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Um 16 Uhr 10 klingelte in Superintendent Thomas' Büro das Telephon.

Thomas hatte den Vormittag und den größten Teil des Nachmittags damit verbracht, nach einem Mann zu fahnden, von dem er nichts weiter als den Namen wußte. Wie immer, wenn es um Erkundigungen nach Personen ging, von denen man wußte, daß sie im Ausland gewesen waren, diente das Paßamt im Petty France als Ausgangspunkt.

Thomas hatte es schon um 9 Uhr aufgesucht und sich Photokopien der Paßanträge von sechs verschiedenen Charles Calthrops aushändigen lassen. Unglücklicherweise hatten sie allesamt weitere Vornamen, die voneinander abwichen. Gegen das Versprechen, die Originale nach Anfertigung von Photokopien umgehend dem Archiv des Paßamts zurückzusenden, gab man ihm auch die den Anträgen beigefügten Photos der sechs Männer mit.

Einer der Pässe war erst nach dem Januar 1961 beantragt worden, aber das mußte nicht unbedingt etwas besagen, wenngleich keinerlei Unterlagen dafür existierten, daß dieser betreffende Charles Calthrop schon zu einem früheren Zeitpunkt einmal einen Paß beantragt hatte. Wenn er aber in der Dominikanischen Republik unter einem anderen Namen aufgetreten war, wie kam es dann, daß in den Gerüchten, die von seiner Beteiligung an der Ermordung Trujillos wissen wollten, der Name Calthrop genannt wurde? Thomas war geneigt, diesen späten Paßantragsteller als Möglichkeit auszuschließen.

Von den übrigen fünf schien einer zu alt zu sein; im August 1963 war er fünfundsechzig. Die vier anderen kamen in Betracht.

Dabei spielte es zunächst keine Rolle, ob sie Lebels auf einen hochgewachsenen blonden Mann lautender Beschreibung entsprachen oder nicht, denn Thomas' Aufgabe bestand hauptsächlich im Eliminieren. Wenn alle sechs als unverdächtig ausschieden, um so besser. Dann würde er Lebel ruhigen Gewissens in diesem Sinn unterrichten können.

Auf jedem Antrag war eine Adresse angegeben. Zwei wiesen eine Londoner Anschrift auf, die beiden anderen kamen aus der Provinz. Es war nicht damit getan, die ebenfalls aufgeführten Telephonnummern anzurufen und jeden der vier Gentlemen zu befragen, ob er im Jahre 1961 die Dominikanische Republik besucht habe. Selbst wenn er dort gewesen war, konnte er es jetzt verneinen.

Auch die Tatsache, daß keiner der Antragsteller in der für die Angabe des Berufs vorgesehenen Spalte» Geschäftsmann «vermerkt hatte, war als solche nicht beweiskräftig. Lloyds Bericht über ein seinerzeit in den Kneipen und Bars von Ciudad Trujillo kursierendes Gerücht bezeichnete Calthrop zwar als Geschäftsmann, aber das mußte nicht unbedingt den Tatsachen entsprechen.

Im Lauf des Vormittags hatten die Grafschafts- und Kreisstadt-Polizeiposten auf Thomas' telephonisches Ersuchen den Aufenthaltsort der beiden außerhalb Londons wohnhaften Calthrops ermittelt. Der eine arbeitete noch, beabsichtigte jedoch, am Wochenende mit seiner Familie auf Urlaub zu fahren. Er wurde in der Mittagspause nach Hause eskortiert, wo man seinen Paß überprüfte. Er enthielt kein Ein- oder Ausreisevisum der Dominikanischen Republik und war nur zweimal benutzt worden, einmal für eine Flugreise nach Mallorca, das andere Mal für einen Ferienaufenthalt an der Costa Brava. Erkundigungen an seinem Arbeitsplatz hatten zudem ergeben, daß dieser Charles Calthrop noch immer in der Buchhaltungsabteilung der Suppenfabrik, in der er im Januar 1961 arbeitete, tätig und überdies seit zehn Jahren bei der gleichen Firma beschäftigt war.

Der andere außerhalb Londons wohnhafte Calthrop wurde in einem Hotel in Blackpool ausfindig gemacht. Er hatte seinen Paß nicht bei sich, erklärte sich jedoch bereit, die Polizeibehörde seines Heimatortes telephonisch zu ermächtigen, seinen Hausschlüssel beim Nachbarn auszuborgen, das oberste Schubfach seines Schreibtisches zu öffnen und den darin befindlichen Paß in Augenschein zu nehmen. Auch dieser Reiseausweis trug keinen Sichtvermerk dominikanischer Behörden, und die Angaben seines Inhabers — daß er Schreibmaschinenmechaniker und mit Ausnahme seines Sommerurlaubs im ganzen Jahr 1961 seiner Arbeit keinen einzigen Tag ferngeblieben sei — konnten durch eine Rückfrage bei seinem Arbeitgeber bestätigt werden.

Einer der beiden Londoner Calthrops erwies sich als Gemüsehändler, den die beiden unauffälligen Herren in Zivil hinter dem Ladentisch seines Geschäfts in Catford antrafen. Da er über seinem Laden wohnte, konnte er seinen Paß innerhalb weniger Minuten vorweisen. Wie die anderen Pässe wies auch dieser kein Anzeichen dafür auf, daß sein Inhaber jemals die Dominikanische Republik besucht hatte. Auf Befragen versicherte der Gemüsehändler glaubhaft, nicht einmal zu wissen, wo die Insel läge.

Die Ermittlung des vierten und letzten Calthrop erwies sich als schwieriger. Seine vier Jahre zuvor auf dem Paßantrag angegebene Adresse stellte sich als ein Wohnblock in Highgate heraus. Laut Auskunft der Hausverwaltung war er im Dezember 1960 verzogen, ohne eine neue Adresse anzugeben.

Aber Thomas wußte wenigstens seinen zweiten Vornamen. Eine Durchsicht der Telephonbücher war ergebnislos geblieben, unter Hinweis auf seine Befugnis als Special-Branch-Superintendent erhielt er vom General Post Office jedoch die Auskunft, daß ein C. H. Calthrop Inhaber einer Geheimnummer in West London sei. Die angegebenen Initialen stimmten mit den Vornamen des Gesuchten — Charles Harold — überein. Daraufhin ließ Thomas sich mit dem Einwohnermeldeamt des Bezirks, in welchem die Telephonnummer registriert war, verbinden.

Ja, antwortete die Stimme aus dem Bezirksamt, ein Mr. Charles Harold Calthrop werde in der Tat als Wohnungsinhaber unter der genannten Adresse sowie als Wähler in den entsprechenden Listen des Bezirks geführt.

Thomas entsandte einen Polizeiwagen mit zwei Beamten zu der Wohnung. Auf wiederholtes Klingeln wurde nicht geöffnet. Niemand im Haus schien zu wissen, wo sich Mr. Calthrop aufhielt. Als der Wagen unverrichteter Dinge zum Yard zurückkehrte, ersuchte Thomas das zuständige Finanzamt, an Hand der Steuererklärungen eines Charles Harold Calthrop zu eruieren, wo derselbe gegenwärtig angestellt und bei wem er in den letzten drei Jahren beschäftigt gewesen sei.

Gleich darauf klingelte das Telephon. Thomas nahm ab, meldete sich und lauschte ein paar Sekunden. Er hob die Brauen.

«Ich?«fragte er.»Was, persönlich? Ja, selbstverständlich. Ich komme 'rüber. In fünf Minuten. Gut, bis gleich.«

Er verließ das Gebäude und ging zum Parliament Square hinüber. Unterwegs schneuzte er sich heftig, um die blockierten Stirnhöhlen frei zu bekommen. Weit entfernt, abzuklingen,

schien seine Erklärung sich ungeachtet des warmen Sommertags noch verschlimmert zu haben.

Vom Parliament Square aus ging er Whitehall hinauf und wandte sich an der ersten Ecke nach links in die Downing Street. Wie immer wirkte die unauffällige Sackgasse, welche die Amtswohnung der Premierminister Großbritanniens beherbergt, düster und trübsinnig. Vor dem Haus Nr. 10 hatte sich eine Anzahl Schaulustiger eingefunden, die von zwei gleichmütigen Polizisten auf die gegenüberliegende Straßenseite gedrängt wurden.

Thomas kreuzte die Fahrbahn und wandte sich nach rechts. Er durchquerte einen kleinen Innenhof, in dessen Mitte sich ein eingefaßtes Rasenstück befand, und stand vor dem hinteren Eingang von Downing Street Nr. 10. Er drückte den Klingelknopf neben der Tür, die sofort geöffnet wurde. Der hünenhafte Polizeisergeant erkannte ihn gleich und salutierte. 9541»Tag, Sir, Mister Harrowby bat mich, Sie direkt zu ihm zu führen.«

James Harrowby, der Thomas vor wenigen Minuten in dessen Büro angerufen hatte, war der Chef der persönlichen Sicherungsgruppe des Premierministers. Ein gutaussehender Mann von einundvierzig Jahren, der jedoch weit jünger wirkte, hatte er, wie Thomas, den Rang eines Superintendenten inne. Er stand auf, als Thomas eintrat.

«Kommen Sie herein, Bryn. Nett, Sie zu sehen. «Er nickte dem Sergeant zu.»Danke, Chalmers. «Der Sergeant machte kehrt und schloß die Tür hinter sich.»Was ist los?«fragte Thomas. Harrowby sah ihn erstaunt an.