«Habe da übrigens so eine Art Problem, wissen Sie«, begann Thomas.»Dachte, daß Sie mir vielleicht ein bißchen weiterhelfen könnten.«»Wenn ich kann — «sagte Lloyd.
Thomas berichtete ihm von dem Ansuchen aus Paris und der Ergebnislosigkeit aller bisherigen kriminalpolizeilichen und sicherheitsdienstlichen Nachforschungen.
«Mir ist nun der Gedanke gekommen, daß dieser Mann, falls er ein Brite sein sollte, es sich womöglich zum Geschäftsprinzip gemacht haben könnte, sich in England nicht die Hände schmutzig zu machen, sondern grundsätzlich nur im Ausland zu operieren. Wenn er überhaupt je Spuren zurückgelassen hat, könnten sie nur dem Dienst zur Kenntnis gelangt sein.«»Dem Dienst?«fragte Lloyd befremdet.»Aber nun tun Sie doch nicht so, Barry. Wir erfahren zwangsläufig so einiges. «Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.»Während der Blake-Untersuchung mußten wir eine Menge Aktenmaterial zur Verfügung stellen. Viele Leute vom Foreign Office haben damals Einblick in das bekommen, was die Brüder in Wirklichkeit vorhatten. Ihre Personalakte war auch dabei, denn Sie waren zu der Zeit, in der er in Verdacht geriet, in seiner Sektion. Daher weiß ich, für welche Abteilung Sie arbeiten.«»Ich verstehe«, sagte Lloyd.
«Hören Sie, im Klub kennt man mich zwar nur als Bryn Thomas. Aber Sie wissen immerhin, daß ich Superintendent vom Sicherheitsdienst beim Yard bin. Schließlich können wir nicht ausnahmslos alle für jeden von uns anonym bleiben, stimmt's?«Lloyd starrte in sein Bierglas.»Ist das hier ein offizielles Ersuchen um Informationen?«»Nein, das kann ich noch nicht stellen. Das französische Ansuchen war inoffiziell. Es stammt von Lebel und erging an Mallinson. Weil er im Zentralarchiv nichts finden konnte, antwortete er, daß er nicht helfen könne. Aber er hat sich auch mit Dixon unterhalten, der mich dann bat, eine rasche Überprüfung vorzunehmen. Alles ganz inoffiziell und diskret, verstehen Sie? Gewisse Dinge können eben nur so behandelt werden. Sehr heikle Geschichte, das. Die Presse darf unter keinen Umständen davon Wind bekommen. Höchstwahrscheinlich gibt es hier bei uns in Großbritannien überhaupt nichts, was für Lebel von Interesse sein könnte. Ich wollte nur auf Nummer Sicher gehen und alle Möglichkeiten ausschöpfen. Sie waren die letzte.«
«Dieser Mann soll es auf de Gaulle abgesehen haben?«»Der ganzen Art des Ansuchens nach zu urteilen, zweifellos.
«Offenbar. Aber warum wenden sie sich nicht direkt an uns?«
«Das Ersuchen um Nennung von Namen ist über den >Old-Boy<-Draht gekommen, von Lebel direkt an Mallinson. Vielleicht hat der französische Geheimdienst keinen >Old-Boy<-Draht zu Ihrer Abteilung.«
Wenn Lloyd die Anspielung auf die notorisch schlechten Beziehungen zwischen dem SDECE und dem SIS nicht entgangen war, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
«Merkwürdig«, sagte Lloyd und blickte nachdenklich auf den Fluß hinaus.»Sie erinnern sich doch noch an den Fall Philby?«» Selbstverständlich. «
«Das Thema ist in unserer Sektion immer noch tabu«, fuhr Lloyd fort.»Im Januar 1961 ging er von Beirut aus rüber. Natürlich wurde die Geschichte erst später publik, aber die Sache verursachte damals ein Mordsspektakel im Service. Eine Menge Leute wurden versetzt.
Mußte sein, denn er hatte den größten Teil unserer arabischen Sektion und noch ein paar andere Leute dazu platzen lassen. Einer von denen, die ganz schnell ausgetauscht werden mußten, war unser Residenturchef in Westindien. Er war bis vor einem halben Jahr mit Philby zusammen in Beirut gewesen und dann nach Westindien versetzt worden.
Im gleichen Monat, es war im Januar, wurde Trujillo, der Diktator der Dominikanischen Republik, auf einer einsamen Landstraße unweit von Ciudad Trujillo ermordet. Den Berichten zufolge ist er von Partisanen umgebracht worden — er hatte viele Feinde. Unser Mann wurde damals nach London zurückgerufen, und wir arbeiteten eine Weile im gleichen Büro, bis man ihn dann wieder hinausschickte. Er erzählte mir von dem Gerücht, daß Trujillos Wagen durch einen einzigen Gewehrschuß gestoppt worden sei, den ein Scharfschütze abgegeben haben soll — aus hundertzwanzig Meter Entfernung. Durchschlug das kleine dreieckige Fenster neben dem Fahrersitz, das einzige, das nicht kugelsicher war. Der ganze Wagen war gepanzert. Der Schuß traf den Chauffeur in die Kehle, und er verlor sofort die Kontrolle über den Wagen.
Das war der Augenblick, in dem die Partisanen in Aktion traten. Das Merkwürdige daran ist, daß das Gerücht besagte, der Schütze sei ein Engländer gewesen.«
Die beiden Männer starrten eine Weile schweigend auf die jetzt schon nachtdunkle Themse hinaus, während ihnen das Bild einer kargen, ausgedörrten Landschaft auf einer fernen, heißen Insel vor Augen stand, in der eine mit hundertzwanzig Stundenkilometern dahinfahrende gepanzerte Limousine von der asphaltierten Straße abkam… Sie stellten sich den alten Mann in der mit Goldlitzen reich bestickten hellbraunen Uniform vor, der sein Land dreißig Jahre lang mit eiserner Faust regiert hatte und jetzt aus den Trümmern des Wagens gezerrt wurde, um unter den Pistolenschüssen der Partisanen neben dem Straßenrand im Staub zu verenden.
«Dieser Mann, von dem das Gerücht wissen will — kennt man seinen Namen?«
«Keine Ahnung. Ich erinnere mich nicht. Wir hatten damals andere Dinge im Kopf, und ein karibischer Diktator war das letzte, worüber wir uns Gedanken machten.«
«Und dieser Kollege, der es Ihnen erzählte — hat er einen Bericht geschrieben?«
«Muß er wohl. Das entspricht der üblichen Praxis. Aber es war nur ein Gerücht, verstehen Sie. Nur ein Gerücht. Nichts, worauf man etwas hätte geben können. Wir befassen uns mit Fakten und stichhaltigen Informationen.«
«Aber aktenkundig wird es doch sicher geworden sein — irgendwo?«
«Ich nehme es an«, sagte Lloyd.»Niedrigste Dringlichkeitsstufe. Lediglich ein Gerücht, das damals da drüben in den Kneipen und Bars kursierte. Muß überhaupt nichts besagen.«
«Aber Sie könnten doch vielleicht rasch einen Blick in die alten Akten werfen und nachsehen, ob der Mann dort namentlich genannt ist?«
Lloyd trat von der Balustrade zurück.
«Sie fahren jetzt am besten nach Hause«, sagte er dem Superintendenten.»Falls ich auf irgend etwas stoßen sollte, was in dieser Sache von Interesse sein könnte, rufe ich Sie an.«
Sie kehrten in das Pub zurück, stellten ihre Biergläser ab und gingen zum Ausgang.
«Ich wäre Ihnen sehr dankbar«, sagte Thomas, als sie sich trennten.»Vermutlich werden sich keine Anhaltspunkte ergeben. Aber auch nur die leiseste Chance dazu scheint mir schon den Versuch wert zu sein.«
Während Thomas und Lloyd sich in dem an der Themse gelegenen
Pub unterhielten und der Schakal in einem Dachgartenrestaurant in Mailand den Rest seiner Zabaglione auslöffelte, nahm Kommissar Claude Lebel in Paris an der im Konferenzraum des Innenministeriums stattfindenen Lagebesprechung teil.
Die Sitzordnung war die gleiche wie bei der vierundzwanzig Stunden zurückliegenden ersten Besprechung. Der Innenminister saß am oberen Ende des Tisches, an dessen Längsseiten die Abteilungsleiter Platz genommen hatten. Claude Lebel saß wieder am unteren Ende und hatte einen schmalen Aktenordner vor sich liegen. Mit einem freundlichen Nicken eröffnete der Minister die Sitzung.
Als erster sprach sein chef de cabinet. Im Laufe des gestrigen Tages und der vergangenen Nacht, berichtete er, habe jeder Zollbeamte an jeder Grenzstation Frankreichs Anweisung erhalten, das Gepäck aller einreisenden hochgewachsenen blonden Ausländer männlichen Geschlechts gründlich zu durchsuchen. Pässe seien besonders eingehend zu überprüfen und von den DST-Beamten beim Zoll insbesondere auf etwaige Fälschungen zu untersuchen. (Der Leiter des DST nickte bekräftigend.) Touristen und Geschäftsleuten mochte die so plötzlich gesteigerte Wachsamkeit der Zollbehörden zwar auffallen, aber man hielt es doch für unwahrscheinlich, daß irgendeiner der Betroffenen, deren Gepäck in solcher Weise durchsucht worden war, dahinterkommen könnte, daß diese Maßnahme sich auf blonde, hochgewachsene Männer beschränkte. Sollten von Seiten eines alerten Pressevertreters Erkundigungen angestellt werden, so habe die Erklärung zu lauten, daß es sich um routinemäßig vorgenommene Stichproben handele. Aber man bezweifelte, daß es überhaupt zu derartigen Anfragen kommen würde. Und noch etwas hatte Sanguinetti.zu berichten. Es war der Vorschlag gemacht worden, die Möglichkeit zu erörtern, ob man nicht einen der drei zur Zeit in Rom residierenden OAS-Chefs entführen solle. Aus diplomatischen Erwägungen heraus habe der Quai d'Orsay mit aller Entschiedenheit von einer solchen Idee abgeraten (allerdings war er auch nicht in die Schakal-Verschwörung eingeweiht worden) und werde darin vom Präsidenten (der die Hintergründe sehr wohl kannte) unterstützt. Als ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma schied der Vorschlag daher aus.