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Nach der Besprechung im Ministerium wurden die Kopien des Rolland-Berichts eingesammelt und im Safe des Ministers eingeschlossen. Einzig Lebel erhielt die Erlaubnis, ein Exemplar zu behalten, und ließ sich das von Bouvier aushändigen. Er hatte sich lediglich ausbedungen, die Leiter der obersten Kriminalbehörden derjenigen Länder vertraulich um ihre Kooperation zu ersuchen, deren Karteien vermutlich Unterlagen enthielten, die über die Identität eines professionellen Killers wie des Schakals Aufschluß zu geben vermochten.

Ohne die Möglichkeit zu solcher Zusammenarbeit, erklärte er, sei es zwecklos, mit der Fahndung zu beginnen.Sanguinetti hatte wissen wollen, ob man sich darauf verlassen könne, daß diese Leute den Mund hielten. Lebel hatte erwidert, daß er die Leute, mit denen er Verbindung aufnehmen müsse, persönlich kenne und daß er seine Ermittlungen nicht offiziell, sondern auf Basis des persönlichen Kontakts, wie sie zwischen den meisten Spitzenfunktionären der Polizeikräfte Westeuropas existiert, anzustellen beabsichtige. Nach einigem Hin und Her hatte der Minister seinem Ersuchen stattgegeben.

Und jetzt stand Lebel in der Halle, wo er auf Bouvier wartete, während die Abteilungsleiter auf dem Weg zum Ausgang an ihm vorüberkamen. Einige nickten ihm nur kurz zu und gingen rasch weiter; andere sahen sich zu einem mitfühlenden Lächeln veranlaßt, als sie ihm gute Nacht wünschten. Einer der letzten, der den Konferenzraum verließ, während sich Bouvier noch leise mit Max Fernet besprach, war der aristokratische Oberst aus dem Elysee-Palast. Lebel war der Name Saint Clair de Villauban genannt worden, als man ihn mit den Männern, die an dem Konferenztisch saßen, bekannt machte. Der Oberst blieb vor dem kleinen, dicklichen Kommissar stehen und sah ihn mit unverhohlenem Mißfallen an.

«Ich hoffe, Kommissar, daß Sie mit Ihren Ermittlungen Erfolg haben werden, und das möglichst rasch«, sagte er.»Wir im Palast werden Ihr Vorgehen sehr aufmerksam verfolgen. Falls es Ihnen nicht gelingen sollte, diesen Banditen dingfest zu machen, dürfte das — Folgen haben.«

Er drehte sich auf dem Absatz um und stolzierte die Treppe zum Foyer hinunter. Lebel sagte nichts, blinzelte jedoch mehrmals ganz schnell.

Einer der Gründe für die Erfolge, die er, seit er vor zwanzig Jahren in der Normandie als junger Detektiv bei der Polizei der Vierten Republik anfing, in der Ermittlung von Verbrechen erzielt hatte, war seine Fähigkeit, die Leute durch das Vertrauen, das er ihnen einflößte, zum Sprechen zu bringen. Er besaß nicht die imponierende Größe und Leibesfülle Bouviers, die der traditionellen Vorstellung von der verkörperten Autorität des Gesetzes entsprach. Und er verfügte ebensowenig über die Redegewandtheit, die so viele der jetzt in die Polizei aufgenommenen jungen Detektive auszeichnete, die einen Zeugen mit Wortverdrehungen, Drohungen und Schmeicheleien zu Tränenausbrüchen veranlassen konnten. Er selbst empfand das nicht als Mangel.

Er war sich darüber im klaren, daß in jeder Gesellschaft die Mehrzahl der Verbrechen an kleinen Leuten — Ladenbesitzern, Verkäufern, Briefträgern, Bankangestellten — oder in ihrer Gegenwart begangen wird. Diese Menschen konnte er zum Sprechen bringen, und das wußte er.

Es lag zum Teil daran, daß er klein war und in mancher Hinsicht an den bei Karikaturisten so beliebten Typ des unterjochten Ehemannes erinnerte, der er in der Tat auch war.

Seine Kleidung war nachlässig; zumeist trug er ungebügelte Anzüge und einen unansehnlichen Regenmantel. Seine Umgangsformen waren freundlich, fast ein wenig wie um Nachsicht bittend, und unterschieden sich so grundlegend von denen, die der von ihm um Informationen ersuchte Zeuge bei seiner ersten Begegnung mit dem Gesetz kennengelernt hatte, daß der Zeuge zu dem Detektiv Vertrauen faßte und in ihm so etwas wie eine Zuflucht vor der Brutalität seiner Untergebenen sah.

Aber es kam noch etwas hinzu. Er war Leiter der Mordkommission einer der mächtigsten Polizeiorganisationen Europas und zehn Jahre lang Detektiv in der Brigade Criminelle der berühmten Police Judiciaire Frankreichs gewesen. Hinter seiner Sanftmut und der fast einfältig wirkenden Schlichtheit seines Auftretens verbarg sich die Schärfe eines geschulten Verstandes und die hartnäckige Weigerung, sich bei der Ausführung eines Auftrags von irgend jemandem einschüchtern oder auch nur irremachen zu lassen. Er war von einigen der gefährlichsten Gangsterbosse Frankreichs bedroht worden, die das rasche Blinzeln, mit dem Lebel auf derartige Ansinnen zu reagieren pflegte, vorschnell als Anzeichen dafür gedeutet hatten, daß ihre Warnung beherzigt worden sei. Erst später — in der Gefängniszelle — hatten sie die Muße gefunden, sich klarzumachen, daß sie den kleinen Mann mit den sanften braunen Augen und dem Zahnbürstenbärtchen unterschätzt haben mußten.

Zweimal war er Einschüchterungsversuchen von seiten reicher und mächtiger Leute ausgesetzt gewesen. Das erstemal, als ein Industrieller einen seiner jüngeren Mitarbeiter der Unterschlagung angeklagt zu sehen wünschte und der felsenfesten Meinung war, der Polizei genüge schon ein flüchtiger Einblick in die Bücher, um seine Festnahme zu rechtfertigen; und das andere Mal, als ein Bursche aus der Society ihn zu bewegen versuchte, die Ermittlungen im Fall einer durch Drogeneinwirkung verstorbenen jungen Schauspielerin einzustellen.Im erstgenannten Fall hatte die Untersuchung der Geschäftspraktiken des Industriellen zur Aufdeckung anderer und weit beträchtlicher Unstimmigkeiten geführt, die dem jungen Buchhalter nicht zur Last gelegt werden konnten, es den Industriellen jedoch bereuen ließen, nicht in die Schweiz abgereist zu sein, solange ihm das noch möglich gewesen war. Im zweiten Fall hatte sich der Playboy für längere Zeit als unfreiwilliger Gast des Staates betrachten dürfen und es gewiß bedauert, sich jemals die Mühe gemacht zu haben, von seinem Penthouse in der Avenue Victor Hugo aus einen Callgirl-Ring aufzuziehen. Kommissar Lebel hatte sich darauf beschränkt, auf die Bemerkung von Oberst Saint Clair wie ein abgekanzelter Schuljunge mit einem raschen Blinzeln zu reagieren und nichts zu sagen. Aber das sollte ihn bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgabe in keiner Weise beeinflussen.

Maurice Bouvier trat auf ihn zu, als der letzte Mann den Konferenzraum verließ. Max Fernet wünschte ihm Glück, reichte ihm die Hand und ging zur Treppe. Bouvier legte Lebel seine gewaltige Pranke auf die Schulter.

«Eh bien, monpetit Claude. Wie das Leben doch spielt, kein? Na schön, ich selbst war es, der den Vorschlag machte, daß diese Geschichte der PJ übertragen wird. Es blieb gar nichts anderes übrig. Die Diskussion da drin hätte sich nur immer weiter im Kreis gedreht. Kommen Sie, wir können uns in meinem Wagen unterhalten. «Er ging vor Lebel die Treppe hinunter, und die beiden setzten sich in den Fond der im Hof wartenden Citroen-Limousine. Es war schon nach 21 Uhr, und ein schmaler purpurner Streifen über Neuilly war alles, was vom entschwundenen Tageslicht noch für eine Weile am Himmel zurückblieb. Bouviers Wagen schoß die Avenue de Marigny hinunter und überquerte die Place Clemenceau. Lebel blickte aus dem Fenster zu seiner Rechten die Champs Elysees hinauf, deren abendliche Pracht ihn immer wieder überraschte und beeindruckte, obgleich es zehn Jahre zurücklag, daß er aus der Provinz in die Hauptstadt versetzt worden war.

«Sie werden alle Fälle abgeben müssen, die Sie im Augenblick bearbeiten«, sagte Bouvier schließlich.»Ich werde veranlassen, daß Favier und Malcoste Ihre Arbeit übernehmen. Brauchen Sie ein neues Büro für diesen Job?«

«Nein, ich bleibe lieber in meinem jetzigen Raum.«

«In Ordnung, aber ab sofort dient er ausschließlich als Hauptquartier der Operation >Jagt-den-Schakal<, klar? Gibt es irgend jemanden, den Sie als Gehilfen haben wollen?«