James Hilton stieß noch einen letzten Schrei aus. Binnen 3 Sekunden war er nicht mehr, als eine blutige Fleischmasse,
auf die der Elefant teilweise niedersank, um sich nicht wieder zu erheben.
»Ich wußte, daß es ihm an den Kragen gehen würde!« sagte der Chinese, und hob dazu den Kopf in die Höhe. »Wenn sie irgend Gelegenheit finden, unterlassen es die Elefanten niemals, ihren Feind noch in den letzten Todeszuckungen zu vernichten!«
Das war die ganze Leichenrede für James Hilton. Noch immer unter dem Eindruck des Verrats, dem er hatte zum Opfer fallen sollen, erkannte der junge Ingenieur in diesem plötzlichen Ende die gerechte Vergeltung der Vorsehung, geübt an einem Schurken, der ihn hatte wehrlos der Wut eines so furchtbaren Tieres preisgeben wollen.
Die Gedanken, die dem Neapolitaner jetzt aufsteigen mochten, hütete dieser sich weislich, andern zu erkennen zu geben.
Inzwischen hatte der Chinese schon begonnen, im Rasen der Prärie mit dem Jagdmesser eine Grube auszuheben, in der mit Hilfe Cypriens bald die unförmlichen Reste seines Freundes für immer gebettet wurden.
All das nahm einige Zeit in Anspruch, und die Sonne stand schon hoch am Horizont, als die drei Männer den Weg nach dem Halteplatz wieder einschlugen.
Wie groß war aber ihr Erstaunen, als sie dort anlangten! ... Bardik war dort nicht mehr zu finden.
16. KAPITEL Verräterei
Was mochte also während der Abwesenheit Cypriens und seiner zwei Gefährten hier vorgefallen sein? Es wäre schwer zu sagen gewesen, wenn der junge Kaffer nicht vielleicht wieder erschien.
Man erwartete zunächst Bardik, rief nach ihm und suchte überall, aber ohne daß eine Spur von ihm zu entdecken war. Das noch bei dem schon erloschenen Feuer stehende Frühstück, das er zu bereiten begonnen hatte, schien darauf hinzudeuten, daß er vor 2 oder 3 Stunden verschwunden sein konnte.
Cyprien sah sich also auf reine Mutmaßungen beschränkt, was die Abwesenheit seines Dieners veranlaßt haben könne, ohne daß er jedoch dadurch zu einer Erklärung dafür gelangte.
Daß der junge Kaffer vielleicht von einem Raubtier überfallen worden wäre, war kaum anzunehmen, denn es fand sich keine Spur eines stattgefundenen blutigen Kampfs, nicht einmal eine Unordnung in den Reiseeffekten usw. Daß er davongelaufen sei, um nach seiner Heimat zurückzukehren, wie das die Kaffern allerdings nicht selten tun, hatte ebenso wenig Wahrscheinlichkeit für sich gegenüber einem sonst so treu ergebenen Burschen, und der junge Ingenieur wies auch diese, zuerst von Annibal Pantalacci angedeutete Annahme mit aller Entschiedenheit zurück.
Kurz, nach halbtägiger Nachforschung wurde der junge
Kaffer noch immer nicht wiedergefunden, und sein Verschwinden blieb ein vollkommen unerklärliches Vorkommnis.
Annibal Pantalacci und Cyprien beratschlagten also miteinander und beschlossen darauf, mit der Aufhebung des Lagers auf jeden Fall noch bis zum anderen Tag zu warten. Vielleicht erschien Bardik bis dahin wieder, da er sich ja bei Verfolgung eines Wildes verirrt haben konnte, das seine Jagdleidenschaft erregt haben mochte.
Erinnerte man sich freilich an den unliebsamen Besuch, den eine Abteilung Kaffern an einem der früheren Lagerplätze abgestattet, und vergegenwärtigte man sich die Fragen, die jene an Bardik und Li gestellt hatten, sowie ihre Furcht, hier Fremdlinge anzutreffen, vielleicht gar Spione, die sich in das Gebiet Tonaias begaben, so lag wohl die Frage nah, ob Bardik nicht in die Hände solcher Eingebor-nen gefallen und von diesen gewaltsam bis nach der Hauptstadt geschleppt worden sein könne.
Der Tag verlief ziemlich trüb und der Abend eher noch trauriger. Es war, als ob das Unglück die Expedition jetzt auf Tritt und Schritt verfolgte. Annibal Pantalacci war wütend, aber stumm. Seine beiden näheren Genossen, Friedel und James Hilton, waren tot, und jetzt stand er allein seinem jungen Rivalen gegenüber, den er sich jedoch eher mit größerer Hartnäckigkeit als vorher vom Hals zu schaffen bestrebt blieb, da er ihm ebenso bezüglich der Auffindung des Diamanten gefährlich, wie bezüglich der als Preis dafür winkenden Heirat lästig erschien. Für ihn war ja das Ganze eine reine Geschäftsangelegenheit.
Cyprien, dem Li inzwischen mitgeteilt hatte, was er von der Entfernung der Patrone aus der Büchse wußte, sah sich genötigt, jetzt seinen Reisegefährten Tag und Nacht zu überwachen, obwohl der Chinese freiwillig einen Teil dieser beschwerlichen und widerlichen Aufgabe übernahm.
Schweigend und mit den Pfeifen am Feuer sitzend, verbrachten Cyprien und Annibal Pantalacci den Abend und zogen sich endlich unter die Wagenplane zurück, ohne sich eine gute Nacht zu wünschen. Li blieb es nun überlassen, beim Feuer zu wachen, um etwaige Raubtiere fernzuhalten.
Auch mit Anbruch des folgenden Tages war der junge Kaffer noch nicht zum Lagerplatz zurückgekehrt.
Cyprien hätte gern noch 24 Stunden zugegeben, um seinem Diener eine weitere Möglichkeit zur Rückkehr zu gewähren, der Neapolitaner bestand aber darauf, nun sofort aufzubrechen.
»Wir werden wohl auch ohne Bardik auskommen«, sagte er, »und hier länger zu zögern, setzt uns der Gefahr aus, Matakit überhaupt nicht zu finden.«
Cyprien gab nach, und der Chinese ging daran, die Büffel zusammenzutreiben, um weiterfahren zu können.
Da traf sie aber eine neue Enttäuschung. Auch die Büffel waren nicht mehr aufzufinden. Noch am Vorabend hatten sie bestimmt im hohen Gras der Umgebung des Lagerplat-zes geweidet . . . jetzt war es unmöglich, auch nur einen von ihnen zu entdecken.
Erst jetzt konnte man die Tragweite des Verlustes ermessen, den die Expedition durch das Verschwinden Bardiks erlitten hatte! Wäre der intelligente Diener noch an seiner Stelle gewesen, so würde er bei seiner Bekanntschaft mit den Gewohnheiten der Büffel des südlichen Afrikas gewiß nicht versäumt haben, diese, nachdem sie einen ganzen Tag gerastet hatten, an Bäume oder irgendwelche feste Pfähle zu binden. Nach langen Marschtagen ist diese Vorsicht gewöhnlich unnötig; bei ihrer Ermüdung denken die Tiere an gar nichts anderes, als in der Nähe zu weiden, legen sich darauf behaglich nieder und werden am nächsten Morgen kaum in der Entfernung von 100 Metern von den Lagerplätzen wiedergefunden. Das gestaltet sich aber anders, wenn sie einen Tag lang geruht und sich durch reichliches Futter gekräftigt haben.
Beim Erwachen hatten die Tiere offenbar zunächst schmackhaftere Nahrung gesucht, als sie vielleicht am Abend vorher fanden. Dabei mochten sie sich immer weiter entfernt und den Lagerplatz ganz aus den Augen verloren haben, und waren dann wohl, getrieben durch einen gewissen Instinkt, der sie nach dem gewohnten Stall zurückzieht, ganz einfach den Weg nach dem Transvaal zurückgetrabt.
Das war ein Unglück, das, wenn es bei den Zügen durch das innere Afrika auch nicht so selten vorkommt, darum nicht minder ernst erscheint, denn ohne Zugtiere wurde der Wagen natürlich nutzlos, und für den afrikanischen
Reisenden bildet der Wagen gleichzeitig das Haus, das Magazin und die Festung.
Cyprien und Annibal Pantalacci fühlten sich also stark enttäuscht, als sie, nachdem sie 2 oder 3 Stunden die Tiere eifrig gesucht, einsahen, daß sie hier auf jede Hoffnung, sie wiederzufinden, verzichten mußten.
Ihre Lage wurde dadurch ausnehmend schwierig und sie traten noch einmal zur Beratschlagung zusammen. Unter den gegebenen Umständen gab es nur einen Entschluß: den Wagen zurückzulassen, sich mit soviel Mundvorrat und Munition zu beladen, wie es möglich war, und die Reise nur zu Pferd fortzusetzen. Trafen sich die Verhältnisse glücklich, so konnten sie vielleicht mit einem Kaffernhäuptling über den Ankauf neuer Zugochsen einig werden, wenn sie ihm ein Gewehr und einige Patronen abtraten. Li sollte nun das Pferd James Hiltons, das jetzt ja keinen Herrn mehr hatte, besteigen.