1 oder 2 Stunden später gelang es dem jungen Ingenieur, der von dem Regen halb erstarrt war, doch einzuschlafen, wobei er den Kopf auf einen großen, mit seiner tropfenden Decke belegten Stein stützte.
Als er mit dem Morgenrote erwachte, war er - die Beute eines hitzigen Fiebers geworden.
Unter der Einsicht, daß er verloren sei, wenn er einer solchen Dusche noch länger ausgesetzt blieb - denn der Regen fiel noch immer in Strömen herab, raffte sich Cyprien mit aller Anstrengung auf, erhob sich auf die Füße und be-gann, auf seine Büchse wie auf einen Stock gestützt, den Berg wieder hinabzuklettern.
Wie er unten ankommen würde, das hätte er sich freilich selbst nur schwer sagen können. Bald auf den erweichten Lehnen halb rollend, bald über das nasse Felsgestein gleitend, erschöpft, keuchend, halb erblindet und vom Fieber geschüttelt, vermochte er doch seinen Weg fortzusetzen, und gelangte gegen Mittag zu dem Lagerplatz, wo er seine Giraffe zurückgelassen hatte.
Das Tier war jedenfalls ungeduldig, weil es sich so allein befand, oder vielleicht auch getrieben durch den Hunger, denn in dem großen Kreis, dessen Radius sein Stock gebildet hatte, war das Gras abgefressen, davongelaufen. Jedenfalls hatte es zuletzt den Strick, der es hielt, angenagt und war, nachdem es diesen durchbissen, frei geworden.
Cyprien hätte diesen neuen Schlag des Mißgeschicks gewiß viel schwerer empfunden, wenn er sich in normalem Zustand befunden hätte. Die unendliche Schlaffheit und die Erschöpfung ließen ihm dazu jedoch kaum die Kraft. Als er ankam, konnte er sich nur noch auf seinen Reisesack werfen, der keinen Regen durchließ und den er zum Glück wiederfand, warf sich dann schnell noch in trockene Kleider und brach dann aber unter dem Schutz eines Baums, der das Lager beschattete, zusammen.
Nun begann für ihn eine Periode wunderlichen Halbschlafs, von Fieber und Delirien, in der sich alle Wahrnehmungen vermischten, wo Zeit, Raum und Entfernung für ihn keine Bedeutung mehr hatten. War es Nacht oder Tag?
Herrschte Regen oder Sonnenschein? Befand er sich hier seit 12 oder 60 Stunden? Lebte er noch oder war er tot? Er wußte sich über nichts klarzuwerden. Liebliche Träume und peinliches Alpdrücken lösten einander auf der Bühne seiner Einbildung ab. Paris, die Bergwerksschule, der väterliche Herd, die Farm der Vandergaart-Kopje, Miss Watkins, Annibal Pantalacci, Hilton, Friedel, Legionen von Elefanten, Matakit und große Vogelschwärme, die einen grenzenlosen Himmel bedeckten, alle Empfindungen, alle Antipathien, alles, was er liebte und haßte, prallte in seinem Gehirn, wie in unzusammenhängendem Kampf, gegeneinander. An diese Fiebergestalten schlossen sich dann noch zuweilen äußere Eindrücke. Wahrhaft schrecklich war besonders ein solcher, als der Kranke inmitten eines vollen Ungewitters von bellenden Schakalen, vom Geschrei von Tigerkatzen und dem Grinsen von Hyänen ängstlich diese Bilder seines Deliriums verfolgte und einen Flintenschuß zu hören glaubte, auf den es dann merkwürdig still wurde.
Bald darauf begann aber das Höllenkonzert von neuem, um bis zum Tagesgrauen fortzudauern.
Unter diesen Bildern wäre Cyprien sicherlich, ohne eine Empfindung davon zu haben, zur ewigen Ruhe eingegangen, wenn nicht ein höchst eigentümlicher Zwischenfall, auf den hier gewiß kein Mensch gerechnet hätte, dem natürlichen Laufe der Dinge Einhalt tat.
Als der Morgen kam, regnete es nicht mehr und die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel, als Cyprien die Augen aufschlug. Da bemerkte er, ohne besondere Über-raschung, einen sehr großen Strauß, der auf ihn zukam und 2 oder 3 Schritte vor ihm stehenblieb.
»Sollte das vielleicht der Strauß Matakits sein?« fragte er sich, noch immer seiner fixen Idee nachhängend.
Der Stelzfüßler selbst übernahm es da, ihm Antwort, und was gewiß noch merkwürdiger war, in französischer Sprache zu geben.
»Ich täusche mich nicht! ... Cyprien Mere! ... Mein armer Kamerad, was zum Teufel machst denn du hier?«
Ein Strauß, der seine Muttersprache redete, ein Strauß, der seinen Namen kannte, das hätte gewiß jeden Mann mit gesundem Verstand in das größte Erstaunen versetzt. Cy-prien wurde durch dieses so unwahrscheinliche Phänomen dagegen nicht im geringsten erregt, und fand es vielmehr ganz natürlich. Er hatte im Laufe der letzten Nacht in seinen Träumen noch ganz anderes gesehen! Das Ganze erschien ihm höchstens als eine Folge seiner augenblicklichen geistigen Verwirrung.
»Sie sind nicht besonders höflich, Madame Strauß!« antwortete er. »Wer gibt Ihnen das Recht, mich zu duzen?«
Er sprach mit dem trockenen, kurz abgebrochenen Ton, der Fieberkranken eigen ist und keinen Zweifel über deren Zustand aufkommen läßt, was dem Strauß hier sehr zu Herzen zu gehen schien.
»Cyprien! ... Alter Freund! ... Du bist krank und allein in dieser Einöde!« rief das Tier und sank neben ihm in die Knie.
Das war eine nicht minder abnorme physiologische Er-
scheinung wie die Sprachfähigkeit eines Stelzfüßlers, denn die Kniebeuge ist eine Bewegung, die ihnen gewöhnlich von der Natur versagt ist. In seinem Fieber staunte Cyprien auch hierüber nicht weiter. Er fand es sogar ganz einfach, daß der Strauß unter seinem linken Flügel eine Art Lederflasche mit frischem, mit etwas Cognac vermischtem Wasser hervorlangte und ihm ihre Öffnung an den Mund brachte.
Das einzige, was ihn doch zu verwundern anfing, war, daß das merkwürdige Tier plötzlich aufstand, dann eine Art mit Marabuts bedeckten Pelzes zur Erde warf, der sein natürliches Gefieder zu bilden schien, und nachher ebenso einen langen Hals, auf dem ein Vogelkopf saß. Dieser erborgten Zieraten entkleidet, zeigte er sich ihm dann als ein großer, kräftiger Bursche, der kein anderer war als Pha-ramond Barthes, der große Jäger vor dem Herrn und den Menschen.
»Nun ja, ich bin es!« rief Pharamond. »Hast du mich denn nicht bei den ersten Worten, die ich an dich richtete, erkannt? ... Du staunst über meine Vermummung? ... Das ist eine Kriegslist, die ich den Kaffern nachgemacht habe, um richtige Strauße aufzusuchen und sie mit dem Wurfspieß zu erlegen. Doch reden wir jetzt von dir, armer Freund! ... Wie kommst du krank und verlassen hierher? ... Nur infolge großen Zufalls hab' ich dich aufgefunden, als ich diese Seite des Berges umwanderte, und wußte ja nicht einmal, daß du hier im Land warst.«
Cyprien, der ja kaum sprechen konnte, vermochte seinem Freund natürlich nur sehr dürftige Auskunft über sich selbst zu geben. Pharamond sah auch bald genug ein, was hier am nötigsten zu tun war, das heißt, dem Kranken mußte die Hilfe zuteil werden, die er bis jetzt entbehrt hatte, und er ging denn sofort daran, ihn so gut wie er konnte in Behandlung zu nehmen.
Der kühne Jäger hatte in der Wüste schon hinreichende Erfahrungen gesammelt und von den Kaffern eine sehr wirksame Heilmethode des Sumpffiebers, von dem sein armer Freund befallen war, kennengelernt.
Pharamond Barthes begann also in der Erde eine Grube auszuheben, die er mit Holz anfüllte, wobei er eine Röhre aussparte, um der freien Luft den Eingang zu gestatten. Als das Holz entzündet und verbrannt war, hatte es die Grube zu einem wirklichen Backofen umgewandelt. Pharamond Barthes steckte den sorgfältig eingewickelten Cyprien dann so hinein, daß nur dessen Kopf noch frei blieb. 10 Minuten waren noch nicht verflossen, als sich schon reichlicher Schweiß zeigte, eine Absonderung, die der improvisierende Doktor noch mit fünf bis sechs Tassen eines Aufgusses zu verstärken suchte, den er aus mehreren ihm bekannten Kräutern hergestellt hatte.
Cyprien verfiel in diesem Backtrog bald in tiefen erquickenden Schlaf.
Als er bei Sonnenuntergang die Augen wieder öffnete, fühlte der Kranke sich so merklich erleichtert, daß er zu essen verlangte. Sein erfinderischer Freund wußte allemal zu helfen; er bereitete ihm sofort eine kräftige Suppe, die er aus den besten Erzeugnissen der Jagd und verschiedenem Wur-zelwerk hergestellt hatte. Ein gebratener Trappenflügel, eine Tasse heißes Wasser mit Cognac vervollständigten diese Mahlzeit, die Cyprien einige Kräfte wiedergab und sein Gehirn von dem es noch umhüllenden Nebel befreite.