Nach Vollendung dieser Vorbereitungen war es ganz leicht, die beiden Gefangenen wegzuführen. Cyprien und
Li wandten sich rückwärts und suchten den gestrigen Halteplatz auf, um die Sättel, und was sie sonst noch hatten zurücklassen müssen, nachzuholen.
Der Abend reichte aus, um alles vollends in Ordnung zu bringen. Li legte eine wirklich wunderbare Anstelligkeit an den Tag. Er hatte nicht nur Cypriens Sattel sehr bald in der Weise abgeändert, daß er auf dem Rücken einer der Giraffen horizontal befestigt werden konnte, sondern auch für sich selbst einen Sattel aus Zweiggeflecht hergestellt. Aus übergroßer Vorsicht verwendete er noch die halbe Nacht dazu, etwaige Widerstandsgelüste der Giraffen zu brechen, indem er sie nacheinander bestieg und ihnen durch recht merkbare Mittel die Überzeugung beibrachte, daß sie ihm zu gehorchen hätten.
17. KAPITEL Eine afrikanische Steeplechase
Das Bild, das die beiden Reiter boten, als sie am folgenden Tag aufbrachen, war natürlich ein ziemlich sonderbares. Es bleibt sehr zu bezweifeln, ob Cyprien sich in einem solchen Aufzug gern vor den Augen von Miss Watkins auf der Hauptstraße des Lagers von Vandergaart gezeigt hätte. Doch Not bricht ja Eisen. Hier befanden sie sich ja in der Wüste, und die Giraffen bildeten gewiß kaum merkwürdigere Reittiere als etwa Dromedare. Ihre Gangart hatte übrigens eine gewisse Ähnlichkeit mit der jener »Schiffe der
Wüste«. Sie war entsetzlich hart und gleichzeitig von einem solchen Schwanken begleitet, daß die beiden Reisegefährten zuerst fast dieselbe Übelkeit wie von der Seekrankheit verspürten.
Nach 2 bis 3 Stunden hatte sich jedoch Cyprien so gut wie der Chinese an diese Schaukelbewegung gewöhnt. Da die Giraffen nun einen sehr schnellen Schritt einhielten und sich nach einiger, schnell unterdrückter Widerspenstigkeit auch als sehr gelehrig erwiesen, so gestaltete sich alles ganz nach Wunsch.
Es kam jetzt vor allem darauf an, durch vermehrte Geschwindigkeit die während der letzten 3 oder 4 Tage verlorene Zeit wieder einzuholen. Matakit mußte jetzt schon ein gutes Stück Weges vorausgekommen sein. Oder sollte An-nibal Pantalacci ihn gar schon erreicht haben? Mochte dem sein, wie es wollte, jedenfalls blieb Cyprien entschlossen, nichts zu unterlassen, um an sein Ziel zu gelangen.
3 Reisetage hatten die Reiter oder vielmehr die »Giraffenhocker« in ein ebenes Land gebracht. Sie hielten sich jetzt längs des rechten Ufers eines ziemlich windungsreichen Wasserlaufs, der genau nach Norden strömte - ohne Zweifel einer der Nebenflüsse des Sambesi.
Die jetzt vollständig gezähmten und nebenbei durch anstrengende Tagesmärsche nicht weniger wie durch Lis streng eingehaltene magere Fütterung etwas abgematteten Giraffen ließen sich nun mit vollkommener Leichtigkeit regieren. Cyprien konnte sogar die langen Zügel seines Tieres gänzlich loslassen und es durch einfachen Schenkeldruck nach Belieben leiten.
Befreit von der früheren Beschwerlichkeit und Unsicherheit, gewährte es ihm jetzt ein förmliches Vergnügen, aus den eben durchmessenen wilden und verlassenen Gegenden herauszukommen und von allen Seiten Spuren einer schon etwas vorgeschrittenen Zivilisation zu bemerken. Hier fanden sich von Strecke zu Strecke Maniok- oder Tarofelder von sehr regelmäßiger Anlage und bewässert durch ein System aneinandergefügter Bambusrohre, die das Wasser vom Fluß her zuführten, breite und gut erhaltene Wege - kurz, das allgemeine Bild fröhlichen Gedeihens; auf den den Horizont umgebenden Hügeln erhoben sich weiße, bienenstockähnliche Hütten, die eine, übrigens ziemlich dünne Einwohnerschaft bargen.
Dennoch wies hier verschiedenes darauf hin, daß man sich an der Grenze der Wüste befand, und wäre es nur die erstaunliche Menge Raubtiere, Wiederkäuer und andere gewesen, die die Ebene bevölkerten. Da und dort verdunkelten ungeheure Schwärme von Vögeln jeder Art und Größe die Luft. Man sah ganze Gesellschaften von Gazellen oder Antilopen, die über den Weg hineilten; dann wieder erhob ein riesiges Flußpferd den plumpen Kopf aus dem Wasser, schnaufte geräuschvoll und verschwand darauf mit dem Tosen eines Wasserfalls in den wirbelnden Wellen.
Ganz eingenommen von diesem Schauspiel, versah sich Cyprien sehr wenig dessen, was der Zufall ihm hinter der Ecke des kleinen Hügels aufgespart hatte, den er eben mit seinem Begleiter überschritt.
Es bestand in nichts Geringerem als in der Person Anni-bal Pantalaccis, der, noch immer zu Pferd, Matakit mit verhängtem Zügel verfolgte! Nur 1 Meile lag etwa noch zwischen beiden, während sie wenigstens 4 Meilen von Cyprien und den Chinesen trennten.
Bei der hellen Sonne, die ihre Strahlen fast senkrecht herabsandte, und in dieser von einer Fülle von Licht übergos-senen Ebene, nebst der durch einen frischen, noch immer anhaltenden Ostwind gereinigten Atmosphäre konnte ein Zweifel an dem Gesehenen gar nicht aufkommen.
Beide waren von dieser Wahrnehmung so entzückt, daß es ihre erste Bewegung war, sie durch eine wirkliche arabische Fantasie zu feiern! Cyprien stieß sein Hurra hervor und Li sein Hugh, das dieselbe Bedeutung hatte, dann setzten sie ihre Giraffen in scharfen Trab.
Offenbar hatte Matakit den Neapolitaner bemerkt, der gegen ihn an Distanz zu gewinnen schien; seinen alten Herrn und seinen Kopje-Kameraden konnte er jedoch wegen der zu weiten Entfernung am Rand der Ebene gewiß noch nicht wahrnehmen.
Der junge Kaffer trieb auch beim Erblicken Pantalaccis, der nicht der Mann dazu war, lange Umstände zu machen, und der ihn gewiß wie einen Hund niederschießen würde, ohne erst weitere Erklärungen abzuwarten, seinen von einem Strauß gezogenen Karren so schnell wie möglich vorwärts.
Das schnellfüßige Tier flog nur so dahin und sauste weiter wie der Wind, bis es sich plötzlich an einem großen Stein heftig stieß. Das veranlaßte einen so starken Stoß, daß die durch die lange und beschwerliche Fahrt mitgenommene Achse des Karrens glatt abbrach. Da sich gleichzeitig ein Rad aus seinem Lager löste, blieb Matakit mit dem Gefährt, das ihn bisher getragen hatte, mitten auf dem Weg unerwartet sitzen.
Der unglückliche Kaffer mochte durch den dabei erlittenen Sturz stark verletzt sein. Der Schreck aber, der ihm einmal in den Gliedern saß, widerstand auch einem solchen Stoß oder wurde vielmehr dadurch verdoppelt. Fest überzeugt, daß es um ihn geschehen sei, wenn er sich von dem grausamen Neapolitaner fangen ließ, erhob er sich eiligst, spannte den Strauß aus und setzte diesen, indem er sich auf seinen Rücken schwang, in schnellsten Galopp.
Jetzt begann eine halsbrecherische Steeplechase, wie die Welt seit den römischen Kampfspielen wohl noch keine gesehen, bei denen ebenfalls Strauße und Giraffen verschiedene Programmnummern ausfüllten.
Während nämlich Annibal Pantalacci den flüchtigen Matakit verfolgte, eilten Cyprien und Li nun den Spuren des einen wie des andern nach. Sie hatten ja ein lebhaftes Interesse daran, beide zu erreichen, den jungen Kaffer, um die Frage wegen des gestohlenen Diamanten zur Klärung zu bringen, und den schurkischen Neapolitaner, um ihn zu züchtigen, wie er es verdiente.
Die von ihren Reitern angetriebenen Giraffen flogen denn auch, als jene den eingetretenen Unfall bemerkt, bald die langen Hälse weit vorgestreckt, das Maul geöffnet und die Ohren zurückgeschlagen, angespornt und gepeitscht, so daß sie ihr Möglichstes an Geschwindigkeit leisten mußten, fast ebenso schnell wie die besten Vollbluthengste dahin.
Matakits Strauß leistete wirklich Wunder an Schnelligkeit. Kein Sieger im Derbyrennen oder in dem um den großen Preis der Stadt Paris hätte mit ihm in die Schranken treten können. Seine zum Fliegen zwar zu kurzen Schwingen unterstützten ihn doch, seinen Lauf zu beschleunigen. All das ging so schnell vor sich, daß der junge Kaffer schon binnen weniger Minuten gegenüber dem, der ihn verfolgte, einen ganz beträchtlichen Vorsprung gewonnen hatte.