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Während die beiden Männer einander über das Wasser der Seine hinweg nichtsahnend anblickten, begannen die Pariser Kirchenglocken den 22. August einzuläuten.

NEUNZEHNTES KAPITEL

Claude Lebel verbrachte eine schlechte Nacht. Gegen halb zwei — er war gerade eingeschlafen — rüttelte Caron ihn wach.

«Entschuldigen Sie, Chef, aber mir kommt gerade eine Idee. Dieser Schakal — also der hat doch einen dänischen Paß, nicht wahr?«

Lebel nickte.

«Nun, den muß er schließlich von irgendwoher bekommen haben. Entweder ist er gefälscht, oder er hat ihn gestohlen. Und da der Gebrauch dieses Passes für ihn mit einem Wechsel der Haarfarbe verbunden war, scheint er ihn gestohlen zu haben.«

«Läßt sich hören. Weiter.«

«Abgesehen von der im Juli unternommenen Erkundungsreise nach Paris war er die ganze Zeit in London. Die Wahrscheinlichkeit spricht demnach dafür, daß er ihn in einer der beiden Städte gestohlen hat. Und was macht eine Däne, wenn ihm sein Paß abhanden gekommen oder gestohlen worden ist? Ganz klar — er geht auf sein Konsulat.«

Lebel schlug die Decke zurück und stand vom Feldbett auf.

«Manchmal, mein lieber Lucien, habe ich das Gefühl, daß Sie es noch weit bringen werden. Verbinden Sie mich mit Superintendent Thomas in seiner Privatwohnung und dann mit dem dänischen Generalkonsul in Paris. In dieser Reihenfolge.«

Die nächste Stunde verbrachte er damit, beide Herren telephonisch dazu zu überreden, aufzustehen und sich in ihre diesbezüglichen Büros zu begeben. Er selbst legte sich gegen 3 Uhr morgens wieder aufs Feldbett. Um vier weckte ihn ein Anruf der Polizeipräfektur, der ihn davon unterrichtete, daß mehr als neunhundert-achtzig von dänischen Besuchern ausgefüllte Meldeformulare um Mitternacht und um 2 Uhr morgens eingesammelt worden waren und gegenwärtig nach den Gesichtspunkten» dringend verdächtig«,»verdächtig «und» sonstige «sortiert wurden.

Um sechs — er war noch immer wach und trank gerade Kaffee, um es auch zu bleiben — riefen die Fernmeldeingenieure von der DST an, denen er kurz nach Mitternacht seine Weisungen erteilt hatte. Ein aufschlußreiches Gespräch war von ihnen abgehört worden. Er nahm einen Wagen und fuhr mit Caron durch die frühmorgendlichen Straßen ins Hauptquartier der DST. In einem im Keller des Gebäudes untergebrachten Fernmeldelabor hörten sie sich eine Bandaufnahme an.

Sie begann mit einem lauten Klicken, dem eine Anzahl schwirrender Geräusche, die klangen, als wähle jemand eine siebenstellige Nummer, dann der Summton der Telephonklingel und schließlich das Klicken, mit dem der Hörer abgenommen wurde, folgten.

Eine heisere Stimme sagte:»Allo?«Eine weibliche Stimme sagte: »Ici Jacqueline.« Die Männerstimme antwortete: »Ici Valmy.« Die Frau sagte:»Sie wissen, daß er als dänischer Geistlicher getarnt ist. Sie überprüfen im Lauf der Nacht die Meldeformulare aller Dänen und sammeln die Anmeldungen um 12, 2 und 4 Uhr in den Hotels ein. Anschließend werden sie jeden einzelnen Dänen vernehmen.«

Ein paar Sekunden herrschte Schweigen. Dann sagte der Mann: »Merci«. Er hängte ein und die Frau ebenfalls. Lebel starrte auf die langsam rotierende Bandspule.»Sie wissen die Nummer, die sie angerufen hat?«fragte er den Ingenieur.

«Ja. Wir können es aufgrund der Zeit errechnen, welche die Wählscheibe braucht, um sich auf Null zurückzudrehen. Die Nummer war MOLITOR 5901.«»Haben Sie die Adresse?«

Der Mann reichte ihm einen Zettel. Lebel warf einen Blick darauf.

«Kommen Sie, Lucien. Wir wollen Monsieur Valmy einen Besuch abstatten.«

Um 7 Uhr pochte es an die Wohnungstür. Der Schulmeister kochte sich gerade einen Kaffee. Er runzelte die Stirn, drehte die Gasflamme kleiner und ging quer durchs Wohnzimmer zur Tür, um zu öffnen. Vier Männer standen ihm gegenüber. Er wußte, wer sie waren und was sie wollten, ohne daß man es ihm hätte sagen müssen. Die beiden Polizisten in Uniform sahen aus, als würden sie sich gleich auf ihn stürzen, aber der freundlich dreinblickende kleine Mann bedeutete ihnen mit einem Wink, sich nicht einzumischen.»Wir haben Ihr Telephon abgehört«, sagte er.»Sie sind Valmy.«

Dem Schulmeister war keinerlei Gefühlsregung anzumerken. Er wich einen Schritt zurück und ließ die vier eintreten.

«Darf ich mich anziehen?«fragte er.

«Ja, selbstverständlich.«

Er brauchte nur wenige Minuten, um sich unter den Augen der beiden uniformierten Polizeibeamten Hemd und Hose überzuziehen; den Pyjama hatte er darunter anbehalten.

Der junge Beamte in Zivil war im Türrahmen stehengeblieben, während der ältere in der Wohnung umherging und die überall aufgeschichteten Stöße von Büchern und Zeitschriften in Augenschein nahm.

«Es wird eine Ewigkeit dauern, bis alles dies hier durchgesehen und aufgenommen ist, Lucien«, sagte er. Der junge Mann im Türrahmen nickte.

«Ist, Gott sei Dank, nicht Sache unserer Abteilung.«

«Sind Sie soweit?«fragte der kleine Mann den Schulmeister.

«Ja.«

«Dann bringen Sie ihn zum Wagen hinunter.«

Der Kommissar blieb allein in der Wohnung zurück, nachdem Valmy abgeführt worden war, und blätterte in den Papieren, an denen der Schulmeister offenbar am Abend zuvor gearbeitet hatte. Es waren jedoch alles korrigierte Schulaufgaben. Der Mann schien vorwiegend von zu Hause aus operiert zu haben; er würde den ganzen Tag in der Wohnung verbleiben müssen, um das Telephon zu bedienen, falls der Schakal sich meldete. Es war zehn Minuten nach sieben, als es klingelte. Lebel starrte den Apparat ein paar Sekunden lang unschlüssig an.

Dann streckte er die Hand aus und nahm den Hörer ab.

«Allo?«

«Ici Chacal.«

Lebel überlegte verzweifelt.

«Ici Valmy«, sagte er. Es entstand eine Pause. Ihm fiel nichts ein, was er sonst noch hätte sagen können.

«Was gibt es Neues?«fragte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

«Nichts. Sie haben die Spur in Correze verloren.«

Seine Stirn hatte sich mit feinem Schweiß bedeckt. Alles hing davon ab, daß der Mann noch ein paar Stunden länger dort blieb, wo er jetzt war. Es klickte in der Leitung, und dann war nichts mehr zu hören. Lebel legte den Hörer auf und rannte die Treppe hinunter zum Wagen, der vor dem Haus auf ihn wartete.»Zurück in mein Büro«, rief er dem Fahrer zu.

Der Schakal stand in der Telephonzelle im Foyer eines kleinen Hotels am Seineufer und starrte konsterniert durchs Glasfenster hinaus. Nichts? Sie mußten den Taxifahrer in Egletons vernommen und die Spur von dort nach Haute Chalonniere verfolgt haben. Sie mußten die Leiche im Schloß entdeckt und den verschwundenen Renault aufgefunden haben. Sie mußten…

Er verließ die Telephonzelle und durchquerte mit langen Schritten das Foyer.

«Meine Rechnung, bitte«, rief er dem Empfangschef im Vorbeigehen zu.»Ich bin in fünf Minuten wieder unten.«

Der Anruf von Superintendent Thomas kam um 7 Uhr 30, als Lebel gerade sein Büro betrat.»Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat«, sagte der britische Detektiv.»Ich habe Stunden gebraucht, um die dänischen Konsularbeamten wach zu kriegen und dazu zu bewegen, in ihr Büro zurückzukehren. Sie hatten vollkommen recht. Am 14. Juli hat ein dänischer Pastor den Verlust seines Passes gemeldet. Er vermutete, daß er ihm aus seinem Hotelzimmer im Londoner Westend gestohlen wurde, konnte es aber nicht beweisen. Zur Erleichterung des Hotelmanagers hat er keine Beschwerde eingelegt. Name: Pastor Per Jensen, wohnhaft in Kopenhagen. Personenbeschreibung: einsachtzig groß, Augen blau, Haar grau.«

«Das ist er. Danke, Superintendent. «Lebel hängte ein.»Verbinden Sie mich mit der Präfektur«, rief er Caron zu.

Um 8 Uhr 30 hielten vier geschlossene Mannschaftswagen vor dem Hotel am Quai des Grands Augustins. Die Polizeibeamten durchstöberten Zimmer 37, bis es aussah, als sei es von einem Taifun verwüstet worden.