»Ich habe von Pater Fernando geträumt«, sagte er.
»Nur, daß er in meinem Traum als Jäger gekleidet war und einen erlegten Bären neben sich liegen hatte, der glänzte wie lauteres Gold.«
»Und was soll das?«
»Wenn Freud recht hat, bedeutet das, daß uns der Geistliche möglicherweise einen Bären aufgebunden hat.«
»Mir kam er ehrlich vor.«
»Eigentlich schon. Vielleicht zu ehrlich, als es für ihn gut ist. Geistliche mit einem Hang zum Heiligen schickt man irgendwann alle in die Mission, wo sie dann von Moskitos oder Piranhas aufgefressen werden.«
»So schlimm wird’s wohl nicht sein.«
»Was haben Sie für eine gesegnete Unschuld, Daniel. Sie glauben ja noch an die Geschichte vom Mäuschen und dem Zahn. Also, nur ein kleines Beispieclass="underline" Dieser Schwindel von Miquel Moliner, den Ihnen Nuria Monfort da verzapft hat. Ich habe den Eindruck, dieses Frauenzimmer hat Ihnen mehr Lügen aufgetischt als die Meinungsseite des Osservatore Romano. Jetzt soll sie also mit einem Jugendfreund von Aldaya und Carax verheiratet sein, sieh mal einer an. Und dazu haben wir noch die Geschichte von Jacinta, der guten Kinderfrau, die ja sein mag, aber mir riecht sie allzusehr nach Rührstück. Ganz zu schweigen von Fumeros Starauftritt in der Rolle des Killers.«
»Sie glauben also, Pater Fernando hat uns angeschwindelt?«
»Nein. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß er ehrlich wirkt, aber das Ordensgewand wiegt schwer, und womöglich hat er sich nicht ins Meßbuch gucken lassen wollen, um es mal so zu sagen. Ich glaube, wenn er uns angekohlt hat, dann aus Unterlassung oder Anstand, nicht um uns eins auszuwischen oder aus Bosheit. Zudem halte ich ihn nicht für fähig, einen solchen Schwindel zu erdichten. Wenn er besser lügen könnte, würde er nicht Algebra und Latein unterrichten, er säße längst im Bistum, mit einem Kardinalsbüro und frischen Marzipanbaisers zum Kaffee.«
»Was sollen wir also tun?«
»Früher oder später werden wir die Mumie des Engelsgroßmütterchens ausgraben und an den Knöcheln schütteln müssen, um zu sehen, was dabei rauskommt. Einstweilen werde ich an einigen Fäden ziehen, vielleicht kriege ich über diesen Miquel Moliner etwas heraus. Und es wäre auch nicht überflüssig, ein Auge auf Nuria Monfort zu werfen, ich glaube, es zeigt sich immer deutlicher, daß sie das ist, was meine verstorbene Mutter eine Schlange genannt hat.«
»Sie irren sich in ihr«, sagte ich.
»Ihnen braucht man nur zwei hübsch gewachsene Brüste zu zeigen, und schon glauben Sie, Sie haben die heilige Theresia von Avila gesehen, wofür es in Ihrem Alter eine Entschuldigung, wenn nicht Abhilfe gibt. Überlassen Sie sie mir, Daniel, mich macht der Wohlgeruch des ewig Weiblichen nicht mehr so verrückt wie Sie. In meinen Jahren wird die Durchblutung des Kopfes wichtiger als die der Weichteile.«
»Das sagen ausgerechnet Sie.« Fermín zog seinen Geldbeutel hervor und begann den Inhalt zu zählen.
»Sie haben ja ein Vermögen dabei«, sagte ich.
»Und all das ist vom Wechselgeld heute früh übriggeblieben?«
»Zum Teil. Der Rest ist rechtens. Heute führe ich eben meine Bernarda aus. Dieser Frau kann ich einfach nichts abschlagen. Notfalls überfalle ich die Bank von Spanien, um ihr all ihre Launen zu erfüllen. Was haben denn Sie vor für den Rest des Tages?«
»Nichts Besonderes.«
»Und dieses Mädchen, na?«
»Welches Mädchen?«
»Die mit dem schauerlichen Dutt. Welches Mädchen wohl — Aguilars Schwester natürlich!«
»Ich weiß nicht.«
»Wissen tun Sie’s schon, aber was Sie machen, das ist, auf gut deutsch, den Schwanz zwischen die Beine kneifen, statt den Stier bei den Hörnern zu packen.« Auf diese Worte hin kam mit müdem Gesicht und zwischen den Lippen kunstvoll tanzendem Zahnstocher der Schaffner auf uns zu und sagte:
»Sie entschuldigen, aber die Damen dort bitten Sie, etwas züchtigere Worte zu gebrauchen.«
»Die können sich ja verpissen, wenn’s ihnen nicht paßt«, sagte Fermín laut.Achselzuckend wandte sich der Schaffner zu den drei Frauen um, womit er ihnen zu verstehen gab, daß er alles in seiner Macht Stehende getan habe und nicht bereit sei, sich wegen einer Frage der Wortwahl eine Ohrfeige einzuhandeln.
»Daß sich Leute, die kein Leben haben, immer in dasjenige der andern einmischen müssen«, murmelte Fermín.
»Wo waren wir stehengeblieben?«
»Bei meinem fehlenden Mut.«
»Eben. Ein chronischer Fall. Hören Sie auf mich. Gehen Sie, holen Sie Ihr Mädchen, das Leben vergeht im Flug, vor allem der lebenswerte Teil. Sie haben ja gehört, was der Geistliche gesagt hat. Aus den Augen, aus dem Sinn.«
»Aber es ist doch gar nicht mein Mädchen.«
»Dann erobern Sie sie eben, bevor ein anderer sie Ihnen wegschnappt, besonders so ein kleiner Zinnsoldat.«
»Sie reden von Bea, als wäre sie eine Trophäe.«
»Nein, als wäre sie ein Segen«, sagte Fermín.
»Passen Sie auf, Daniel. Das Schicksal lauert immer gleich um die Ecke — wie ein Dieb, eine Nutte oder ein Losverkäufer, seine drei trivialsten Verkörperungen. Hausbesuche macht es hingegen keine. Man muß sich schon zu ihm bemühen.« Auf dem Rest der Fahrt dachte ich über diese philosophische Perle nach, während Fermín ein weiteres begnadetes Nickerchen machte. An der Ecke Gran Vía/Paseo de Gracia stiegen wir unter einem aschfarbenen, das Licht verschluckenden Himmel aus. Fermín knöpfte seinen Mantel bis an die Gurgel hinauf zu und verkündete, er laufe nun eiligst in seine Pension, um sich für das Rendezvous mit der Bernarda herauszuputzen.
»Sie müssen wissen, daß mit einem höchst bescheidenen Aussehen wie meinem unter anderthalb Stunden Toilette kein Staat zu machen ist. Es gibt keinen Geist ohne Gestalt, das ist die traurige Wirklichkeit dieser gauklerischen Zeiten. Vanitas peccatum mundi.« Durch die Gran Vía sah ich diese Andeutung von einem Männchen davoneilen, in seinen grauen Mantel eingemummelt, der flatterte wie eine verschossene Fahne im Wind. Ich machte mich auf den Heimweg, um mich zu Hause mit einem guten Buch vor der Welt zu verstecken. Als ich von der Puerta del Ángel in die Calle Santa Ana einbog, blieb mir das Herz stehen. Wie immer hatte Fermín recht gehabt: In grauem Kostüm, neuen Schuhen und Seidenstrümpfen wartete vor der Buchhandlung das Schicksal auf mich und betrachtete sein Spiegelbild in der Schaufensterscheibe.
»Mein Vater glaubt, ich bin in der Zwölf-Uhr-Messe«, sagte Bea, ohne ihr Bild aus den Augen zu lassen.
»Das bist du ja sozusagen auch. In der Kirche Santa Ana, weniger als zwanzig Meter von hier, läuft seit neun Uhr eine Dauervorstellung.« Wir unterhielten uns wie zwei Unbekannte, die zufällig vor einem Schaufenster stehengeblieben waren, und suchten in der Scheibe unseren Blick.
»Da gibt es nichts zu witzeln. Ich habe ein Sonntagsblatt studieren müssen, um zu sehen, wovon die Predigt handelt. Später wird er von mir verlangen, daß ich sie ihm ausführlich zusammenfasse.«
»Deinem Vater entgeht nichts.«
»Er hat geschworen, dir die Beine zu brechen.«
»Vorher wird er herauskriegen müssen, wer ich bin. Und solange sie noch intakt sind, laufe ich schneller als er.« Sie sah mich angespannt an und schielte immer wieder über die Schulter hinweg nach den Passanten, die hinter uns vorbeiglitten.
»Ich weiß nicht, worüber du lachst«, sagte sie.
»Es ist ihm Ernst damit.«
»Ich lache nicht. Ich bin halb tot vor Angst. Ich freue mich einfach, dich zu sehen.« Ein Lächeln auf halbmast, nervös, flüchtig.
»Ich mich auch.«
»Das sagst du, als wäre es eine Krankheit.«
»Es ist schlimmer als das. Ich dachte, wenn ich dich im Tageslicht wiedersehen würde, käme ich vielleicht zur Vernunft.« Ich fragte mich, ob das ein Kompliment oder eine Mißbilligung war.