Выбрать главу

»Nachdem ich dich gestern abend verlassen hatte, habe ich Pablo einen Brief geschrieben«, sagte Bea.Ich schluckte.

»Deinem Verlobten, dem Leutnant? Wozu?« Sie zog einen Umschlag hervor und zeigte ihn mir. Er war verschlossen und versiegelt.

»In dem Brief sage ich ihm, daß ich sobald wie möglich heiraten will, in einem Monat, wenn es geht, und daß ich für immer von Barcelona weg will.« Beinahe zitternd suchte ich ihren undurchdringlichen Blick.

»Warum erzählst du mir das?«

»Damit du mir sagst, ob ich ihn abschicken soll oder nicht. Darum habe ich dich heute hierherkommen lassen, Daniel. Sieh mich an.« Ich schaute auf und hielt ihrem Blick stand. Ich wußte keine Antwort. Bea senkte die Augen und entfernte sich zum andern Ende des Saals. Eine Tür führte zu einer Marmorbalustrade, die sich auf den Hof öffnete. Ich sah, wie ihre Gestalt mit dem Regen verschmolz, eilte ihr nach, um sie aufzuhalten, und riß ihr den Umschlag aus den Händen. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht und fegte Tränen und Wut hinweg. Ich brachte sie ins Haus zurück und zog sie vor das wärmende Feuer. Sie mied meinen Blick. Da warf ich den Umschlag in die Flammen. Wir schauten zu, wie er verbrannte und sich in blaue Rauchspiralen auflöste. Mit Tränen in den Augen kniete Bea neben mir nieder. Ich umarmte sie und spürte ihren Atem am Hals.

»Laß mich nicht fallen, Daniel«, flüsterte sie.Der weiseste Mann, den ich je kennengelernt hatte, Fermín Romero de Torres, hatte mir einmal erklärt, es gebe keine Erfahrung im Leben, die derjenigen vergleichbar sei, zum ersten Mal eine Frau auszuziehen. Er hatte mich nicht belogen, er hatte mir aber auch nicht die ganze Wahrheit gesagt. Er hatte mir nichts erzählt von dem seltsamen Zittern der Hände, das jeden Knopf, jeden Reißverschluß zu einem Hindernis machte. Er hatte mir nichts gesagt von dem Zauber der blassen Haut, von der ersten zitternden Berührung der Lippen. Von alledem hatte er mir nichts erzählt, weil er wußte, daß sich das Wunder nur einmal ereignet und dabei eine Sprache der Geheimnisse spricht, die, haben sie sich einmal zu erkennen gegeben, für immer verfliegen. Tausende Male habe ich diese erste Begegnung mit Bea in dem Haus in der Avenida del Tibidabo, wo das Prasseln des Regens die Welt mit sich forttrug, auferstehen lassen wollen. Tausende Male habe ich zurückkehren und mich in einer Erinnerung verlieren wollen, von der ich kaum ein klares Bild zustande bringe. Bea, nackt und regenglänzend vor dem Feuer liegend. Ich beugte mich über sie und ließ die Fingerspitzen über die Haut ihres Bauches gleiten. Sie senkte den Blick und lächelte, sicher und stark.Es war dunkel geworden, als wir das Haus verließen. Vom Gewitter war nur noch ein schwacher, kalter Sprühregen geblieben. Ich wollte Bea den Schlüssel zurückgeben, aber sie bedeutete mir mit einem Blick, ich solle ihn behalten. Schweigend, Hand in Hand und ohne uns anzuschauen, gingen wir zum Paseo de San Gervasio hinunter, in der Hoffnung, dort ein Taxi oder einen Bus zu finden.

»Ich kann dich erst am Dienstag wiedersehen«, sagte Bea mit dünner Stimme, als zweifelte sie plötzlich an meinem Wunsch, sie ebenfalls wiederzusehen.

»Ich werde dich hier erwarten«, sagte ich.Ich hielt es für ausgemacht, daß nun alle Treffen mit Bea im Gemäuer dieses alten Hauses stattfänden, daß der Rest der Stadt nicht uns gehörte. Mir schien, mit jedem Schritt, den wir uns von dort entfernten, werde ihr Händedruck schwächer und kühler. Als wir den Paseo de Gervasio erreichten, stellten wir fest, daß die Straßen praktisch menschenleer waren.

»Hier werden wir nichts finden«, sagte Bea.

»Wir gehen besser die Balmes hinunter.« Entschlossenen Schrittes bogen wir in die Balmes ein und marschierten unter den Baumkronen dahin, um uns vor dem Nieselregen zu schützen — und vielleicht auch davor, daß sich unsere Blicke trafen. Ich hatte den Eindruck, Bea gehe immer schneller, ziehe mich beinahe mit. Einen Moment lang dachte ich, wenn ich ihre Hand loslasse, würde sie davonlaufen. Meine Fantasie, noch randvoll von der Berührung und dem Geschmack ihres Körpers, brannte im Wunsch, sie auf eine Bank zu drücken, sie zu küssen, ihr all die Dummheiten zuzuraunen, die einem Fremden nur komisch vorgekommen wären. Aber Bea war nicht mehr wirklich da. Irgend etwas nagte an ihr, still und dennoch ganz laut.

»Was ist denn?« fragte ich leise.Sie antwortete mit einem ängstlichen Lächeln. Da sah ich mich selbst durch ihre Augen: ein noch völlig argloses Bürschchen, das glaubte, in einer Stunde die Welt erobert zu haben, und noch nicht wußte, daß sie ihm in einer Minute wieder abhanden kommen konnte. Ich ging weiter, ohne eine Antwort zu erwarten, endlich erwachend. Kurz darauf waren Verkehrsgeräusche zu hören, und die Luft schien sich zu entzünden wie eine Gasblase in der Wärme von Straßenlaternen und Ampeln.

»Besser, wir trennen uns hier«, sagte Bea und ließ meine Hand los.An der Ecke erkannte man die Lichter eines Taxistandes, eine lange Reihe Glühwürmchen.

»Wie du meinst.« Sie beugte sich zu mir hin und streifte mit den Lippen meine Wange. Ihr Haar roch nach Wachs.

»Bea«, begann ich, fast unhörbar, »ich liebe dich…« Sie schüttelte schweigend den Kopf und verschloß mir mit den Fingern die Lippen, als hätten meine Worte sie verletzt.

»Dienstag um sechs, einverstanden?« fragte sie.Wieder nickte ich. Ich sah sie davongehen und in einem Taxi verschwinden, fast eine Unbekannte. Einer der Fahrer, der das Gespräch mit scharfen Augen verfolgt hatte, sah mich neugierig an.

»Na, geht’s nach Hause, Chef?« Gedankenlos setzte ich mich in seinen Wagen. Im Rückspiegel beobachteten mich die Augen des Fahrers. Das Taxi, das mit Bea davonfuhr, zwei leuchtende Punkte, verlor sich in der Schwärze.

15

Ich konnte nicht einschlafen, bis der Morgen mein Fenster mit hundert Grautönen übergoß, einer betrüblicher als der andere. Fermín, der vom Kirchplatz aus Steinchen an meine Scheibe warf, weckte mich. Ich zog das Erstbeste an, was ich fand, und ging hinunter, um ihm zu öffnen. Er brachte seine unerträgliche Montagmorgenbegeisterung mit. Wir zogen das Gitter hoch und hängten das Schild Offen hinaus.

»Sie haben vielleicht Ringe um die Augen, Daniel. Groß wie ein Baugrundstück. Man sieht, daß Sie den Stier bei den Hörnern gepackt haben.«

Im Hinterraum band ich mir meinen blauen Kittel um und reichte ihm den seinen — besser gesagt, ich warf ihn ihm ingrimmig zu. Fermín schnappte ihn sich im Flug, ganz verschmitztes Grinsen.

»Eher hat mich der Stier auf die Hörner genommen«, sagte ich.

»Überlassen Sie die geistreichen Sprüche Don Ramón Gómez de la Serna, Ihre leiden an Anämie. Na los, erzählen Sie.«

»Was soll ich denn erzählen?«

»Das überlasse ich Ihnen. Die Anzahl Degenstiche oder die Ehrenrunden in der Arena.«

»Mir ist nicht nach Witzen, Fermín.«

»O Jugend, Blüte der Einfalt. Kommen Sie, ärgern Sie sich nicht über mich — ich habe brandaktuelle Nachrichten bezüglich unserer Ermittlungen über Ihren Freund Julián Carax.«

»Ich bin ganz Ohr.« Er warf mir seinen CIA-Blick zu, eine Braue in die Höhe gezogen, die andere wachsam.

»Nun, nachdem ich gestern die Bernarda mit intakter Keuschheit, aber zwei saftigen blauen Flecken am Gesäß nach Hause gebracht hatte, habe ich von wegen Abendlatte eine Schlaflosigkeitsattacke erlitten und diesen Umstand genutzt, um eine der Informationsstellen der Barceloneser Unterwelt aufzusuchen, nämlich die Schenke von Eliodoro Salfumán alias Kaltschwanz, ein ungesundes, aber sehr pittoreskes Lokal in der Calle Sant Jeroni, Stolz und Seele des Raval.«

»Machen Sie es um Gottes willen kurz, Fermín.«

»Bin schon dabei. Also, dort angekommen, habe ich mich bei einigen der Stammgäste, alten Leidensgenossen, eingeschmeichelt und über diesen Miquel Moliner zu ermitteln begonnen, den Mann ihrer Mata Hari Nuria Monfort und angeblichen Insassen der Stadtpensionate.«