Alle gingen also daran, eine Menge harziger Äste abzuschlagen, um damit den Wagen wie unter einem Strauch zu verbergen. Darauf belud sich jeder mit dem, was er in den Taschen und in einem Quersack unterbringen konnte, so daß sie wenigstens einige Vorräte an Leibwäsche, Konservenbüchsen und Schießbedarf hatten. Der Chinese mußte freilich zu seinem größten Leidwesen darauf verzichten, seinen roten Kasten mitzunehmen, weil er zu schwer war; er ließ sich aber nicht überreden, auch den Strick aufzugeben, sondern band sich ihn als Gürtel unter seine Kutte.
Nach Abschluss dieser Vorbereitungen und nachdem sie einen letzten Blick durch das Tal geworfen, das für sie so verhängnisvoll geworden war, schlugen die drei Reiter den Weg nach den Bergen wieder ein. Dieser Weg bestand übrigens, wie alle anderen im Land, nur aus einem von wilden Tieren getretenen Fußpfad, der gewöhnlich in kürzester Linie nach den Stellen führt, wo diese ihren Durst zu löschen pflegen.
Schon war die Mittagsstunde vorüber, und unter brennender Sonnenglut trabten Cyprien, Annibal Pantalacci und Li ziemlich schnell bis zum Anbruch des Abends weiter; nachdem sie dann in einer tiefen Schlucht unter dem Schutz eines großen Felsblocks haltgemacht und sich um ein tüchtiges Feuer aus trockenem Holz gelagert hatten, sagten sie sich, daß alles in allem der Verlust des Wagens doch kein so unersetzliches Unglück sei.
2 Tage hindurch reisten sie in dieser Weise weiter, ohne einen Zweifel daran zu hegen, daß sie sich auf der richtigen Fährte des Flüchtlings befänden. Am Abend des zweiten Tages, als sie sich, schon langsamer reitend, einer Gruppe von Bäumen näherten, unter denen sie die Nacht zu verbringen gedachten, stieß Li plötzlich einen ganz eigentümlichen Gaumenlaut aus.
»Hugh!« rief er und zeigte mit dem Finger nach einem kleinen schwarzen Punkt, der sich beim letzten Schein der Abenddämmerung am Horizont fortbewegte.
Cypriens und Annibal Pantalaccis Blicke folgten selbstverständlich der von dem Chinesen angedeuteten Richtung.
»Ein Reisender!« rief der Neapolitaner.
»Das ist Matakit selbst!« erklärte Cyprien, der sofort ein Fernrohr vor die Augen gesetzt hatte. »Ganz deutlich erkenne ich seinen Wagen mit einem vorgespannten Strauß! ... Er ist es sicherlich!«
Nachdem er das Fernrohr Pantalacci gereicht, konnte auch dieser sich von der Richtigkeit der Tatsache überzeugen.
»Wie weit mag er sich, Ihrer Schätzung nach, jetzt von uns entfernt befinden?« fragte Cyprien.
»Mindestens 7 bis 8 Meilen; es können aber auch 10 sein«, antwortete der Neapolitaner.
»Sonach müssen wir darauf verzichten, ihn noch heute, bevor wir haltmachen, einzuholen?«
»Unzweifelhaft«, versicherte Annibal Pantalacci. »Binnen einer halben Stunde ist's tiefdunkle Nacht, und wir können gar nicht mehr daran denken, in jener Richtung einen Schritt weiter vorwärtszudringen.«
»Nun gut, so haben wir, einen recht frühzeitigen Aufbruch vorausgesetzt, doch morgen die sichere Aussicht, ihn zu erreichen.«
»Das ist ganz meine Ansicht!«
Die Reiter waren damit zu der Baumgruppe gelangt und stiegen nun aus dem Sattel. Hergebrachter Gewohnheit folgend, gingen sie zuerst daran, die Pferde mit Stroh abzureiben und zu striegeln, ehe diese an eingeschlagene kurze Pfähle gebunden wurden, um in deren Umgebung zu wei-
den. Inzwischen hatte der Chinese schon ein Feuer angezündet.
Unter diesen Vorbereitungen war es Nacht geworden. Heute verlief das Abendessen vielleicht bei etwas heiterer Stimmung als an den letztvergangenen 3 Tagen. Kaum war es jedoch verzehrt, da wickelten die drei Reisenden sich schon in ihre Decken und streckten sich neben dem für die ganze Nacht mit genügendem Brennmaterial beschickten Feuer, den Kopf auf die Sättel gestützt, zum Schlummer nieder. Es galt ja, morgen zeitig auf den Füßen zu sein, einen doppelten Marsch zu machen und Matakit einzuholen.
Cyprien und der Chinese waren bald fest eingeschlafen, was ihrerseits vielleicht etwas unklug erschien.
Nicht so der Neapolitaner. 2 oder 3 Stunden wälzte er sich, wie von einer fixen Idee besessen, unter seiner Decke umher. Wiederum führten ihn seine schurkischen Gelüste in Versuchung.
Endlich erhob er sich, wie zu einem Entschluß gelangt, schlich nach den Pferden hin und sattelte sein eigenes; dann band er Templar und das des Chinesen los, packte sie an der Halfter und führte sie mit weg. Das den Erdboden bedeckende feine Gras erstickte vollständig den Laut der Tritte der drei Tiere, die, wahrscheinlich auch verwundert über die ungewohnte Unterbrechung ihrer Nachtruhe, alles ruhig mit sich machen ließen. Annibal Pantalacci stieg mit ihnen nach der Sohle des Tals hinunter, an dessen oberem Hang Rast gemacht worden war, band sie hier an ei-nen Baum und kehrte zum Lagerplatz zurück. Von den hier Schlafenden hatte keiner auch nur ein Glied bewegt.
Der Neapolitaner raffte nun schweigend seine Decke, ein gezogenes Gewehr, die nötige Munition nebst etwas Mundvorrat zusammen und ließ kalt und herzlos seine beiden Gefährten inmitten der Wüstenei zurück.
Schon seit Sonnenuntergang hatte ihm der Gedanke vorgeschwebt, mit Entfernung der Pferde Cyprien und Li außer Stand zu setzen, Matakit einzuholen. Damit aber sicherte er sich selbst den Sieg. Weder der Schurkenstreich, den er damit eigentlich schon beging, noch die Gemeinheit, seine Gefährten so der wichtigsten Hilfsmittel für ihr Fortkommen zu berauben, vermochten den Schurken zurückzuhalten. Er schwang sich in den Sattel, nahm von dem Versteck, wo er sie zurückgelassen hatte, die ungeduldig schnaubenden Pferde mit fort, und trabte beim Schein des Mondes, dessen Rand eben über den Kamm der Hügelkette emporstieg, schweigend ins Land.
Cyprien und Li schliefen noch immer. Gegen 3 Uhr morgens erwachte der Chinese und betrachtete die Sterne, die am östlichen Horizont schon erbleichten.
»Es ist wohl Zeit, den Kaffee zu bereiten«, sagte er für sich.
Ohne weiteres Zögern warf er die ihn umhüllende Decke ab, sprang in die Höhe und begann seine Morgentoilette, die er in der Wüste ebensowenig wie in der Stadt vernachlässigte.
»Wo steckt denn der Pantalacci?« fragte er sich plötzlich.
Schon stieg die Morgenröte höher empor und die nächste Umgebung des Lagerplatzes wurde deutlicher erkennbar.
»Auch die Pferde sind nicht mehr da!« fuhr er in seinem Selbstgespräch fort. »Sollte dieser wackere Kumpan etwa . . .«
Mit dem aufkeimenden Verdacht, was hier vorgefallen sein möge, eilte er nach den Pfählen, an welche die Pferde am Abend vorher gebunden worden waren, überblickte sorgsam den ganzen Lagerplatz und gewahrte, daß auch das ganze Gepäck des Neapolitaners verschwunden war.
Die Sache war nun klar.
Ein Mann von weißer Rasse hätte gewiß dem sehr natürlichen Bedürfnis, Cyprien zu wecken und ihm sofort das neue schwere Unglück mitzuteilen, nicht widerstehen können. Der Chinese gehörte aber zur gelben Menschenrasse und meinte, daß es mit der Ankündigung eines Unfalls niemals so große Eile habe. Er beschäftigte sich also ruhig mit der Bereitung des Morgenlabsals.
»Es ist noch recht liebenswürdig von dem Spitzbuben, daß er uns wenigstens den nötigen Mundvorrat zurückließ!« sagte er für sich.
Nachdem der Kaffee sorgsam durch ein zu diesem Zweck angefertigtes Leinensäckchen gegossen war, füllte Li damit zwei Tassen - wenn man die Gefäße so nennen darf, denn sie bestanden aus je einer Hälfte von Straußeneierschalen, die er gewöhnlich an einem Knopfloch hängend trug - und näherte sich dann Cyprien, der noch immer schlafend dalag.
»Ihr Kaffee ist fertig, Väterchen«, sagte er höflich, während er dem jungen Ingenieur leise auf die Schulter klopfte.
Cyprien schlug die Augen auf, dehnte und streckte die Glieder, lächelte den Chinesen an und verzehrte halb aufgerichtet das dampfende Getränk.
Erst dann bemerkte er die Abwesenheit des Neapolitaners, dessen Platz ja leer war.