»Vor zehn Behörden, wenn es nötig wäre!«
»Es wird auch nicht möglich sein, Ihre Aussage zu widerlegen?«
»Offenbar nicht, weil es schon hinreichen dürfte, auf die Ursache des Fehlers hinzuweisen. Er liegt doch wahrlich klar genug auf der Hand! Die magnetischen Abweichungen außer acht zu lassen, das ist denn doch stark!«
Jacobus Vandergaart zog sich zurück, ohne etwas weiteres zu sagen, und Cyprien hatte bald vergessen, mit welch besonderer Aufmerksamkeit dieser die Mitteilung aufgenommen, daß alle Karten des Distrikts einen bedeutenden Fehler enthielten.
2 oder 3 Tage später aber, als Cyprien den alten Steinschneider wieder einmal aufsuchen wollte, fand er dessen Tür verschlossen.
Auf ihrer Füllung las man nur die erst kürzlich mit Kreide geschriebenen Worte:
»In Geschäften abwesend.«
21. KAPITEL Venezianische Justiz
Im Laufe der folgenden Tage war Cyprien eifrig damit beschäftigt, die fortschreitende Entwicklung seines Experiments zu beobachten. Infolge einer neuen Einrichtung des Schweißofens - er hatte ihm besseren Zug gegeben - hoffte er, daß die Entstehung des Diamants diesmal weniger Zeit in Anspruch nehmen werde als beim ersten Versuch.
Es versteht sich von selbst, daß Miss Watkins sich für diesen zweiten Versuch lebhaft interessierte, da sie sich ja zum Teil als dessen Urheberin betrachten konnte. Deshalb begleitete sie auch den jungen Ingenieur häufig zum Ofen, den dieser täglich wiederholt besuchte, und vergnügte sich damit, durch die Gucklöcher in seinem Mauerwerk die Intensität des darin lodernden Feuers zu beobachten.
John Watkins interessierte sich, freilich aus ganz anderen Gründen, nicht weniger als seine Tochter für diese Herstellung. Es verlangte ihn, bald aufs neue Besitzer eines Steins zu sein, dessen Wert nach Millionen maß. Seine große Furcht war nur die, daß das Experiment ein zweites Mal nicht gelingen könnte, und daß der Zufall bei dem Gelingen des ersten vielleicht unbemerkt eine sehr große Rolle gespielt habe.
Wenn der Farmer ebenso wie Miss Watkins den jungen Ingenieur aber aufmunterte, die künstliche Herstellung von Diamanten weiter zu verfolgen und zu vervollkommnen, so war das mit den Minengräbern des Griqualands freilich nicht der Fall. Zwar befanden sich Annibal Pantalacci, James Hilton und Herr Friedel nicht mehr hier, dagegen viele ihrer Kameraden, die in dieser Beziehung ebenso dachten wie sie. Durch heimliche Hetzereien versuchte auch der Jude Nathan die Inhaber der Claims gegen den jungen Ingenieur aufzuwiegeln. Wenn die künstliche Herstellung von Diamanten einmal praktisch geübt wurde, war es um den
Handel mit Diamanten und anderen kostbaren Steinen geschehen. Man hatte ja schon weiße Saphire oder Corindons, Amethyste, Topase und selbst Smaragde fabriziert. Doch waren all diese Edelsteine nur Tonerdekristalle und gefärbt durch geringe metallische Beimischungen. Immerhin erschien schon das für den Handelswert dieser Steine beunruhigend, da er langsam herabging. Wenn nunmehr der Diamant nach Belieben erzeugt werden konnte, so bedeutete das den Ruin der Diamantendistrikte des Kaps ebenso wie den der anderen Fundstätten.
All das war schon nach dem ersten Versuch des jungen Ingenieurs wiederholt worden und wurde jetzt mit noch mehr Gehässigkeit und mit noch größerem Eifer beobachtet. Die Minengräber traten oft zu vertraulichen Gesprächen zusammen, die für die Arbeiten Cypriens nichts Gutes vorhersagten. Dieser selbst ließ sich darum freilich kein graues Haar wachsen, und blieb nach wie vor entschlossen, seine Versuche zu Ende zu führen, was man auch sagen oder tun mochte. Nein, er wollte vor der öffentlichen Meinung nicht zurückweichen, und seine Entdeckung, da sie überhaupt allen zugute kommen sollte, jedenfalls nicht etwa geheimhalten.
Wenn er aber sein Vorhaben ohne Zögern und ohne Furcht weiterführte, so fing doch Miss Watkins, die alles erfuhr, was vor sich ging, an, für ihn zu zittern. Sie machte sich Vorwürfe, ihn zu diesen Versuchen ermuntert zu haben. Auf die Polizeigewalt des Griqualands zu vertrauen, um ihn zu schützen, das hieß auch auf sehr losen Grund ge-
baut. Ein Schurkenstreich war ja so schnell ausgeführt, und Cyprien konnte vielleicht mit seinem Leben den Schaden zu bezahlen haben, den seine Arbeiten den Minengräbern Afrikas anzudrohen schienen.
Alice war also sehr unruhig und konnte diese Empfindung auch dem jungen Ingenieur gegenüber nicht verhehlen. Dieser beruhigte sie, so gut er konnte, und dankte ihr für die Teilnahme, die sie ihm schenkte. In dem Interesse, das das junge Mädchen für ihn hegte, erkannte er ja den Ausdruck des wärmeren Gefühls, das zwischen ihnen kaum ein Geheimnis zu nennen war. Abgesehen von allem andern, wünschte Cyprien sich Glück, daß sein Vorhaben seitens Miss Watkins einen ihm so wohltätigen Herzenserguß veranlaßte, und fuhr unbeirrt in seiner Arbeit fort.
»Was ich hier tue, Miss Alice, geschieht für uns beide!« wiederholte er ihr.
Wenn Miss Watkins dagegen bedachte, was und wie in den Claims gesprochen wurde, dann lebte sie in immerwährenden Ängsten.
Das war auch wirklich nicht ohne Grund! Gegen Cyprien erhob sich allmählich eine Feindschaft, die sich nicht immer auf bloße Einsprüche oder Drohungen beschränken, sondern gewiß zu handgreiflichen Ausschreitungen führen würde.
Wirklich fand Cyprien, als er eines Abends zu einem Besuch des Ofens kam, die ganze Einrichtung geplündert. Während der Abwesenheit Bardiks hatte ein Haufen Männer, die sich die Dunkelheit zunutze machten, binnen we-nigen Minuten die Arbeit von vielen Tagen zerstört. Das Mauerwerk war demoliert, die Feuerstätte zertrümmert, das Feuer selbst gelöscht und die Geräte zerbrochen und verstreut. Von der ganzen Anlage, die dem jungen Ingenieur so viele Mühe und Sorge gemacht hatte, war rein nichts mehr übrig - alles mußte er von neuem beginnen - wenn er der Mann dazu war, der Gewalt nicht zu weichen, oder er mußte die ganze Sache aufgeben.
»Nein«, rief er, »nein! Ich gebe nicht nach, und morgen schon führe ich Klage gegen die Buben, die mein Eigentum zerstört haben. Ich will doch sehen, ob es im Griqualand keine Gerechtigkeit mehr gibt!«
Es gab zwar eine, aber nicht eine solche, wie der junge Ingenieur sie benötigt hätte.
Ohne gegen jemand etwas zu äußern, selbst ohne Miss Watkins etwas mitzuteilen, was sich zugetragen hatte, aus Furcht, ihr noch einen neuen Schreck einzujagen, ging Cyprien nach seiner Hütte zurück und legte sich, fest entschlossen, morgen seine Klage anzubringen, und müßte er bis zum Gouverneur des Kaplands gehen, ganz ruhig nieder.
Er mochte 2 oder 3 Stunden geschlafen haben, als das Geräusch der sich öffnenden Tür ihn plötzlich weckte.
Fünf schwarz maskierte, mit Revolvern und Gewehren bewaffnete Männer drangen in sein Zimmer. Sie trugen jene Laternen mit grünen Linsengläsern, die man in englischen Ländern »Bulls eyes« (Ochsenaugen) nennt, und stellten sich stillschweigend an seinem Bett auf.
Cyprien hatte keinen Augenblick den Gedanken, diesem mehr oder weniger tragischen Aufzug eine zu hohe Bedeutung beizumessen. Er dachte vielmehr an irgendeinen Scherz und fing schon fast an zu lachen, obwohl er im Grunde dazu wenig Lust verspürte und den ganzen Spaß etwas ungezogen fand.
Da legte sich aber eine rauhe Hand auf seine Schulter, und einer der maskierten Männer, der ein Papier in der Hand hielt, begann mit einem Ton, in dem gar nichts Scherzhaftes lag, folgendes laut zu lesen:
Cyprien Mere!
Beifolgendes soll Ihnen anzeigen, daß Sie durch das Geheimgericht des Vandergaart-Lagers, das aus 82 Beisitzern besteht und im Namen der allgemeinen Wohlfahrt handelt, am heutigen Tag um Mitternacht und 25 Minuten einstimmig zum Tode verurteilt worden sind.
Sie sind beschuldigt und überführt, durch eine unzeitgemäße, ungesetzliche Entdeckung alle Menschen, die, seit sie im Griqualand oder anderswo von der Aufsuchung, der Bearbeitung und dem Verkauf von Diamanten ihr Leben fristen, in ihrem Interesse und in dem ihrer Familien schwer geschädigt zu haben.