Die Kaffern verstanden zuerst gar nicht recht, was man von ihnen wollte, als sie zurückgerufen wurden, um bis auf ihre mangelhafte Bekleidung untersucht zu werden. Sie begriffen nun, daß es sich um den Diebstahl eines Diamanten von hohem Wert handelte.
Wie die vorhergehenden Untersuchungen erwies sich auch diese als völlig fruchtlos.
»Wenn sich der Dieb unter den Kaffern befindet - und er muß unter ihnen zu suchen sein -, so hat er zehnmal Zeit genug dazu gehabt, seinen Diebstahl an sicherem Ort zu verbergen!« bemerkte einer der Tischgäste sehr richtig.
»Das liegt auf der Hand«, stimmte der Polizeioffizier zu, »und es gibt vielleicht nur ein Mittel, sie zum Geständnis zu bringen, indem wir ihnen einen Wahrsager aus ihrem eigenen Stamm auf den Hals schicken. Einem solchen gelingt es nicht so selten . . .«
»Wenn Sie gestatten«, fiel da Matakit ein, der sich noch bei seinen Landsleuten befand, »so will ich den Versuch unternehmen!«
Das Angebot wurde ohne Säumen angenommen, und die Gäste bildeten einen Kreis um die Kaffern. Dann ging Matakit, der ja in der Rolle eines Wahrsagers geübt war, daran, seine Vorbereitungen zu treffen.
Zunächst begann er damit, zwei oder drei tüchtige Prisen Tabak aus der Horndose zu nehmen, die ihn niemals verließ.
»Ich werde jetzt zur Rutenprobe schreiten!« kündete er nach dieser einleitenden Prozedur an.
Er holte darauf von einem nahestehenden Busch zwanzig dünne Zweige, die er genau abmaß und ganz gleichmäßig, nämlich auf 12 Zoll englisch, zuschnitt. Dann verteilte er diese unter die Kaffern, die in Reih und Glied standen, nachdem er für sich selbst eine solche Rute beiseite gelegt hatte.
»Jetzt mögt ihr eine Viertelstunde hingehen, wohin ihr wollt«, sagte er feierlich zu seinen Landsleuten, »und werdet nicht eher wiederkommen, als bis ihr einen Tamtam anschlagen hört. Wenn sich der Dieb unter euch befindet, so wird seine Rute um drei Querfinger länger geworden sein.«
Die Kaffern zerstreuten sich, nicht besonders angenehm berührt von dieser Vorrede, da sie recht wohl wußten, daß man im Griqualand kurzen Prozesses einen Übeltäter schnell dingfest machte und ihn auch, selbst ohne eine Frist zu seiner Verteidigung zu gewähren, kurzerhand aufhängte.
Die Gäste, die diesen Vorbereitungen mit erklärlichem Interesse gefolgt waren, sprachen darüber jeder seine eigene Meinung aus.
»Der Dieb wird sich hüten, wiederzukommen; er befindet sich offenbar unter diesen Kerlen«, warf einer ein.
»Nun, das würde ihn ja gerade als solchen bezeichnen«, antwortete ein anderer.
»Pah! Er wird geriebener als Matakit sein und schneidet sich einfach drei Finger breit ein Stück von seiner Rute ab, um das befürchtete Wachstum auszugleichen.«
»Das mag der Wahrsager wohl erwarten und eine so unüberlegte Verkürzung würde ja hinreichen, den Schuldigen zu erkennen zu geben.«
Inzwischen waren die 15 Minuten abgelaufen, und mit einem kräftigen Tamtamschlag rief Matakit die Angeklagten zurück.
Sie erschienen alle bis auf den letzten, stellten sich vor diesem auf und lieferten ihre Gerten wieder ab.
Matakit nahm diese, bildete daraus ein Bündel und überzeugte sich, daß alle 25 noch gleich lang waren. Er mußte sie also beiseite legen und aufgrund der entscheidenden Probe erklären, daß seine Landsleute alle ehrlich seien, als ihm eben noch einfiel, die Länge der zurückgegebenen Ruten mit der, die er zurückbehalten, zu vergleichen. Alle waren um drei Fingerbreiten zu kurz.
Die armen Teufel hatten es für geraten erachtet, diese Vorsicht zu gebrauchen gegen eine Erscheinung, die ihren abergläubischen Vorstellungen nach recht gut zustande kommen konnte. Das wies nun freilich nicht auf ein besonders reines Gewissen der Leute hin, und wahrscheinlich hatten schon alle im Laufe des Tages einen Diamanten gestohlen.
Allgemeines Gelächter begleitete die Konstatierung die-ses unerwarteten Ereignisses. Matakit senkte die Augen und schien tief beschämt, daß ein Mittel, dessen Zuverlässigkeit ihm in seinem Kraal oft genug nachgewiesen worden war, sich im zivilisierten Leben als so machtlos erweise.
»Mr. Watkins«, begann da der Anführer der Polizeimannschaft mit einer Verbeugung gegen den Farmer, der, eine Beute der Verzweiflung, in seinem Lehnstuhl sitzen geblieben war, »wir müssen diesem Vorfall gegenüber unsere Ohnmacht bekennen. Vielleicht sind wir morgen glücklicher, wenn wir jedem, der uns auf die Spur des Diebes führt, eine hohe Belohnung in Aussicht stellen.«
»Der Dieb!« rief da Annibal Pantalacci, »warum sollte es nicht der sein, den sie beauftragten, über seine Stammesgenossen abzuurteilen?«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte der Polizeioffizier.
»Nun ... jener Matakit, der, indem er die Rolle des Wahrsagers übernahm, hoffen durfte, jeden Verdacht von sich fernzuhalten!«
Wer jetzt auf ihn geachtet hatte, müßte haben sehen können, wie Matakit das Gesicht auf eigentümliche Weise verzog, sofort den Saal verließ und sich seitwärts nach seiner Hütte wandte.
»Ja«, fuhr der Neapolitaner fort, »er gehört ja auch selbst zu denen, die bei Tisch aufwarteten. Er ist ein Spitzbube, ein Schurke, dem Monsieur Mere, man begreift nicht warum, seine besondere Zuneigung geschenkt hat.«
»Matakit ist ehrlich, dafür stehe ich ein!« erklärte Miss Watkins, bereit, den Diener Cypriens zu verteidigen.
»Wie kannst du das wissen?« erwiderte John Watkins. »Ja, ja, er wäre wohl imstande, selbst die Hand nach dem >Südstern< ausgestreckt zu haben.«
»Nun, er kann ja nicht weit sein!« meinte der Polizeioffizier. »Wir werden ihn binnen einer Minute visitiert haben. Findet sich der Diamant in seinem Besitz, so bekommt er soviele Peitschenhiebe, wie dieser Karate wog, und wenn er daran nicht stirbt, wird er mit dem 432. aufgehenkt!«
Miss Watkins zitterte vor Furcht. All die halbwilden Leute jubelten dem schrecklichen Urteil des Offiziers zu. Doch wie hätte sie diese rohen, gewissen- und mitleidslosen Menschen zu bändigen vermocht?
Einen Augenblick später standen Mr. Watkins und seine Gäste vor Matakits Hütte, deren Tür erbrochen wurde.
Matakit war nicht da, und vergeblich suchte man nach ihm die ganze Nacht.
Auch am folgenden Morgen war nichts von ihm zu sehen, und man mußte nun wohl annehmen, daß er die Van-dergaart-Kopje verlassen habe.
12. KAPITEL Vorbereitungen zum Aufbruch
Am folgenden Morgen, als Cyprien Mere erfuhr, was sich bei dem Gastmahl ereignet hatte, war es sein erstes, gegen die schwere Beschuldigung seines Dieners Einspruch zu erheben. Er konnte nicht zugeben, daß Matakit der Urhe-
ber eines so schweren Diebstahls sei, und traf also in seiner Auffassung der Sachlage nicht mit Annibal Pantalacci zusammen. In der Tat hätte er eher auf Annibal Pantalacci, auf Herrn Friedel, Nathan oder jeden anderen seinen Verdacht gerichtet.
Immerhin war es wenig wahrscheinlich, daß ein Europäer sich jenes Verbrechens schuldig gemacht haben könne. Für all diejenigen, die seinen Ursprung nicht kannten, war der »Südstern« ein natürlicher Diamant und hatte deshalb einen so hohen Wert, daß ihn niemand ohne großes Aufsehen hätte verkaufen können.
»Und doch«, wiederholte sich Cyprien, »ist es ja nicht unmöglich, daß Matakit es gewesen wäre!«
Dann aber erinnerte er sich wieder seiner eigenen Zweifel bezüglich verschiedener kleiner Diebereien, deren sich der Kaffer selbst in seinem Dienst schuldig gemacht hatte. Trotz aller Ermahnungen seines Herrn hatte dieser, dem Trieb der Natur gehorchend, und von weitem Gewissen - bezüglich des Mein und Dein - diese beklagenswerte Gewohnheit nicht abzulegen vermocht. Immerhin handelte es sich dabei zwar nur um geringwertige Gegenstände, indes bedurfte es ja nicht mehr, um über Matakit ein Vorurteil aufkommen zu lassen, das eben nicht zu seiner Ehre sprach.