Dann ging er auf Bardik zu, dem er die schon übergebe-nen Straußfedern aus der Hand nahm, und ließ diese ebenso verschwinden, wie er es mit den Knöpfen gemacht hatte.
Die Weißen waren bisher passive Zuschauer dieses Auftritts gewesen und wußten auch nicht, ob es ratsam war, sich dabei einzumischen, als Lopepe diese Schwierigkeit beseitigte, indem er auf sie zukam. In befehlendem Ton richtete er dann an diese eine lange Ansprache, die natürlich keiner von ihnen verstand.
Nur James Hilton, der einige Worte der Betchuana-Spra-che kannte, gelang es, wenigstens den allgemeinen Sinn dieser Ansprache zu fassen, den er seinen Begleitern verdolmetschte. In der Hauptsache lief das darauf hinaus, daß der Häuptling sich bitter beklagte, daß man Bardik gestattet habe, mit den Macalaccas einen Handel anzufangen, da diese ja nichts Eigenes besitzen dürften.
Zum Schluß erklärte er die weggenommene Ware als
Konterbande und fragte den Weißen, was sie von ihrer Seite zu sagen hätten.
Unter diesen herrschte hierüber eine ziemlich geteilte Ansicht. Annibal Pantalacci wollte sofort nachgegeben wissen, um mit dem Betchuana-Häuptling nicht in Mißhelligkeiten zu geraten. James Hilton und Cyprien fürchteten, so sehr sie die Rechtmäßigkeit des Verfahrens dieses Wilden anerkannten, doch durch zu große Nachgiebigkeit nur die Unverschämtheit Lopepes zu steigern, und vielleicht, wenn er seine Forderungen zu hoch schraubte, einen Streit unvermeidlich zu machen.
Nach kurzer Beratung wurde dann beschlossen, daß der Betchuana-Häuptling die Knöpfe behalten, die Federn aber wieder herausgeben sollte.
Das gab ihm James Hilton halb durch Gesten, halb mit Hilfe einiger kafferischer Worte zu verstehen.
Lopepe nahm zuerst eine diplomatische Miene an und schien zu zögern. Die Mündungen der europäischen Gewehre, die er im Halbdunkel schimmern sah, brachten ihn aber doch bald auf andere Gedanken, und er lieferte die Federn aus.
Von nun an zeigte sich der wirklich intelligente Häuptling weit zugänglicher. Er bot den drei Weißen ebenso wie Bardik und Li eine Prise aus jener großen Dose an und setzte sich an der Lagerstelle nieder. Ein Glas Branntwein, das ihm der Neapolitaner reichte, brachte ihn vollends in gute Laune, und als er sich dann nach anderthalbstündigem Verweilen, das unter ziemlich vollkommenem Stillschwei-gen verlaufen war, erhob, lud er die Karawane für den folgenden Tag zu einem Besuch in seinem Kraal ein.
Man sagte ihm das zu, und nach Wechslung eines Händedrucks zog Lopepe sich majestätisch zurück.
Bald nach seinem Aufbruch hatten sich alle niedergelegt, mit Ausnahme Cypriens, der, nachdem er sich in seine Decke gehüllt, träumerisch die Sterne betrachtete.
Es war eine mondlose Nacht, in der die Sterne desto glänzender blinkten. Das Feuer erlosch allmählich, ohne daß der junge Ingenieur darauf achtete.
Er gedachte der Seinigen, die in diesem Augenblick gewiß nicht ahnten, welch seltsames Abenteuer ihn hier in die Wüste Südafrikas verschlagen hatte, an die reizende Alice, die vielleicht auch nach den Sternen aufschaute, und an alle, die seinem Herzen teuer waren. Als er sich so in süße Träume versenkte, denen die Totenstille der Ebene noch einen poetischeren Hauch verlieh, fing er an halb einzuschlummern. Da vernahm er plötzlich auffallende Tritte und bemerkte, daß die für die Nacht leicht eingehegten Zugtiere unruhig wurden und aufsprangen.
Cyprien glaubte dann im Schatten eine niedrigere, gedrungenere Gestalt als die der Büffel zu erkennen, die ohne Zweifel die Veranlassung zu dieser Erregung war. Ohne lange zu überlegen, was das sein könnte, ergriff Cyprien eine Peitsche, die ihm zur Hand lag, und ging unerschrocken auf das Lager der Tiere zu.
Er hatte sich nicht getäuscht. Fast inmitten der Büffel be-fand sich hier ein Tier, das den Schlaf der ersteren gestört hatte.
Selbst nur halb munter und ohne groß nachzudenken, um was es sich handeln könne, versetzte er dem Eindringling aufs Geratewohl einen Hieb über die Schnauze.
Auf diesen Angriff antwortete sofort ein furchtbares Brüllen!
Es war ein Löwe, den der junge Ingenieur eben wie ein einfaches Kaninchen behandelt hatte.
Kaum gewann er aber Zeit, die Hand an einen der Revolver zu legen, die er stets im Gürtel trug, und rasch zur Seite zu springen, als das Tier, das zuerst auf ihn zugestürzt war, ohne ihn zu erreichen, von neuem auf seinen ausgestreckten Arm losgesprungen kam.
Cyprien fühlte, wie die scharfen Krallen ihm ins Fleisch eindrangen, und rollte mit dem furchtbaren Raubtier in den Staub. Plötzlich krachte ein Schuß; der Körper des Löwen wand sich in schmerzlichen Zuckungen, streckte sich dann aus und lag bewegungslos neben ihm.
Mit der noch freigebliebenen Hand hatte Cyprien, ohne seine Kaltblütigkeit zu verlieren, dem Raubtier seinen Revolver ins Ohr abgefeuert, und eine Sprengkugel hatte diesem den Kopf zerschmettert.
Inzwischen kamen die durch das Gebrüll und den Schuß wachgewordenen Schläfer nach dem Kampfplatz. Man befreite Cyprien von dem noch zum Teil über ihm liegenden gewaltigen Tier und untersuchte seine Wunden, die sich zum Glück nicht als ernsthaft erwiesen. Li verband sie ihm mit in Branntwein getauchter Leinwand, im Wagen wurde ihm der bequemste Platz eingeräumt und bald darauf schliefen alle wieder, während Bardik Wache hielt, wozu er sich bis zum anbrechenden Morgen erboten hatte.
Kaum graute der Tag, als die Stimme James Hiltons, der seine Gefährten zu Hilfe rief, diesen wieder einen neuen Unfall verkündete. James Hilton hatte ganz angekleidet im Vorderteil des Wagens gelegen, und stieß jetzt seine Worte im Ton des größten Entsetzens hervor, ohne jedoch eine eigene Bewegung zu wagen.
»Um mein rechtes Knie hat sich eine Schlange gewickelt, unter der Hose!« sagte er. »Sprecht nicht zu laut oder ich bin verloren. Seht aber zu, was etwa zu tun ist!«
Seine Augen hatten sich vor Schreck übernatürlich geweitet, und das Gesicht war totenbleich. In der Gegend seines rechten Knies bemerkte man wirklich unter der blauen Leinwand der Kleidung die Anwesenheit eines fremden Körpers - einer Art um das Bein geschlungenen Kabels. Die Lage war offenbar ernsthaft. Wie James Hilton sagte, konnte die Schlange ihn bei der ersten Bewegung, die er machte, beißen.
Inmitten dieser Angst und allgemeinen Unentschlossenheit übernahm es aber Bardik, der Sache ein Ende zu machen. Nachdem er den Hirschfänger seines Herrn ergriffen hatte, näherte er sich James Hilton mit kaum bemerkbarer Bewegung, dann brachte er die Augen etwa auf das gleiche Niveau mit der Schlange und schien einige Sekunden die
Lage des Reptils genau zu studieren. Ohne Zweifel suchte er zu erkennen, wo sich der Kopf des Tieres befinden möge.
Plötzlich erhob er sich mit rascher Bewegung, schlug mit kräftigem Arm zu, und der blanke Stahl traf mit kurzem Schlag das Knie James Hiltons.
»Sie können die Schlange abschütteln. Sie ist tot!« sagte Bardik, der lächelnd alle Zähne zeigte.
James Hilton gehorchte maschinenmäßig und schüttelte das Bein . . . das Reptil fiel zu seinen Füßen nieder.
Es war eine schwarze Viper von kaum einem halben Zoll Durchmesser, aber eine, deren geringster Biß den Tod hätte zur Folge haben müssen. Der junge Kaffer hatte sie mit wunderbarer Geschicklichkeit geköpft. Die Hose James Hiltons zeigte einen Schnitt von kaum 6 Zentimeter Länge und seine Oberhaut war nicht einmal geritzt.
Auffallenderweise - und Cyprien empörte das ordentlich - schien es James Hilton gar nicht in den Sinn zu kommen, seinem Retter zu danken. Jetzt, wo er der Gefahr entronnen war, hielt er diese Intervention für völlig selbstverständlich. Ihm konnte der Gedanke gar nicht kommen, die schwarze Hand eines Kaffern zu ergreifen und diesem ein »Ich danke!« zu sagen.
»Ihr Hirschfänger hat wirklich eine gute Schneide!« bemerkte er einfach, während Bardik diesen wieder in die Scheide steckte, ohne dem, was er getan hatte, selbst eine besondere Bedeutung zuzumessen.