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Was Siuan auch vorhaben mochte, sie mußte unbedingt daran gehindert werden. Aufruhr und Chaos verbreiteten sich auf allen Seiten. Es war sicher, daß der Dunkle König freikommen würde. Bei dem bloßen Gedanken daran schauderte Elaida und zog die Stola enger um ihre Schultern. Und die Burg war so in kleinliche Streitereien verwickelt, daß sie dem nichts entgegenzusetzen hatten. Die Burg mußte wieder frei sein, um die Fäden zu spinnen, an denen ganze Nationen hingen, und sie mußte frei sein von all den Schwierigkeiten, die Rand al'Thor aufbeschwor. Die Welt mußte jetzt zusammenstehen. Irgendwie mußte er daran gehindert werden, Andor zu zerstören.

Sie hatte niemandem anvertraut, was sie über al'Thor wußte. Sie hatte vor, wenn möglich, in aller Stille mit ihm fertigzuwerden. Der Saal der Burg sprach bereits davon, diese Ta'veren zu beobachten und sogar zu führen. Sie würden niemals zustimmen, die drei oder speziell diesen einen zu beseitigen, aber er mußte beseitigt werden. Zum Besten der Burg. Zum Besten der ganzen Welt.

Sie gab einen kehligen Laut von sich, fast ein Grollen. Siuan war immer schon eigensinnig gewesen, selbst als Novizin, und hatte sich für die Tochter eines armen Fischers eine Menge herausgenommen, aber wie konnte sie es wagen, die Burg in so etwas zu verwickeln, ohne dem Saal davon zu berichten? Sie wußte genausogut wie die anderen, was ihnen bevorstand. Es konnte höchstens dann noch schlimmer kommen, wenn...

Mit einem Mal blieb Elaida stehen und starrte ins Leere. Konnte es sein, daß dieser al'Thor... die Macht benützte? Oder einer der anderen? Wenn, dann wahrscheinlich al'Thor. Nein. Sicher nicht. Nicht einmal Siuan würde sich mit einem von der Sorte abgeben. Das konnte sie nicht. »Wer weiß, was diese Frau fertigbringt?« murmelte sie. »Sie war noch nie für den Amyrlin-Sitz geeignet.« »Führt Ihr Selbstgespräche, Elaida? Ich weiß ja, daß Ihr Roten außerhalb Eurer Ajah keine Freundinnen habt, aber sicher habt Ihr doch wenigstens Freundinnen innerhalb, mit denen Ihr reden könnt.« Elaida wandte sich um und musterte Alviarin. Die Aes Sedai mit dem edlen Schwanenhals sah ihr mit dieser unerträglichen Kühle und Selbstsicherheit in die Augen, die alle Weißen Ajah auszeichnete. Die Roten und die Weißen liebten sich nicht gerade; sie hatten tausend Jahre lang auf gegenüberliegenden Seiten des Burgsaals gesessen. Die Weißen hielten mit den Blauen zusammen, und Siuan war eine Blaue gewesen. Doch die Weißen waren stolz darauf, leidenschaftslos logisch zu denken.

»Geht ein Stück mit mir«, sagte Elaida. Alviarin zögerte und schloß sich ihr dann doch an.

Zuerst zog die Weiße Schwester mißbilligend die Augenbrauen hoch, als Elaida ihr sagte, was sie von Siuan glaubte, aber später runzelte sie doch nachdenklich die Stirn. »Ihr habt keinen Beweis dafür, daß sie etwas so... Ungebührliches tut«, sagte sie, als Elaida schließlich schwieg.

»Noch nicht«, sagte Elaida mit fester Stimme. Sie gestattete sich ein verkrampftes Lächeln, als Alviarin nickte. Ein Anfang war gemacht. Auf welche Art auch immer, Siuan würde davon abgehalten, die Burg zu zerstören.

Dain Bornhald stand gut versteckt in einer Gruppe hoher Lederblattbäume über dem Nordufer des Taren. Er warf den weißen Umhang mit der strahlenden goldenen Sonne auf der Brust zurück und hob die feste Lederröhre des Fernrohrs an sein Auge. Eine Wolke von Stechmichs surrte um sein Gesicht herum, doch er ignorierte sie. Im Dorf Taren-Fähre auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses standen hochgebaute Steinhäuser auf massiven Sockeln, die sie vor den Überflutungen in jedem Frühjahr schützten. Die Dorfbewohner hatten sich aus den Fenstern gelehnt oder standen auf Balkonen herum und beobachteten die dreißig Reiter in weißen Umhängen und glänzenden Rüstungen, die vor ihnen auf ihren Pferden saßen. Eine Delegation von Männern und Frauen aus dem Dorf verhandelte mit den Reitern. Genauer gesagt: sie lauschten Jaret Byar, soweit Bornhald erkennen konnte.

Bornhald konnte beinahe seines Vaters Stimme hören: Wenn du sie in dem Glauben läßt, sie hätten eine Chance, wird irgend ein Narr sie zu ergreifen versuchen. Dann muß wieder getötet werden und ein weiterer Narr wird versuchen, den ersten zu rächen, und wieder wird es Tote geben. Mach ihnen von Anfang an angst vor dem Licht, laß sie wissen, daß niemandem etwas geschieht, solange sie tun, was man ihnen sagt, und du bekommst keine Schwierigkeiten.

Seine Kiefer verkrampften sich bei dem Gedanken an seinen toten Vater. Er mußte deshalb noch etwas unternehmen, und zwar bald. Er war sicher, daß nur Byar wußte, warum er so bereitwillig dieses Kommando übernommen und sich in das fast vergessene Hinterland von Andor begeben hatte, und Byar würde den Mund halten. Byar war Dains Vater so treu ergeben gewesen wie ein Hund, und diese Loyalität hatte er nun auf Dain übertragen. Bornhald hatte keinen Augenblick lang gezögert, ihn zu seinem Stellvertreter zu ernennen, als Eamon Valda ihm dieses Kommando anvertraute.

Byar wendete sein Pferd und ritt auf die Fähre zurück. Sofort legten die Fährschiffer ab und begannen, den breitgebauten Kahn mit Hilfe eines über den Fluß gespannten schweren Seils hinüberzuziehen. Byar sah kurz die Männer am Seil an. Sie beobachteten ihn nervös, während sie die Fähre entlangstapften und dann zurückgingen, um das Seil erneut aufzunehmen. Es sah alles gut aus.

»Lord Bornhald?« Bornhald senkte das Fernrohr und blickte sich um. Der Mann mit dem harten Gesicht, der neben ihm erschienen war, stand stramm und starrte unter seinem kegelförmigen Helm stur geradeaus hervor. Selbst nach der schweren Anreise von Tar Valon, auf der Bornhald die Truppe ständig zu größerer Eile angetrieben hatte, glänzte seine Rüstung genauso sauber und fleckenlos wie der schneeweiße Umhang mit der strahlenden goldenen Sonne.

»Ja, Kind Ivon?« »Hundertschaftsführer Farran schickt mich, Lord Bornhald. Es sind die Kesselflicker. Ordeith sprach mit dreien von ihnen, Lord, und nun ist keiner der drei mehr auffindbar.« »Blut und Asche!« Bornhald fuhr auf dem Fuß herum und schritt zwischen die Bäume zurück mit Ivon auf den Fersen.

Außer Sichtweite vom Fluß nahmen die Reiter in ihren weißen Umhängen den gesamten Raum zwischen den Lederblattbäumen und einer Gruppe von Kiefern ein. Sie hielten ihre Lanzen mit der Lässigkeit langer Gewöhnung in den Händen oder hatten die Bögen über die Sattelhörner gehängt. Die Pferde stampften ungeduldig mit den Hufen und schlugen mit den Schweifen. Die Reiter warteten um einiges gelassener. Es war nicht das erste Mal, daß sie einen Fluß überqueren und ein unbekanntes Gelände betreten mußten, und diesmal würde sie niemand daran zu hindern suchen.

Auf einer großflächigen Lichtung hinter den Berittenen stand eine ganze Karawane der Tuatha'an, des Fahrenden Volks. Kesselflicker. Beinahe hundert pferdegezogene Wagen, wie kleine Schachtelhäuser auf Rädern, blendeten den Blick mit ihren unzähligen Farben und Farbtönen: Rot und Grün und Gelb und jede überhaupt vorstellbare Farbenkombination war da zu sehen, an der auch nur das Auge eines Kesselflickers seine Freude haben konnte. Die Menschen selbst trugen Kleidung, die ihre Wagen noch an Farbigkeit übertrafen. Sie saßen in einer großen Gruppe auf dem Boden und betrachteten die Berittenen mit eigenartig gelassenem Unbehagen. Ein weinendes Kind wurde schnell von seiner Mutter beruhigt. In der Nähe lag ein von Fliegen umschwirrter Haufen toter Hunde. Die Kesselflicker erhoben nicht einmal eine Hand, um sich zu verteidigen, und die Hunde waren wohl eher zur Abschreckung dagewesen, aber Bornhald wollte kein Risiko eingehen.