»Miss Watkins«, sagte Cyprien halblaut, indem er sich höflich vor ihr verneigte, »auch ich würde an der Verfolgung teilnehmen, aber darf ich das ohne Ihre Erlaubnis?«
»Sie haben sie und meine besten Wünsche obendrein, Monsieur Cyprien!« antwortete sie lebhaft.
»Dann bin ich bereit, bis ans Ende der Welt zu gehen!« rief Cyprien, sich jetzt John Watkins wieder zuwendend.
»Daß wir die Rechnung nur nicht ohne den Wirt machen«, warf Annibal Pantalacci ein, »denn ich glaube, daß Matakit uns hübsch zu laufen geben wird. So wie er jedenfalls entflohen ist, wird er schon morgen in Potchefstroom sein und das Gebirgsgebiet erreicht haben können, ehe wir noch dazu kommen, unsere Hütten zu verlassen.«
»Wer hindert uns denn, noch heute, noch in dieser Stunde aufzubrechen?« fragte Cyprien.
»Oh, ich gewiß nicht, wenn es Sie so drängt!« entgegnete der Neapolitaner. »Ich für meinen Teil mag mich aber nicht ohne etwas zu beißen einschiffen. Ein guter Wagen mit einem Dutzend Zugochsen und zwei Reitpferden, das ist das
Mindeste, was wir zu einer Expedition brauchen, wie ich mir diese hier vorstelle. Und all das findet sich höchstens erst in Potchefstroom!«
Sprach denn Annibal Pantalacci jetzt im Ernst? Ging seine Absicht nicht vielmehr nur darauf hinaus, seine Rivalen auszuschließen? Die Antwort hierauf wäre wohl zweifelhaft gewesen.
Zweifelhaft war aber nicht, daß er vollkommen recht hatte. Ohne derartige Beförderungsmittel und ohne Vorrat an Nahrung und dergleichen wäre es entschieden Torheit gewesen, sich in den nördlichen Teil des Griqualands hineinzuwagen.
Ein Wagen mit Ochsengespann - das wußte Cyprien recht gut - kostete mindestens 8- bis 10.000 Francs, und er für seinen Teil besaß höchstens 4000.
»Halt! Ein Gedanke !« rief plötzlich Thomas Hilton, der in seiner Eigenschaft als »Afrikaner« von schottischem Ursprung immer die Sparsamkeit in den Vordergrund zu stellen pflegte, »weshalb sollten wir nicht alle vier zur Ausführung dieser Expedition zusammentreten? Die Aussichten auf Gewinn blieben deshalb für jeden dieselben und die Unkosten würden sich ebenso verteilen.«
»Das erscheint mir ganz richtig«, bemerkte Friedel.
»Und ich nehme den Vorschlag an«, erklärte Cyprien ohne Zögern.
»Für diesen Fall«, meinte Annibal Pantalacci, »hätten wir nur dahin übereinzukommen, daß jedem seine Unabhängigkeit gesichert und ihm überlassen bleibt, sich von den andern zu trennen, wenn er es für geboten erachtet, das Ergreifen des Flüchtlings allein zu versuchen!«
»Das versteht sich von selbst«, antwortete James Hilton, »wir vereinigen uns nur zum Ankauf des Wagens, der Büffel und des Proviants, doch bleibt es jedem überlassen, allein weiterzuziehen, wenn er das für angezeigt hält. Desto besser für den, dem es zuerst gelingt, das Ziel zu erreichen!«
»Einverstanden!« erklärten Cyprien, Annibal Pantalacci und Friedel.
»Wann werden Sie aufbrechen?« fragte John Watkins, dem diese Vereinigung von Kräften vierfache Hoffnung auf Wiedererlangung seines Diamanten eröffnete.
»Morgen mit dem Eilwagen von Potchefstroom«, antwortete Friedel. »Es ist auf keine Weise daran zu denken, vor diesem dorthin zu kommen.«
»Einverstanden!«
Inzwischen hatte Alice Cyprien beiseite genommen und ihn gefragt, ob er wirklich glaube, daß Matakit der Urheber eines solchen Diebstahls sein könne.
»Miss Watkins«, antwortete der junge Ingenieur, »ich muß wohl zugestehen, daß alle Anzeichen gegen ihn sprechen, besonders da er die Flucht ergriffen hat. Was mir aber ebenso gewiß scheint, ist, daß Annibal Pantalacci ganz das Aussehen hat, als könnte er so manches über das Verschwinden des Diamanten sagen! Welche Galgenphysiognomie! ... Und einen solchen Mann als Teilhaber anzunehmen! Doch Not bricht ja Eisen! Es deucht mir immer noch besser, ihn unter der Hand zu haben und überwachen zu können, als ihn allein und ganz nach Gefallen schalten zu lassen!«
Die vier Bewerber nahmen bald Abschied von John Wat-kins und seiner Tochter. Wie es unter solchen Verhältnissen natürlich erscheint, gestaltete sich die Verabschiedung ziemlich kurz und beschränkte sich nur auf einen gegenseitigen Händedruck. Was hätten sie auch sprechen sollen, diese Rivalen, die zwar miteinander aufbrachen und sich doch im Grunde gegenseitig zum Teufel wünschten.
Nach Hause zurückgekehrt, fand Cyprien Li und Bardik. Seit seinem Dienstantritt bei ihm hatte der junge Kaffer sich stets voller Eifer gezeigt. Der Chinese und er schwatzten eben ein wenig auf der Schwelle der Tür, und der junge Ingenieur kündigte ihnen an, daß er in Gesellschaft Friedels, James Hiltons und Annibal Pantalaccis abreisen werde, um die Verfolgung des davongegangenen Matakit aufzunehmen.
Da wechselten beide einen Blick - nur einen einzigen; dann traten sie näher heran, ohne ein Wort über den Flüchtling selbst fallen zu lassen.
»Väterchen«, sagten sie zusammen, »nimm uns auch mit, wir bitten dich inständig darum!«
»Euch mitnehmen? ... Und wozu?«
»Um dir den Kaffee und das Essen zu bereiten«, antwortete Bardik.
»Und um deine Wäsche instand zu halten«, ließ sich Li vernehmen.
»Um Übeltäter zu hindern, daß sie dir Schaden zufügen!« schlossen beide, als ob sie sich verabredet hätten.
Cyprien betrachtete sie mit einem dankbaren Blick.
»Gut«, erklärte er, »ich nehme euch, da ihr es ausdrücklich wünscht, beide mit!«
Hierauf suchte er noch den alten Jacobus Vandergaart auf, dem er Lebewohl sagte und der es weder billigte noch mißbilligte, daß Cyprien sich dieser Expedition anschloß, aber ihm noch die Hand drückte und glückliche Reise wünschte.
Am folgenden Morgen, als er sich in Begleitung seiner beiden treuen Diener nach dem Lager von Vandergaart begab, um den Eilwagen nach Potchefstroom zu besteigen, richtete der junge Ingenieur noch einmal die Augen nach der Farm Watkins', die noch in tiefem Schlummer zu liegen schien.
War es eine Täuschung? Er glaubte hinter dem weißen Musselin eines der Fenster eine leichte Gestalt wahrzunehmen, die im Augenblick, als der Wagen fortrollte, ihm noch ein letztes Lebewohl zuwinkte.
13. KAPITEL Durch den Transvaal
In Potchefstroom hörten die vier Reisenden, daß ein junger Kaffer, dessen Personenbeschreibung vollkommen auf Matakit paßte, am Vortag durch die Stadt gekommen war. Das durfte als glückliches Vorzeichen für den Erfolg ihres Zugs angesehen werden. Dieser drohte freilich sich sehr in die Länge zu ziehen, weil der Flüchtling sich hier einen leichten zweirädrigen Wagen zugelegt hatte, der mit einem Strauß bespannt und aus diesem Grund gewiß nur sehr schwer einzuholen war. Es gibt nämlich wirklich keine besseren Läufer als diese Tiere, und gleichzeitig keine ausdauernderen und schnelleren. Zum Ziehen brauchbare Strauße sind übrigens, selbst im Griqualand, etwas sehr Seltenes, da sie sich nur schwierig abrichten lassen. Aus eben diesem Grund konnten sich auch Cyprien und seine Genossen ein ähnliches Gefährt in Potchefstroom nicht zulegen.
Unter so günstigen Umständen - das war als ziemlich sicher zu betrachten - eilte Matakit also auf dem Weg nach Norden hin, und das mit einem so schnellen Wagen, daß er zehn Wechselpferde außer Atem gebracht hätte.
Es blieb also nichts übrig, als der Versuch, ihm so schnell wie möglich zu folgen. Freilich hatte der Flüchtling außer seinem nicht unbedeutenden Vorsprung auch noch den Vorteil einer Schnelligkeit, welche die, auf die seine Verfolger sich verwiesen sahen, weit übertraf.
Am Ende haben jedoch auch die Kräfte eines Straußes ihre Grenzen. Matakit mußte gelegentlich wohl oder übel einmal Rast machen und dabei vielleicht Zeit verlieren. Im schlimmsten Fall hoffte man ihn jedoch wenigstens am Ende seiner Fahrt zu erreichen.