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Im mondbeschienenen Schnee erkannte Richard zwei Fußspuren, von denen eine Kahlan gehörte. Ein gutes Zeichen. Sie lebte also noch. Es sah nicht danach aus, als wollte Shota sie töten. Zumindest nicht gleich. Der Pfad zog sich am Rand der schneebedeckten Gipfel dahin. Ohne Samuel, der den Paß kannte, hätte der Weg über die Gipfel Tage gedauert. Kalter Wind peitschte durch die Felsspalten und nahm ihnen in der eiskalten Luft den Atem. Samuel zitterte. Richard legte seinen Umhang um und zog Kahlans aus dem Rucksack, den Samuel trug.

»Das gehört der hübschen jungen Frau. Zieh es an. Es wird dich fürs erste wärmen.«

Samuel riß ihm den Umhang aus der Hand. »Meiner! Gib her!«

»Wenn du nicht damit aufhörst, gebe ich ihn dir nicht.« Richard spannte das Seil und zog den Umhang zurück.

»Bitte! Samuel ist kalt«, greinte er. »Bitte! Darf ich den Umhang der hübschen jungen Frau anziehen?«

Richard gab ihn zurück. Diesmal ergriff ihn sein Begleiter mit Bedacht und legte ihn sich, so gut es mit den gefesselten Pranken ging, um die Schultern. Der kleine Kerl verursachte bei Richard eine Gänsehaut. Er holte ein Stück Tavabrot hervor und aß es im Gehen. Immer wieder sah Samuel über die Schultern und beobachtete Richard beim Essen. Als er es nicht länger aushielt, bot er Samuel ein Stück an.

Der streckte seine Pranken aus. »Meins! Her damit!« Richard zog das Brot zurück, außer Reichweite. Gelbe Augen blickten ihn flehend im Mondschein an. »Bitte!« Vorsichtig legte Richard ihm das Brot in die grabschenden Hände.

Während sie durch den Schnee stapften, plapperte Samuel vor sich hin. Das Brot hatte er mit einem Bissen verschlungen. Böte Richard ihm die Gelegenheit, Samuel würde ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, die Kehle aufschlitzen. Etwas Versöhnliches schien ihm völlig abzugehen.

»Samuel, weshalb läßt Shota dich bei ihr wohnen?«

Er sah über die Schulter. Seine gelblichen Augen starrten verwirrt. »Samuel ist Gesellschaft.«

»Und deine Herrin hat nichts dagegen, daß du mich zu ihr führst?«

Samuel stieß ein Gurgeln hervor, das Richard als Lachen interpretierte. »Die Herrin hat keine Angst vor dem Sucher.«

Kurz vor Einbruch der Dämmerung, am Rande eines Abstiegs in den dunklen Wald, streckte Samuel den Arm aus und zeigte nach unten. »Agaden«, gurgelte er. Mit einem höhnischen Grinsen über die Schulter meinte er: »Die Herrin.«

Im Wald herrschte drückende Hitze. Richard zog den Umhang aus und stopfte seinen und Kahlans in die Rucksäcke. Samuel sah zu, ohne zu protestieren. Er wirkte glücklich und zufrieden, wieder in Agaden zu sein. Richard tat, als könne er sehen, wohin sie gingen. Er wollte seinem Begleiter nicht verraten, daß er in der Dunkelheit fast völlig blind war. Richard ließ sich wie ein Blinder am Seil führen. Samuel sprang weiter, als sei es hellichter Tag. Wenn er seinen haarlosen Kopf zu Richard umdrehte, leuchteten seine gelben Augen wie zwei Laternen.

Allmählich durchflutete das Licht der Dämmerung den Wald, und Richard erkannte überall hohe Bäume, sah die von den Bäumen herabhängenden Moosfetzen, die sumpfigen Stellen, aus deren schwarztrübem Wasser Nebel aufstieg, die Augenpaare, die ihm aus den Schatten zuzuzwinkern schienen. Hohle Laute hallten durch Dunst, während er vorsichtig über das Gewirr aus Wurzeln stieg. Der Ort erinnerte ihn ein wenig an den Skowsumpf. Es roch genauso modrig.

»Wie weit ist es noch?«

»Bald da«, grinste Samuel.

Richard spannte das Seil. »Denk dran, wenn irgend etwas schiefgeht, stirbst du als erster.«

Das Grinsen auf den blutleeren Lippen verschwand.

Richard entdeckte dieselbe doppelte Fußspur, die er schon im Schnee gefunden hatte. Kahlan war also noch am Leben. Dunkle Gestalten folgten ihnen im dichten Unterholz und stießen gelegentlich ein Stöhnen und Jaulen aus. Besorgt fragte sich Richard, ob es noch mehr Geschöpfe wie Samuel gab. Oder noch schlimmere. Einige folgten ihnen in den Wipfeln, knapp außer Sichtweite. Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter.

Samuel verließ den Pfad und umkurvte die knorrigen Wurzeln der dickstämmigen Bäume.

»Was tust du da?« wollte Richard wissen, riß am Seil und brachte den Gefährten zum Stehen.

Samuel grinste ihn an. »Paß auf.« Er nahm einen kräftigen, armdicken Ast zur Hand und schleuderte ihn in die Wurzeln der Bäume. Die Wurzeln peitschten hervor, wickelten sich um den Ast und zerrten ihn unter ihr knorriges Gewirr. Richard hörte, wie er brach. Samuel lachte gurgelnd.

Je höher die Sonne kletterte, desto finsterer schienen die Wälder Agadens zu werden. Totes Geäst verknotete sich über den Köpfen, gelegentlich wehte ein Nebelschwaden über den Weg. Manchmal konnte Richard nicht einmal mehr Samuel am anderen Ende des feuchten Seils erkennen. Aber ständig konnte er irgendwelche Geräusche hören: Kratzen und Gepfeife von Wesen, die sie unsichtbar schnalzend aus nächster Nähe zu locken schienen. Manchmal wirbelte der Nebel auf, wenn eines dieser Geschöpfe ganz nah und trotzdem unsichtbar vorbeischoß.

Richard mußte an Kahlans Warnung denken: sie würden sterben. Er versuchte, den Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen. Sie hatte die Hexe nie selber kennengelernt, kannte sie nur aus Erzählungen anderer. Aber was sie gehört hatte, machte ihr angst. Nicht einmal ein Zauberer würde sich nach Agaden trauen, hatte sie gesagt. Trotzdem, alles, was sie wußte, stammte aus zweiter Hand, sie hatte Shota persönlich nie gesehen. Vielleicht waren die Geschichten übertrieben. Sein Blick schweifte durch den bedrohlichen, abschreckenden Wald. Vielleicht aber auch nicht.

Vor ihnen, inmitten des dichten Gewirrs, brach Licht durch die Bäume, Sonnenlicht, und das Geräusch fließenden Wassers war zu hören. Je weiter sie gingen, desto heller wurde es. Kurz darauf hatten sie den Rand des finsteren Waldes erreicht. Der Pfad hörte einfach auf. Samuel gurgelte vor Wonne.

Weit unter ihnen breitete sich leuchtend grün und sonnendurchflutet ein langes Tal aus. Gigantische Felsgipfel ragten auf allen Seiten fast senkrecht empor. Felder mit goldenen Gräsern, unterbrochen von kleinen Eichen-, Buchen- und Ahornwäldchen, wiegten sich im Wind. Im dunklen Wald, dort wo sie standen, war es fast, als blickte man aus der Nacht hinaus in den Tag. Wasser stürzte ringsum von den Felsen die senkrechte Wand hinab und verschwand geräuschlos im Nichts, bis es weit unten die klaren Becken und Bachläufe erreichte, von wo ein fernes Donnern und Zischen heraufdrang. Ein feiner Gischtnebel legte sich feucht auf ihre Gesichter.

Samuel zeigte hinunter ins Tal. »Die Herrin.«

Richard nickte und ließ ihn weitergehen. Samuel führte ihn durch ein Labyrinth aus Unterholz, dichtstehenden Bäumen und farnbedeckten Felsen zu einer Stelle, die Richard ohne seinen kleinen Führer niemals gefunden hätte: ein Pfad, der, hinter Felsen und Schlingpflanzen versteckt, vom Rande eines steilen Abgrundes die Talwand hinabführte. Während des Abstiegs bot sich vom Pfad aus ein weiter Blick auf die wunderschöne Landschaft unten im Taclass="underline" Unter dem strahlend blauen Himmel wirkten die Bäume, die in Grüppchen auf sanft geschwungenen Hügeln standen, winzig, und Bäche mäanderten durch die Felder.

In der Mitte all dessen, im Zentrum eines Teppichs aus Riesenbäumen, stand ein wunderschöner Palast von atemberaubender Eleganz und Pracht. Zarte Türmchen reckten sich in den Himmel, gehauchte Brücken überspannten die hohe Kluft zwischen den Zinnen, Treppen ringelten sich um Türmchen. Bunte Fahnen und Wimpel über jeder Spitze flatterten leise knatternd im Wind. Der gesamte großartige Bau schien freudig in den Himmel reichen zu wollen. Richard blieb einen Augenblick lang mit offenem Mund stehen und konnte kaum glauben, was er sah. Er liebte sein Zuhause, das Kernland, aber etwas Vergleichbares gab es dort nicht. Dies war schlicht und einfach der schönste Ort, den er je gesehen hatte. Nie hätte er sich träumen lassen, daß ein Ort von solch außergewöhnlicher Pracht überhaupt existierte.