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»Ich beichte seit Jahren nicht mehr.«

»Das sieht man dir an.«

19

Das Kinn auf die wie zum Beten gefalteten Hände und die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, hörte mir Gustavo Barceló zu. Hin und wieder nickte er, als würde er im Verlauf meiner Erzählung Details und kleine Fehler entdecken und sich sein eigenes Urteil über die Ereignisse bilden, die ich ihm auf dem silbernen Tablett servierte. Immer wenn ich innehielt, zog er forschend die Brauen in die Höhe und bedeutete mir mit der rechten Hand, in meiner wirren Geschichte fortzufahren, die ihn außerordentlich zu amüsieren schien. Gelegentlich machte er sich kurze Notizen oder schaute ins Unendliche, als wollte er die Bedeutung dessen abschätzen, was ich da erzählte. Meistens lächelte er sardonisch, was ich sogleich meiner Naivität oder meinen plumpen Vermutungen zuschrieb.

»Hören Sie, wenn Sie das blöd finden, schweige ich.«

»Im Gegenteil. Der Tor spricht, der Feige schweigt, der Weise hört zu.«

»Wer hat das gesagt? Seneca?«

»Nein. Señor Braulio Recolons, der in der Calle Aviñón eine Schweinemetzgerei hat und nicht nur für die Wurst, sondern auch für den geistreichen Aphorismus eine sprichwörtliche Gabe besitzt. Erzähle bitte weiter. Du hast eben von diesem temperamentvollen Mädchen gesprochen…«

»Bea. Das geht nur mich etwas an und hat nichts mit allem andern zu tun.« Barceló lachte leise. Ich wollte gerade die Schilderung meiner Abenteuer fortsetzen, als Dr. Soldevila vor Müdigkeit stöhnend den Kopf zur Tür hereinstreckte.

»Entschuldigen Sie. Ich verziehe mich jetzt. Dem Patienten geht es gut, und er sprüht vor Energie, wenn die Metapher erlaubt ist. Dieser Herr wird uns noch alle überleben. Er behauptet doch tatsächlich, die Beruhigungsmittel seien ihm in den Kopf gestiegen und er sei ganz nervös. Er weigert sich, sich auszuruhen, und will unbedingt mit Señor Daniel über Dinge sprechen, deren Natur er mir nicht enthüllen mag.«

»Wir gehen gleich zu ihm. Und entschuldigen Sie den armen Fermín.«

»Schon gut. Aber er will einfach nicht aufhören, die Krankenschwester in den Hintern zu kneifen und Reime über die straffen Rundungen ihrer Schenkel zum besten zu geben.« Wir geleiteten den Arzt und die Schwester zur Tür und dankten ihnen herzlich für ihre guten Dienste. Als wir das Zimmer betraten, sahen wir, daß sich die Bernarda entgegen Barcelós Befehlen nun doch neben Fermín ins Bett gelegt hatte, wo der Schrecken, der Brandy und die Erschöpfung sie endlich hatten einschlafen lassen. Eingepackt in Binden, Verbände und Schlingen, hielt Fermín sie sanft in den Armen und streichelte ihr übers Haar. Sein Gesicht war eine einzige Quetschung — allein das Anschauen tat weh. Man sah die kolossale Nase, zwei Tellerohren und Augen wie von einem geschlagenen Mäuschen; das zahnlose Lächeln war von Wunden verzerrt, aber triumphierend, und als er uns eintreten sah, machte er mit der Rechten das Siegeszeichen.

»Wie geht es Ihnen, Fermín?« fragte ich.

»Zwanzig Jahre jünger.« Er sprach leise, um die Bernarda nicht zu wecken.

»Übertreiben Sie mal nicht, Sie sehen miserabel aus. Da kriegt man ja einen Schreck. Sind Sie sicher, daß es Ihnen gutgeht? Dreht sich Ihnen nicht der Kopf? Hören Sie keine Stimmen?«

»Jetzt, wo Sie es sagen, kommt’s mir vor, als hätte ich ab und zu ein dissonantes, arhythmisches Gebrummel gehört, als wollte ein Affe Klavier spielen.« Barceló runzelte die Stirn. In der Ferne klimperte Clara noch immer.

»Machen Sie sich keine Sorgen, Daniel. Ich habe schon schlimmere Prügel weggesteckt. Dieser Fumero kann ja nicht mal eine Briefmarke aufkleben.«

»Dann hat Ihnen also dieser Inspektor Fumero ein neues Gesicht verpaßt«, sagte Barceló.

»Sie beide bewegen sich ja in gehobenen Kreisen.«

»Soweit war ich mit meiner Geschichte noch gar nicht gekommen«, sagte ich.Fermín warf mir einen alarmierten Blick zu.

»Kein Grund zur Beunruhigung, Fermín. Daniel ist dabei, mir diesen Schwank zu schildern, in dem Sie beide stecken. Ich muß gestehen, die Sache ist hochinteressant. Und Sie, Fermín, wie steht es mit Ihren Beichten? Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich zwei Jahre Priesterseminar auf dem Buckel habe.«

»Ich hätte Ihnen mindestens drei gegeben, Don Gustavo.«

»Alles verliert sich, als erstes die Scham. Da kommen Sie zum ersten Mal in mein Haus und landen gleich bei der Haushälterin im Bett.«

»Schauen Sie sie doch an, das arme Geschöpfchen, mein Engel. Sie sollen wissen, daß meine Absichten ehrenwert sind, Don Gustavo.«

»Ihre Absichten sind Ihre Angelegenheit und die der Bernarda, die ja kein kleines Mädchen mehr ist. Und nun sagen Sie mal — in was für Nesseln haben Sie sich da gesetzt?«

»Was haben Sie ihm erzählt, Daniel?«

»Wir sind bis zum zweiten Akt gekommen: Auftritt der Femme fatale«, erklärte Barceló.

»Nuria Monfort?« fragte Fermín.Barceló schnalzte genüßlich mit der Zunge.

»Gibt es denn mehr als eine? Das ist ja wie die Entführung aus dem Serail.«

»Sprechen Sie in Anwesenheit meiner Verlobten bitte leiser.«

»Seien Sie unbesorgt, Ihre Verlobte hat eine halbe Flasche Lepanto-Brandy in den Adern, die bekämen wir nicht mal mit Kanonendonner wach. Los, sagen Sie Daniel schon, er soll mir den Rest erzählen. Drei Köpfe denken besser als zwei, vor allem wenn der dritte mir gehört.« Es sah aus, als zuckte Fermín zwischen Verbänden und Schlingen die Schultern.

»Ich habe nichts dagegen. Entscheiden Sie, Daniel.« Da ich mich damit abgefunden hatte, Don Gustavo an Bord Zu haben, setzte ich meine Erzählung fort bis zu dem Punkt, an dem uns Fumero und seine Leute in der Calle Montcada erwischt hatten, ein paar Stunden zuvor. Als ich fertig war, stand Barceló auf und ging grübelnd im Zimmer auf und ab. Fermín und ich beobachteten ihn besorgt. Die Bernarda sägte Bretter.

»Das süße Kindchen«, raunte Fermín verzückt.

»Mehreres fällt mir auf«, sagte der Buchhändler schließlich.

»Ganz offensichtlich steckt Inspektor Fumero bis über beide Ohren in der Sache drin, wenn ich auch nicht weiß, wie und warum. Auf der einen Seite gibt es da diese Frau…«

»Nuria Monfort.«

»Dann gibt es den Aspekt von Julián Carax’ Rückkehr nach Barcelona und seiner Ermordung mitten auf der Straße nach einem Monat, in dem niemand etwas von ihm weiß. Die junge Dame lügt sogar übers Wetter das Blaue vom Himmel herunter.«

»Das sage ich ja schon von Anfang an«, sagte Fermín.

»Aber eben, da ist viel jugendliche Geilheit im Spiel und wenig Überblick.«

»Hört, hört — der heilige Johannes vom Kreuz.«

»Das reicht, keinen Streit bitte. Halten wir uns an die Tatsachen. Bei dem, was mir Daniel erzählt hat, gibt es etwas, was mir sehr merkwürdig erscheint, mehr noch als alles andere, und nicht weil diese ganze Geschichte so nach Hintertreppenroman riecht, sondern wegen eines wesentlichen, obwohl scheinbar banalen Details«, sagte Barceló.

»Lassen Sie uns staunen, Don Gustavo.«

»Daß Carax’ Vater sich weigerte, Carax’ Leiche zu identifizieren, mit der Begründung, er habe keinen Sohn. Sehr merkwürdig, widernatürlich. Kein Vater auf der Welt tut so etwas. Auch wenn sie sich nicht gut vertrugen. Sobald der Tod im Spiel ist, erwacht bei allen die Gefühlsduselei. Angesichts eines Sarges sehen wir nur noch das Gute oder das, was wir sehen wollen.«

»Was für ein Bonmot, Don Gustavo«, sagte Fermín.

»Darf ich es in meine Sammlung aufnehmen?«

»Es gibt immer Ausnahmen«, warf ich ein.

»Nach dem, was wir wissen, war Señor Fortuny ein wenig eigen.«

»Alles, was wir über ihn wissen, stammt aus dritter Hand«, sagte Barceló.

»Das einzige, was bei alledem wirklich klar ist, ist, daß Sie meine logistische und wahrscheinlich auch finanzielle Hilfe brauchen, wenn Sie dieses Durcheinander lösen wollen, bevor Ihnen Inspektor Fumero eine Suite in der San-Sebastián-Strafanstalt reserviert. Fermín, ich nehme an, Sie gehen einig mit mir?«