«Also gut, Schluß«, sagte er und wandte sich vom Fenster ab.»Wir haben alles getan, was wir tun konnten. Eine Person, die den in der Nachfrage gemachten Angaben entspricht, gibt es ganz einfach nicht.«
«Warum sollte es keinen Engländer geben, der auf diesem Gebiet arbeitet«, meinte einer der Inspektoren.»Aber wir haben ihn nicht in unseren Akten.«
«Hören Sie mal, wir haben sie allesamt in unseren Akten«, knurrte Thomas. Der Gedanke, daß es in seinem Herrschaftsbereich einen professionellen Killer geben könnte, der nicht irgendwo aktenkundig geworden sein sollte, war wenig geeignet, ihn zu erheitern, und infolge der Erkältung und der Kopfschmerzen war seine Laune ohnehin nicht die beste. Immer, wenn er sich gereizt fühlte, machte sich sein walisischer Akzent stärker bemerkbar. In den dreißig Jahren, die er fernab der heimatlichen Täler verbracht hatte, war er ihn nie gänzlich losgeworden.
«Schließlich ist ein politischer Killer ein extrem seltener Vogel«, bemerkte der andere Inspektor.»Hier bei uns existiert so was vermutlich gar nicht. Es verstößt ganz einfach zu sehr gegen den guten englischen Geschmack. «Thomas sah ihn mißtrauisch an. Er zog das Wort» britisch «als
Bezeichnung für die Bewohner des Vereinigten Königreichs vor und vermutete, daß der Inspektor mit dem Gebrauch des Wortes» englisch «womöglich hatte andeuten wollen, die Waliser, Schotten oder Iren könnten sehr wohl einen solchen Mann hervorgebracht haben. Aber natürlich war nichts dergleichen beabsichtigt gewesen.
«Nun, dann schaffen Sie die Akten jetzt wieder in die Registratur zurück. Ich werde melden, daß eine gründliche Suche keinen in Betracht kommenden möglichen Täter zutage gefördert hat. Mehr können wir nicht tun.«
«Von wem kam denn die Anfrage, Super?«
«Darüber würde ich mir an Ihrer Stelle nicht den Kopf zerbrechen, mein Junge. Es scheint, daß jemand in Schwierigkeiten ist, aber es sind, Gott sei Dank, nicht unsere.«
Die beiden jüngeren Männer hatten das gesichtete Material eingesammelt und schickten sich an, es in die Zentralkartei zurückzutragen. Beide wurden zu Hause von ihren Frauen erwartet, und einer von ihnen sollte dieser Tage Familienvater werden. Er war bereits an der Tür. Der andere wandte sich mit nachdenklich gerunzelter Stirn um.
«Super, ich habe mir etwas durch den Kopf gehen lassen, während ich die Akten überprüfte. Wenn tatsächlich ein solcher Mann existiert und dieser Mann britischer Staatsbürger sein sollte, wird er doch sowieso nicht hier operieren. Ich meine, selbst ein Mann wie er muß irgendwo eine Basis haben. Eine Art Buen Retiro, wo er sich sicher fühlen kann. Wahrscheinlich gilt er in seinem Land als ehrbarer Bürger.«
«Worauf wollen Sie hinaus, auf eine Art Dr.Jekyll und Mr. Hyde?«
«So ungefähr, ja. Ich meine, wenn es einen professionellen Killer des Typs gibt, den wir zu ermitteln versucht haben, und er so viel Format hat, daß irgendwer sich veranlaßt sah, Nachforschungen von diesem Ausmaß in Gang zu setzen, die jemand von Ihrem Dienstrang leitet, dann muß der gesuchte Mann schon ein As sein. Und wenn er das ist, auf seinem Gebiet, meine ich, muß er auch schon ein paar Aufträge dieser Art ausgeführt haben. Sonst wäre es mit seiner Reputation ja nicht weit her, oder?«
«Reden Sie weiter«, sagte Thomas, der ihm aufmerksam zugehört hatte.
«Nun ja, ich dachte nur, daß so ein Mann wahrscheinlich nur außerhalb seines Landes operiert. Solange alles nach Plan verläuft, würde er also die Aufmerksamkeit der internen Sicherungskräfte gar nicht auf sich ziehen. Vielleicht, daß der Geheimdienst irgendwann einmal von ihm Wind bekommen hat…«
Thomas erwog die Theorie des jungen Inspektors und schüttelte dann den Kopf.
«Denken Sie nicht weiter darüber nach und gehen Sie jetzt nach Hause, mein Junge. Ich schreibe den Bericht. Und vergessen Sie, daß wir jemals Nachforschungen angestellt haben. «Aber als sich der Inspektor verabschiedet hatte, ging Thomas die Idee, die ihm vorgetragen worden war, noch längere Zeit im Kopf herum. Er hätte sich jetzt hinsetzen und seinen Bericht schreiben können. Aber angenommen, an der Geschichte war doch etwas dran? Angenommen, die Franzosen hatten nicht, wie Thomas vermutete, wegen eines bloßen Gerüchts, das die Sicherheit ihres über alles geliebten Präsidenten betraf, den Kopf verloren? Wenn sie tatsächlich so wenig Anhaltspunkte hatten, wie sie behaupteten, und wenn es keinen Hinweis darauf gab, daß der Mann ein Engländer war, dann mußten sie in der ganzen Welt Erkundigungen dieser Art und dieses Umfangs anstellen lassen. Die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß gar kein solcher Killer existierte, und wenn, daß er aus einem jener Länder kam, in denen der politische Mord eine alte Tradition hatte. Aber was wäre, wenn sich die Vermutungen der Franzosen als zutreffend erwiesen? Und sich zudem herausstellte, daß der Mann die britische Staatsangehörigkeit besaß?
Thomas war ungemein stolz auf den Ruf, den Scotland Yard — und insbesondere der Sicherheitsdienst des Yard — genoß. Schwierigkeiten von der Art, wie sie jetzt aufgetaucht waren, hatte es niemals gegeben. Kein einziges Mal hatten sie einen in England zu Besuch weilenden ausländischen Würdenträger aus den Augen verloren und nie auch nur die Andeutung eines Skandals zu befürchten gehabt. Um den verhaßten kleinen Russen Iwan Serow, den Leiter des KGB, hatte er sich selbst gekümmert, als er im Zug der Vorbereitungen für den Chruschtschow-Besuch nach England gekommen war, und es hatte Tausende von Balten und Polen gegeben, die ihm an den Kragen wollten. Kein einziger Schuß war gefallen, obschon es von Serows Sicherheitsleuten, die eine Pistole bei sich trugen und entschlossen waren, sie gegebenenfalls auch zu benutzten, überall nur so wimmelte.
Superintendent Bryn Thomas hatte noch zwei Jahre abzudienen, bevor ersieh pensionieren lassen und mit Meg in das von grünen Wiesen umgebene kleine Haus ziehen konnte, das er wegen seines Ausblicks auf den Bristol-Kanal gekauft hatte. Es war besser, auf sicher zu gehen und alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.
In seiner Jugend war Thomas ein ausgezeichneter Rugbyspieler gewesen, und mancher, der gegen Glamorgan gespielt hatte, erinnerte sich noch heute daran, wie wenig ratsam es gewesen war, am schwachbesetzten Flügel des gegnerischen Feldes vorbei einen Durchbruch zu versuchen, wenn Bryn Thomas im Sturm spielte. Er nahm auch jetzt noch regen Anteil an den Geschicken der London Welsh und fuhr, wann immer er die Zeit dazu fand, zum Old Deer Park nach Richmond hinaus, um sie spielen zu sehen. Er kannte alle Mitglieder der Mannschaft und saß nach dem Spiel meistens noch im Klubhaus mit ihnen zusammen.
Daß einer der Spieler zum Stab des Foreign Office gehörte, war den anderen Klubmitgliedern bekannt — mehr aber auch nicht. Thomas wußte, daß die zwar unter der Schirmherrschaft des
Foreign Office stehende, ihm jedoch nicht angegliederte Abteilung, für die Barrie Lloyd arbeitete, der Secret Intelligence Service war, der gelegentlich SIS, manchmal auch einfach nur» The Service«-»der Dienst«- und in der Öffentlichkeit vielfach — fälschlich — MI-6 genannt wurde.
Er griff zum Telephon, das auf seinem Tisch stand, und verlangte eine Nummer…
Die beiden Männer hatten sich zwischen 8 und 9 Uhr zu einem Bier in einem unten am Fluß gelegenen Pub verabredet. Sie sprachen eine Weile vom Rugby, aber Lloyd konnte sich ausrechnen, daß der Mann vom Sicherheitsdienst des Yard ihn nicht in einem am Flußufer gelegenen Pub hatte treffen wollen, um mit ihm über ein Spiel zu reden, für das die Saison erst in zwei Monaten begann. Als sie ihr Bier bekommen und einander mit» Cheers «zugeprostet hatten, deutete Thomas mit einem Kopfnicken auf die Terrasse hinaus, die zum Kai hinunterführte. Es war ruhiger draußen, denn die jungen Leute aus Chelsea und Fulham hatten größtenteils ihre Gläser geleert und waren im Begriff, zum Dinner aufzubrechen.