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»Wir haben uns seit Jahren aus den Augen verloren«, log er.

»Als letztes habe ich von ihm gehört, daß er in Italien lebt.« Aldaya hatte diese Antwort erwartet.

»Du enttäuschst mich, Miquel. Ich habe damit gerechnet, daß dich Zeit und Unglück weiser gemacht hätten.«

»Es gibt Enttäuschungen, die den ehren, der sie bereitet.« Aldaya lachte, kurz davor, sich in Bitterkeit aufzulösen.

»Fumero schickt euch seine aufrichtigsten Glückwünsche zu eurer Heirat«, sagte er auf dem Weg zur Tür.Diese Worte ließen mir das Herz gefrieren. Miquel wollte nichts sagen, aber als ich ihn an diesem Abend umarmte und wir beide so taten, als sänken wir in einen unmöglichen Schlaf, wurde mir klar, daß Aldaya recht gehabt hatte. Wir waren verflucht.Mehrere Monate hörten wir nichts mehr von Aldaya und auch nicht von Julián. Miquel war weiterhin fester freier Mitarbeiter bei einigen Barceloneser und Madrider Zeitungen. Unermüdlich arbeitend, saß er an der Schreibmaschine und erzeugte das, was er als Sottisen und Gesprächsstoff für Straßenbahnleser bezeichnete. Ich hatte meine Stelle in Cabestanys Verlag beibehalten, vielleicht weil das die einzige Art war, wie ich mich Julián näher fühlen konnte. In einer kurzen Notiz hatte er mir angekündigt, er arbeite an einem neuen Roman mit dem Titel Der Schatten des Windes, den er in einigen Monaten fertigzustellen hoffe. Der Brief, frostiger und distanzierter im Ton denn je, erwähnte mit keinem Wort, was in Paris geschehen war. Umsonst versuchte ich ihn zu hassen. Allmählich kam ich zu der Überzeugung, daß Julián weniger ein Mensch war als ein Verhängnis.Miquel gab sich hinsichtlich meiner Gefühle keiner Täuschung hin. Er schenkte mir seine Liebe und Verehrung, ohne dafür mehr zu verlangen als meine Gesellschaft und vielleicht mein Feingefühl. Nie wieder hörte ich aus seinem Mund einen Vorwurf oder eine Klage. Mit der Zeit verspürte ich jenseits von Freundschaft und Mitleid eine unendliche Zärtlichkeit für ihn. Er hatte ein Sparkonto auf meinen Namen eröffnet, auf das er nahezu all seine Einkünfte aus den Zeitungsartikeln einzahlte. Nie lehnte er einen Auftrag ab, weder eine Kritik noch einen Kurzbericht. Er schrieb unter drei Pseudonymen, vierzehn oder sechzehn Stunden täglich. Wenn ich ihn fragte, warum er soviel arbeite, lächelte er nur oder sagte, wenn er untätig sei, langweile er sich. Nie gab es Täuschungen zwischen uns, nicht einmal ohne Worte. Miquel wußte, daß er bald sterben würde, daß ihm die Krankheit gierig die Monate wegfraß.

»Du mußt mir versprechen, daß du, wenn mir etwas zustößt, dieses Geld nimmst und wieder heiratest, daß du Kinder haben und uns alle vergessen wirst, mich zuallererst.«

»Wen sollte ich denn heiraten, Miquel? Red doch keinen Unsinn.« Manchmal ertappte ich ihn dabei, wie er mich mit sanftem Lächeln aus einer Ecke heraus anschaute, als ob das reine Betrachten meiner Erscheinung sein größter Schatz wäre. Jeden Abend holte er mich am Eingang des Verlages ab, seine einzige Ruhepause des ganzen Tages. Ich sah, wie gebeugt er ging, hustend und eine Kraft vortäuschend, die bloß gespielt war. Er ging mit mir etwas Kleines essen oder in der Calle Fernando Schaufenster anschauen, dann kehrten wir nach Hause zurück, wo er bis nach Mitternacht weiterarbeitete. Insgeheim pries ich jede Minute, die wir gemeinsam verbrachten, und jede Nacht schlief er an mich geklammert ein, und ich mußte die Tränen der Wut verstecken, weil ich unfähig war, diesen Mann so zu lieben wie er mich, unfähig, ihm das zu geben, was ich Julián umsonst zu Füßen gelegt hatte. Nächtelang schwor ich mir, Julián zu vergessen, nur noch diesen armen Menschen glücklich zu machen und ihm wenigstens einige Krumen dessen zurückzugeben, was er mir geschenkt hatte. Zwei Wochen lang war ich Juliáns Geliebte gewesen, aber für den Rest meines Lebens wollte ich Miquels Frau sein. Wenn diese Seiten einmal den Weg zu Dir finden und Du über mich urteilst, so, wie ich es beim Schreiben getan und mich in diesem Spiegel der Verwünschungen und Gewissensbisse angeschaut habe, dann behalte mich so in Erinnerung, Daniel.Das Manuskript von Juliáns letztem Roman traf Ende 1935 ein. Ich weiß nicht, ob aus Erbitterung oder Angst, jedenfalls gab ich es ungelesen in die Druckerei. Miquels letzte Ersparnisse hatten die Herausgabe schon vor Monaten sichergestellt. Cabestany, der nach wie vor Probleme mit seiner Gesundheit hatte, war alles andere egal. In derselben Woche kam der Arzt, der bei Miquel Krankenbesuche machte, sehr besorgt zu mir in den Verlag und erklärte, wenn Miquel sein Arbeitstempo nicht reduziere und sich mehr Ruhe gönne, nütze auch das wenige nichts mehr, was er tun könne, um die Schwindsucht zu bekämpfen.

»Er sollte in den Bergen sein, nicht in der schlechten Barceloneser Luft. Weder ist er eine Katze mit neun Leben, noch bin ich sein Kindermädchen. Bringen Sie ihn zur Vernunft. Auf mich hört er nicht.« An diesem Mittag ging ich nach Hause, um mit ihm zu sprechen. Bevor ich die Wohnungstür öffnete, hörte ich Stimmen im Innern. Miquel stritt sich mit irgendwem. Anfänglich dachte ich, es sei jemand von der Zeitung, dann aber glaubte ich im Gespräch Juliáns Namen aufzuschnappen. Ich hörte Schritte auf die Tür zukommen und versteckte mich eilig auf dem Treppenabsatz des Dachgeschosses. Von dort aus konnte ich den Besucher erspähen.Ein Mann in Schwarz mit grob gemeißelten Zügen und schmalen Lippen, wie eine offene Narbe. Seine Augen waren ohne Ausdruck, Fischaugen. Bevor er sich treppab verlor, blieb er stehen und schaute ins Halbdunkel herauf. Mit angehaltenem Atem drückte ich mich an die Wand. Einige Augenblicke blieb er so stehen, als könnte er mich wittern, und lächelte hündisch. Ich wartete, bis seine Schritte vollständig verklungen waren, ehe ich mein Versteck verließ und die Wohnung betrat. Ein Kampfergeruch schwebte in der Luft. Miquel saß am Fenster, die Arme hingen ihm zu beiden Seiten des Stuhls hinunter. Seine Lippen zitterten. Ich fragte ihn, wer dieser Mann sei und was er gewollt habe.

»Das war Fumero. Er hat Nachrichten von Julián gebracht.«

»Was weiß denn der von Julián?« Er schaute mich an, niedergeschlagener denn je.

»Julián heiratet.« Das verschlug mir die Sprache. Ich ließ mich in einen Stuhl fallen, und Miquel nahm meine Hände. Er sprach mühsam und schleppend. Noch bevor ich irgend etwas sagen konnte, faßte er zusammen, was ihm Fumero erzählt hatte und was man sich darunter vorzustellen hatte. Fumero hatte sich an seine Verbindungsleute bei der Pariser Polizei gewandt, um Julián Carax’ Aufenthaltsort herauszufinden und ihn zu observieren. Miquel vermutete, das könne durchaus schon vor Monaten oder Jahren geschehen sein. Was ihm Sorgen bereitete, war nicht so sehr, daß Fumero Carax ausfindig gemacht hatte, das war nur eine Frage der Zeit gewesen, sondern daß er beschlossen hatte, es gerade jetzt zu verkünden, zusammen mit der befremdlichen Nachricht von einer unwahrscheinlichen Hochzeit. Diese sollte, soweit man wußte, Anfang Sommer 1936 stattfinden. Von der Verlobten war nur der Name bekannt, was in diesem Fall mehr als ausreichend war: Irène Marceau, die Inhaberin des Etablissements, in dem Julián jahrelang als Pianist arbeitete.

»Das versteh ich nicht«, murmelte ich.

»Julián heiratet seine Mäzenin?«

»Genau. Das ist keine Hochzeit, das ist ein Vertrag.« Irène Marceau war fünfundzwanzig oder dreißig Jahre älter als Julián. Miquel vermutete, Irène habe diese Ehe mit Julián schließen wollen, um ihr Vermögen auf ihn zu übertragen und so seine Zukunft abzusichern.

»Aber sie hilft ihm doch schon. Sie hat ihm schon immer geholfen.«

»Sie weiß wohl, daß sie nicht ewig da ist«, mutmaßte Miquel.Ich kniete neben ihm nieder, umarmte ihn und biß mir auf die Lippen, damit er mich nicht weinen sähe.