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»Hast du diese Person gekannt? Nuria Monfort?«

»Ich habe zweimal mit ihr gesprochen.« Meine Unaufrichtigkeit schmeckte ekelhaft. Noch verfolgten mich ihr Geruch und die leichte Berührung ihrer Lippen, das Bild des säuberlich aufgeräumten Schreibtischs und ihr trauriger, wissender Blick.

»Warum hast du denn mit ihr sprechen müssen? Was hatte sie mit dir zu tun?«

»Sie war eine alte Freundin von Julián Carax. Ich bin zu ihr gegangen, um sie zu fragen, was sie von Carax noch in Erinnerung hatte. Das ist alles. Sie war die Tochter von Isaac, dem Aufseher. Er hat mir ihre Adresse gegeben.«

»Hat Fermín sie gekannt?«

»Nein.«

»Wie kannst du da so sicher sein?«

»Wie kannst du an ihm zweifeln und diesen Verleumdungen in der Zeitung Glauben schenken? Das einzige, was Fermín von dieser Frau wußte, ist das, was ich ihm erzählt habe.«

»Und darum ist er ihr gefolgt?«

»Ja.«

»Weil du ihn darum gebeten hast.« Ich schwieg. Mein Vater seufzte.

»Du verstehst es nicht, Papa.«

»Natürlich nicht. Ich verstehe weder dich noch Fermín, noch…«

»Papa, auf Grund dessen, was wir von Fermín wissen, kann nicht sein, was da steht.«

»Und was wissen wir von Fermín, na? Zunächst einmal haben wir nicht einmal seinen richtigen Namen gekannt, wie sich jetzt herausstellt.«

»Du irrst dich in ihm.«

»Nein, Daniel. Du bist es, der sich irrt, und zwar in vielem. Wer heißt dich denn im Leben der Leute herumwühlen?«

»Ich bin frei, zu sprechen, mit wem ich will.«

»Vermutlich fühlst du dich auch frei von den Konsequenzen.«

»Willst du etwa andeuten, ich sei verantwortlich für den Tod dieser Frau?«

»Diese Frau, wie du dich ausdrückst, hatte einen Vor- und einen Familiennamen, und du hast sie gekannt.«

»Du brauchst mich nicht daran zu erinnern«, antwortete ich mit Tränen in den Augen.Mein Vater schaute mich traurig an.

»Mein Gott, ich mag nicht daran denken, wie dem armen Isaac zumute ist«, murmelte er zu sich selbst.

»Ich bin nicht schuld an diesem Tod«, sagte ich mit dünner Stimme und dachte, wenn ich es nur oft genug wiederholte, würde er es mir am Ende vielleicht glauben.Kopfschüttelnd zog sich mein Vater in den Hinterraum zurück.

»Du wirst wissen, wofür du verantwortlich bist und wofür nicht, Daniel. Manchmal weiß ich nicht mehr, wer du bist.« Ich nahm meinen Mantel und ging auf die Straße in den Regen hinaus, wo mich niemand kannte und in meiner Seele lesen konnte.Ziellos überließ ich mich dem eisigen Regen. Ich ging mit gesenkten Augen dahin, das Bild Nuria Monforts im Kopf, die leblos und den Körper voller Dolchstiche auf einer kalten Marmorfliese lag. Bei jedem Schritt verflüchtigte sich die Stadt um mich herum. An einer Kreuzung in der Calle Fontanella achtete ich nicht einmal auf die Ampel. Plötzlich sah ich eine dröhnende Wand aus Licht auf mich zustürzen, spürte einen kalten Windstoß im Gesicht. Im letzten Moment riß mich ein Passant hinter mir zurück. Wenige Zentimeter vor meinen Augen sah ich den blitzenden Rumpf des Busses, den sicheren Tod um eine Zehntelsekunde an mir vorbeirasen. Als mir bewußt wurde, was geschehen war, ging der Passant, der mir das Leben gerettet hatte, schon auf dem Fußgängerstreifen davon, eine Gestalt in grauem Mantel. Ich blieb atemlos und wie angewurzelt stehen. Im trügerischen Regen konnte ich erkennen, daß mein Retter auf der andern Straßenseite stehengeblieben war und mich beobachtete. Es war der dritte Polizist, Palacios. Eine Mauer von Verkehr rauschte zwischen uns hindurch, und als ich wieder hinschaute, war Palacios nicht mehr da.Ich schlug den Weg zu Bea ein, unfähig, noch länger zu warten. Ich mußte mich unbedingt an das wenige Gute in mir erinnern, das, was sie mir gegeben hatte. Ich hastete die Treppe hinauf und blieb atemlos vor der Tür der Aguilars stehen. Kräftig ließ ich den Klopfer dreimal gegen die Tür fallen. Beim Warten wappnete ich mich mit Mut, und mir wurde bewußt, wie ich aussah — naß bis auf die Knochen. Ich strich mir die Haare aus der Stirn und dachte, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wenn Señor Aguilar erscheint, um mir die Beine zu brechen und den Schädel einzuschlagen, dann am besten gleich. Erneut klopfte ich, und kurz darauf hörte ich Schritte näher kommen. Das Guckloch ging ein wenig auf. Ein dunkler, argwöhnischer Blick beobachtete mich.

»Wer ist da?« Ich erkannte die Stimme Cecilias, eines der Dienstmädchen der Familie Aguilar.

»Ich bin’s, Daniel Sempere, Cecilia.« Das Guckloch schloß sich, und nach einigen Sekunden setzte das Konzert von Schlössern und Riegeln ein, die den Eingang panzerten. Langsam ging die schwere Tür auf, und Cecilia empfing mich in Haube und Schürze und mit einer dicken Kerze in einem Halter. Aus ihrem alarmierten Gesicht schloß ich, daß ich einen leichenhaften Anblick bot.

»Guten Tag, Cecilia. Ist Bea da?« Verständnislos schaute sie mich an. Im bekannten internen Protokoll wurde mein Erscheinen, in letzter Zeit ohnehin ein unübliches Ereignis, einzig mit Tomás assoziiert, meinem ehemaligen Schulkollegen.

»Señorita Bea ist nicht da…«

»Ist sie ausgegangen?« Cecilia, lebenslänglich an ihre Schürze geheftete Verschüchterung, nickte.

»Weißt du, wann sie zurückkommt?« Sie zuckte die Achseln.

»Sie ist vor etwa zwei Stunden mit den Herrschaften zum Arzt gegangen.«

»Zum Arzt? Ist sie krank?«

»Ich weiß es nicht, Señorito.«

»Zu welchem Arzt sind sie denn gegangen?«

»Das weiß ich nicht, Señorito.« Ich mochte das arme Mädchen nicht weiter quälen. Die Abwesenheit von Beas Eltern eröffnete mir andere Wege der Nachforschung.

»Und Tomás, ist er zu Hause?«

»Ja, Señorito. Kommen Sie herein, ich melde Sie an.« Ich trat in die Diele und wartete. In andern Zeiten wäre ich direkt ins Zimmer meines Freundes gegangen, aber ich war schon so lange nicht mehr hergekommen, daß ich mich wieder als Fremder fühlte. Cecilia verschwand im Licht des Flurs und ließ mich im Dunkeln stehen. Ich glaubte, in der Ferne Tomás’ Stimme zu hören und dann Schritte, die näher kamen. Ich improvisierte eine Entschuldigung, um vor meinem Freund den unvorhergesehenen Besuch zu rechtfertigen. Die Gestalt, die auf der Schwelle zur Diele erschien, war abermals das Dienstmädchen. Cecilia blickte mich zerknirscht an, und mein plumpes Lächeln löste sich in nichts auf.

»Señorito Tomás sagt, er sei sehr beschäftigt und könne Sie jetzt nicht empfangen.«

»Hast du ihm gesagt, wer ich bin? Daniel Sempere.«

»Ja, Señorito. Er hat gesagt, ich soll Ihnen sagen, Sie sollen gehen.«

In meinem Magen breitete sich eine Kälte aus, die mir den Atem abschnitt.

»Es tut mir leid, Señorito«, sagte Cecilia.

Ich nickte und wußte nicht, was sagen. Das Mädchen öffnete die Tür der Wohnung, die ich vor nicht allzu langer Zeit noch als mein zweites Zuhause betrachtet hatte.

»Möchte der Señorito einen Schirm?«

»Nein, danke, Cecilia.«

»Es tut mir leid, Señorito«, wiederholte sie.Ich lächelte ihr kraftlos zu.

»Mach dir keine Sorgen, Cecilia.«

Die Tür ging zu, und ich stand im Dunkel. Ich verharrte einige Sekunden und schleppte mich dann treppab. Draußen goß es immer stärker. Ich ging die Straße hinunter. Als ich an die Ecke kam, blieb ich stehen und schaute einen Moment zurück, zur Wohnung der Aguilars hinauf. Im Fenster seines Zimmers zeichnete sich die Silhouette meines alten Freundes Tomás ab. Er schaute mich reglos an. Ich winkte ihm zu, doch er erwiderte den Gruß nicht. Nach kurzer Zeit zog er sich ins Innere zurück. Ich wartete etwa fünf Minuten in der Hoffnung, ihn noch einmal erscheinen zu sehen, aber umsonst. Der Regen wischte mir die Tränen vom Gesicht.

28

Auf dem Rückweg in die Buchhandlung kam ich am Kino Capitol vorbei, wo zwei Maler auf einem Gerüst verzweifelt zuschauten, wie das Plakat, dessen Farbe noch nicht trocken war, im Regen zerfloß. Aus der Ferne erkannte ich das stoische Bild der diensttuenden Wache vor der Buchhandlung. Als ich mich Don Federico Flaviás Uhrmacherei näherte, sah ich, daß der Inhaber auf der Schwelle seines Ladens stand, um den Wolkenbruch zu betrachten. Noch immer war sein Gesicht von den Narben seines Aufenthalts im Präsidium gezeichnet. Er trug einen tadellosen grauen Wollanzug und hatte eine Zigarette in der Hand, die er nicht einmal angezündet hatte. Ich winkte ihm zu, und er lächelte.