Er hatte gelächelt, als er ertappt worden war, und, indem er seine Lippen ihrem Ohr näherte, geflüstert:»Bei Mondlicht wird auch der wohlerzogenste Mann zum Halbwilden. «Verstimmung vortäuschend, obschon sie die unverfrorene Bewunderung des Fremden in eine angenehme Erregung versetzte, hatte sie sich auf dem Absatz umgedreht, um die restlichen Stufen zu ihrer Etage hinaufzusteigen.
«Es war ein reizender Abend, Monsieur.«
Die Hand auf der Türklinke, fragte sie sich, ob der Mann sie wohl zu küssen versuche würde. In gewisser Weise erhoffte sie es.Vielleicht lag es nur am Wein oder an dem feurigen Calvados, den er zum Kaffee bestellt hatte, vielleicht auch an der Szene im Mondlicht — jedenfalls war ihr bewußt, daß sie mit einem solchen Ende des Abends nicht gerechnet hatte. Sie fühlte, wie sich die Arme des Fremden um sie legten und seine Lippen sich unvermittelt auf ihre preßten.»Das muß aufhören«, sagte ihr eine innere Stimme. Eine Sekunde später erwiderte sie den Kuß mit noch geschlossenen Lippen. Der Wein hatte sie ein bißchen benommen gemacht, ja, es mußte die Wirkung des Weins sein. Sie spürte, wie seine Arme sich fester um sie legten — kraftvolle Arme mit harten Muskeln.
Ihr Schenkel wurde gegen ihn gedrückt, und durch den Satin ihres Kleides fühlte sie die arrogante Härte seines Gliedes. Sie zog ihr Bein schnell zurück und preßte es gleich darauf wieder gegen ihn. Eine bewußte Entscheidung gab es gar nicht; die Gewißheit, daß sie ihn haben wollte, zwischen ihren Schenkeln, in ihrem Schoß, die ganze Nacht, war urplötzlich gekommen.
Als sie merkte, daß seine Hand hinter ihr zur Türklinke tastete, löste sie sich aus der Umarmung, und ohne sich von ihm abzuwenden, trat sie einen Schritt in ihr Zimmer zurück.
«Viens, primitif. «
Er folgte ihr und schloß die Tür.
Die ganze Nacht hindurch wurden sämtliche Archive im Pantheon neuerlich durchforscht, diesmal nach dem Namen Duggan und mit mehr Erfolg. Eine Karteikarte fand sich, die besagte, daß Alexander James Quentin Duggan, aus Brüssel kommend, am 22. Juli im Brabant-Expreß nach Frankreich eingereist war. Eine Stunde später wurde ein weiterer Bericht von derselben Zollgrenzwache, die ihren Dienst in den zwischen Brüssel und Paris verkehrenden Expreßzügen versah, gefunden. Er enthielt eine vom 31. Juli datierende Liste der Fahrgäste des Etoile-du-Nord-Expreß, auf der sich auch der Name Duggan befand.
Aus der Polizeipräfektur kam ein auf den Namen Duggan ausgefülltes Anmeldeformular, aus dem hervorging, daß er vom 22. bis einschließlich 30. Juli in einem kleinen Hotel nahe der Place de la Madeleine gewohnt hatte. Die auf der Anmeldung vermerkte Paßnummer stimmte laut Auskunft aus London mit derjenigen überein, die der von ihm beantragte Paß trug. Inspektor Caron war dafür, sofort eine Razzia in dem Hotel zu veranstalten, aber Lebel zog es vor, es in den frühen Morgenstunden allein aufzusuchen und sich mit dem Hotelbesitzer zu unterhalten. Es genügte ihm, zu erfahren, daß der Mann, den er suchte, sich nicht mehr in dem Hotel aufhielt, und der Besitzer war ihm dankbar für die Rücksichtnahme auf seine schlafenden Gäste.
Lebel wies einen Kriminalbeamten an, bis auf weiteres als zahlender Gast im Hotel Quartier zu nehmen und sich, für den Fall, daß Duggan wieder auftauchen sollte, ständig dort aufzuhalten. Der Besitzer wurde informiert und zeigte sich in jeder Weise entgegenkommend.»Dieser Aufenthalt im Juli war eine Erkundungsreise«, bemerkte Lebel zu Caron, als er morgens um 4 Uhr 30 in sein Büro zurückkam.»Wie immer er vorgehen wird, er hat alles bis ins einzelne geplant und festgelegt.«
Er lehnte sich in seinen Schreibtischsessel zurück, starrte zur Decke hinauf und dachte nach. Warum war er in einem Hotel abgestiegen? Warum nicht im Haus eines OAS-Sympathisanten, wie dies alle flüchtigen O AS- Agenten taten? Weil er sich nicht darauf verließ, daß die OAS-Sympathisanten dichthielten. Recht hatte er. Deswegen arbeitete er allein, vertraute niemandem, plante seine Operation auf seine eigene Weise, benutzte einen gefälschten Paß, verhielt sich unauffällig, erregte keinen Verdacht. Der Besitzer des Hotels, den er soeben befragt hatte, bestätigte dies.»Ein echter Gentleman«, hatte er gesagt. Ein echter Gentleman, dachte Lebel, und gefährlich wie eine Schlange. Echte Gentlemen — für einen Polizisten sind die immer die Schlimmsten. Keiner wagt es, sie zu verdächtigen.
Er blickte auf die beiden Photos von Calthrop und Duggan, die aus London gekommen waren. Durch Veränderung der Körpergröße, der Haar- und Augenfarbe und vermutlich auch des Auftretens und der Manieren war Caltroph Duggan geworden. Er versuchte sich ein Bild von dem Mann zu machen. Wie würde er auf einen wirken, wenn man ihm begegnete? Selbstsicher, arrogant, seiner Unangreifbarkeit gewiß. Gefährlich, durchtrieben, peinlich genau in seinen Vorbereitungen, nichts dem Zufall überlassend. Selbstverständlich bewaffnet, aber womit? Mit einer Automatic, die in einem Halfter unter der linken Achsel steckte?
Einem griffbereit _um den Brustkorb geschnallten Wurfmesser? Einem Gewehr? Aber wo sollte er es bei der Zollkontrolle verstecken? Wie wollte er mit einer solchen Waffe in General de Gaulles Nähegelangen, wenn schon jede zweihundert Meter vom Präsidenten entfernt gesichtete Damenhandtasche Verdacht erregte und man Männer kurzerhand abführte, die mit einem länglichen Paket unter dem Arm im Umkreis der Örtlichkeit angetroffen wurden, wo der Präsident sich der Öffentlichkeit zu zeigen beabsichtigte?
Mon Dieu, und dieser Oberst aus dem Elysee-Palast hielt ihn lediglich für irgendeinen x-beliebigen Gangster! Lebel war sich darüber klar, daß er einen Vorteil hatte: Er wußte den neuen Namen des Killers — und der Killer wußte nicht, daß er ihn wußte. Das war seine einzige Trumpf karte; in jeder anderen Hinsicht war der Schakal im Vorteil, und keiner von den Teilnehmern an den abendlichen Konferenzen würde das zugeben wollen oder können. Sollte er auf irgendeine Weise Wind davon bekommen, daß du seinen falschen Namen weißt, und seine Identität neuerlich wechseln, dann, Claude, mein Junge, kannst du dich aber auf einiges gefaßt machen.
Laut sagte er:»Auf einiges gefaßt machen.«
Caron sah auf.
«Sie haben recht, Chef. Er ist so gut wie gefaßt.«
Ganz entgegen seiner Gewohnheit reagierte Lebel ihm gegenüber gereizt. Der Mangel an Schlaf fing an, sich bemerkbar zu machen.
Der Lichtstrahl des verblassenden Mondes kroch langsam über das zerwühlte Bettlaken zum Fensterrahmen zurück. Er glitt über das zwischen der Tür und dem Fußende des Bettes zerknüllt am Boden liegende Satinkleid, den abgestreiften Büstenhalter und die Seidenstrümpfe auf dem Teppich. Die beiden nackten Leiber auf dem Bett verblieben im Schatten.
Colette lag auf dem Rücken und sah zur Zimmerdecke hinauf, während ihre Finger durch das blonde Haar des Fremden fuhren, der seinen Kopf auf ihren Bauch gebettet hatte. Ihre Lippen umspielte ein versonnenes Lächeln, als sie an die vergangenen Stunden zurückdachte.
Er war gut gewesen, dieser englische Halbwilde, heftig aber geschickt. Mit seinen Händen, seiner Zunge und seinem Glied hatte er es verstanden, sie fünfmal zum Höhepunkt zu bringen, während er selbst dreimal gekommen war. Sie hatte eine solche Nacht allzu lange entbehrt und mit einer seit Jahren nicht mehr gekannten Intensität reagiert.
Der kleine Reisewecker neben dem Bett zeigte auf Viertel nach fünf. Sie packte den blonden Schöpf fester und beutelte ihn ein paarmal.
«Hallo.«
Der blonde Kopf schüttelte ihre Hand ab und drängte sich zwischen ihre Schenkel. Wieder begann sein heißer Atem und das Zucken der suchenden Zunge sie zu kitzeln.