher kennt! Den Leuten hier ist nicht über den Weg zu trauen! Nein, ich könnte keine Nacht ruhig schlafen!«
»Vielleicht haben Sie recht«, erwiderte Cyprien, der den
Einwand des alten Mannes sehr gut verstand. »Doch was ist da zu tun?«
»Das überleg' ich eben!« antwortete Jacobus Vander-gaart, der einige Augenblicke schwieg.