Выбрать главу

»Nein«, lachte Old John, ohne sich umzudrehen. »Er sieht aus wie immer.«

»Hoffentlich hat er euch nicht die Haare vom Kopf gefressen.«

»Keine Sorge, mein Junge. Was ißt so ein alter, klappriger Zauberer schon.«

Richard mußte schmunzeln. Zedd ging es vielleicht gut. Aber ganz erholt hatte er sich offenbar noch nicht, sonst hätte Old John keinen Krümel mehr im Haus.

Ein paar Stunden liefen sie Old John hinterher, dann wurde der Wald dichter und dunkler. Die Bäume wurden höher und standen näher beieinander. Der Pfad war steinig, schwer begehbar, besonders bei diesem Tempo. Aus dem Dunst schallten ihnen die Rufe unbekannter Vögel entgegen. An einer Weggabelung bog Old John ohne Zögern rechts ab und eilte weiter. Kahlan folgte ihm. Richard blieb stehen. Irgend etwas machte ihn unsicher, aber er wußte beim besten Willen nicht, was. Sobald er darüber nachdachte, kreisten seine Gedanken sofort um Zedd. Kahlan hörte, daß er stehengeblieben war, drehte sich um und kam zurück.

»Welcher Weg führt zu der Hexe?« fragte er.

»Der linke«, antwortete Kahlan mit einem Unterton von Erleichterung, schließlich war der Alte nach rechts gegangen. Sie hakte die Daumen unter die Riemen ihres Rucksacks und deutete mit dem Kinn auf mehrere schroffe Felsgrate, die er gerade durch die obersten Äste der Bäume erkennen konnte. »Die gehören zu dem Gebirge, das Agaden umgibt.« Die schneebedeckten Gipfel strahlten hell in der hohen, dünnen Luft. Noch nie hatte er Berge gesehen, die so wenig einladend wirkten. Ein Dornenkranz, in der Tat.

Richard blickte den linken Pfad hinunter. Er sah wenig begangen aus und verschwand rasch im dichten Wald. Old John blieb stehen und blickte sich, die Hände in die Hüften gestemmt, um.

»Was ist? Kommt ihr?«

Richard warf noch einen Blick auf den linken Pfad. Sie mußten das letzte Kästchen vor Rahl finden. Auch wenn Zedd sie brauchte, sie mußten herausfinden, wo sich dieses Kästchen befand. Das war ihre oberste Pflicht.

»Meinst du, Zedd kann warten?«

Old John zuckte mit den Achseln und zupfte an seinem Bart. »Weiß ich nicht. Aber wenn es nicht wichtig wäre, hätte er mich nicht geschickt. Es liegt bei dir, mein Junge. Aber zu Zedd geht es hier entlang.«

Richard hätte sich gerne um die Entscheidung gedrückt. Wenn er nur wüßte, ob Zedd warten konnte. Oder was er wollte. Schluß mit der Wünscherei, sagte er zu sich selbst. Denk nach.

Er sah den alten Mann stirnrunzelnd an. »Wie weit ist es?«

Old John zupfte an seinem Bart und blickte durch die Bäume in die Spätnachmittagssonne. »Wenn wir nicht zu früh haltmachen und nicht lange schlafen, sind wir morgen mittag da.« Er sah Richard an und wartete.

Kahlan schwieg. Er wußte, was sie dachte. Am liebsten würde sie überhaupt nicht zu Shota gehen. Selbst wenn sie zuerst zu Zedd gingen, so weit war es schließlich nicht, konnten sie notfalls immer noch zurückkommen. Vielleicht wußte Zedd schon, wo das Kästchen sich befand, vielleicht hatte er das letzte Kästchen sogar schon gefunden, dann brauchten sie überhaupt nicht mehr nach Agaden. Es war sinnvoller, zu Zedd zu gehen. Sie wollte es ihm gerade sagen.

»Du hast recht«, meinte er.

Sie war verwirrt. »Ich hab’ doch gar nichts gesagt.«

Richard strahlte sie an. »Ich habe dich nachdenken gehört. Du hast recht. Wir gehen mit Old John.«

»Ich wußte gar nicht, daß meine Gedanken so laut sind«, murrte sie.

»Wenn wir durchmarschieren«, rief er Old John zu, »könnten wir vor dem Morgen da sein.«

»Ich bin ein alter Mann«, beklagte er sich und seufzte unüberhörbar. »Aber ich weiß, wie eilig ihr es habt. Und ich weiß, wie dringend er euch braucht.« Er drohte Richard mit dem Finger. »Ich hätte auf Zedd hören sollen, als er mich vor dir gewarnt hat.«

Richard lachte kurz und ließ Kahlan vorgehen. Sie schritt weit aus, um den Alten einzuholen, der bereits aufgebrochen war. Richard betrachtete sie abwesend, sah, wie sie sich ein Spinnennetz aus dem Gesicht riß, Teile davon ausspuckte. Irgend etwas bedrückte ihn, irgend etwas stimmte nicht. Wenn er nur dahinterkäme. Er überlegte und überlegte, doch immer wieder kam ihm nur Zedd in den Sinn und wie sehr er sich drauf freute, ihn wiederzusehen. Er konnte es kaum abwarten, mit ihm zu sprechen. Er ignorierte das Gefühl, sie würden beobachtet.

»Am meisten vermisse ich meinen Bruder«, sagte sie zu ihrer Puppe. Sie sah zur Seite. »Angeblich ist er gestorben«, vertraute sie ihr leise an.

Fast den ganzen Tag lang hatte Rachel der Puppe ihre Sorgen gebeichtet. Was immer ihr gerade einfiel. Wenn sie anfing zu weinen, sagte die Puppe, daß sie sie liebhätte, und schon fühlte sie sich besser. Manchmal mußte sie lachen.

Rachel legte ein Stöckchen nach. Ein gutes Gefühl, sich wärmen zu können und Licht zu haben. Trotzdem hielt sie das Feuer klein, wie Giller ihr geraten hatte. Bald wurde es wieder dunkel. Manchmal machten ihr die Geräusche im Wald angst, und sie fing an zu weinen. Aber immer noch besser, als im Kasten eingesperrt zu sein.

»Das war damals, ich hab’ dir schon davon erzählt. Bei den anderen Kindern, bevor die Königin mich ausgesucht hat. Da hat es mir viel besser gefallen als bei der Prinzessin. Alle waren nett zu mir.« Sie sah die Puppe an, um festzustellen, ob sie zuhörte. »Manchmal kam ein Mann vorbei, Brophy Die Leute haben schlimme Dinge über ihn erzählt, aber zu uns Kindern war er nett. Wie Giller. Er hat mir auch eine Puppe geschenkt, aber ich durfte sie nicht mitnehmen, als ich in das Schloß der Königin gezogen bin. Aber das war mir egal. Ich war so traurig, weil mein Bruder gestorben war. Ich hörte, wie einige sich erzählten, er sei ermordet worden. Ich weiß, das heißt, daß ihn jemand umgebracht hat. Warum bringen Menschen Kinder um?«

Die Puppe lächelte bloß. Rachel lächelte zurück.

Sie mußte an den neuen kleinen Jungen denken, den die Königin hatte einsperren lassen. Er redete komisch und sah komisch aus, trotzdem erinnerte er sie an ihren Bruder, weil er ständig Angst hatte. Ihr Bruder bekam auch ständig Angst. Rachel merkte sofort, wenn ihr Bruder Angst bekam. Er wurde dann immer ganz zappelig. Der neue Junge tat ihr leid. Wenn sie nur etwas zu sagen hätte, dann könnte sie ihm helfen.

Rachel hielt die Hände einen Augenblick übers Feuer, um sie zu wärmen, dann steckte sie eine in die Tasche. Sie hatte Hunger. Sie hatte nur wenige Beeren gefunden. Sie bot der Puppe eine große davon an. Die Puppe schien keinen Hunger zu haben, also aß sie sie selbst, dann noch eine Handvoll, bis sie alle aufgegessen hatte. Sie war immer noch hungrig, wollte aber nicht noch einmal auf die Suche gehen. In der Nähe wuchsen keine Beeren, außerdem wurde es dunkel. Sie wollte nicht draußen im Wald sein, wenn es dunkel wurde. Sie wollte in ihrer Launenfichte sitzen, mit ihrer Puppe. Neben dem warmen Feuer. Im Licht.

»Vielleicht wird die Königin etwas netter, wenn sie ihr Bündnis bekommt, was immer das ist. Sie spricht von nichts anderem, nur wie sehr sie sich ihr Bündnis wünscht. Vielleicht ist sie dann glücklicher und läßt den Leuten nicht ständig den Kopf abschlagen. Die Prinzessin will immer, daß ich mitgehe, aber ich mag nicht zusehen, also mache ich die Augen zu. Jetzt läßt sogar Prinzessin Violet schon den Leuten die Köpfe abschlagen. Sie wird jeden Tag ekelhafter. Ich habe Angst, daß sie mir den Kopf auch abschlagen läßt. Wenn ich nur weglaufen könnte.« Sie sah die Puppe an. »Ich wünschte, ich könnte weglaufen und brauchte nie wiederzukommen. Und dich würde ich mitnehmen.«

Die Puppe lächelte. »Ich liebe dich, Rachel.«

Sie hob die Puppe auf und drückte sie, dann gab sie ihr einen Kuß auf die Stirn.

»Aber wenn wir weglaufen, schickt Prinzessin Violet die Wachen hinter mir her, und dich werfen sie dann ins Feuer. Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich, Rachel.«

Rachel drückte ihre Puppe ganz fest. Dann kroch sie ins Stroh und legte die Puppe neben sich. Morgen mußte sie zurück, und die Prinzessin würde wieder gemein zu ihr sein. Sie mußte die Puppe hierlassen, sonst würde man sie ins Feuer werfen.