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Der Tisch lag umgekippt auf der Seite. Münzen rollten noch immer über den Fußboden, auf dem die jungen Adligen und die Diener gleichermaßen herumkrochen. Sie starrten Mat und seine Messer mit weit aufgerissenen, verängstigten Augen an — sowohl die Messer in seinen Händen wie auch die an der Wand. Estean schnappte sich einen silbernen Krug, der aus irgendwelchen Gründen nicht mit umgestürzt war, und begann, sich den Wein in den Mund zu kippen. Ein Teil des Weins lief ihm über das Kinn und auf die Brust hinunter.

»Nur weil dein Blatt nicht gut genug ist, um zu gewinnen«, sagte Edorion heiser, »mußt du nicht gleich... « Er brach schaudernd ab.

»Ihr habt es doch auch gesehen.« Mat steckte die Messer wieder in ihre Scheiden zurück. Ein dünnes Rinnsal Blut lief ihm von der winzigen Wunde über den Handrücken. »Tut nicht so, als wärt ihr blind!« »Ich habe nichts gesehen«, sagte Reimon hölzern. »Nichts!« Er begann, über den Boden zu kriechen, Gold und Silber aufzusammeln, wobei er sich so auf die Münzen konzentrierte, als seien sie das Wichtigste auf der Welt. Die anderen machten es ihm nach, bis auf Estean, der herumkrabbelte und alle Becher untersuchte, ob in einem vielleicht noch etwas Wein übriggeblieben sei. Einer der Diener hatte das Gesicht in den Händen verborgen, der andere betete leise in weinerlichem, atemlosem Ton mit geschlossenen Augen.

Mat knurrte einen Fluch und ging hinüber, wo seine Messer die drei Karten an die Wand genagelt hatten. Sie waren nur noch gewöhnliche Spielkarten, einfach Pappe mit leicht gesprungenen Lackfarben. Aber die Gestalt der Amyrlin hielt noch immer den Dolch anstelle der Flamme in der Hand. Er schmeckte Blut und ihm wurde bewußt, daß er an dem Schnitt in seinem Handrücken saugte.

Hastig riß er seine Messer heraus und zerriß jede Karte in zwei Hälften, bevor er das entsprechende Messer wegsteckte. Nach einem Augenblick des Überlegens suchte er die Karten auf dem Fußboden ab, bis er die Herren der Münzen und des Windes aufgespürt hatte. Die zerriß er ebenfalls. Er fühlte sich dabei wohl etwas närrisch, da ja alles vorüber war, und die Karten wieder nur Karten, aber er konnte nicht anders.

Keiner der jungen Adligen, die auf den Knien herumrutschten, versuchte, ihn aufzuhalten. Sie krabbelten ihm aus dem Weg und blickten ihn nicht einmal an. Heute nacht würde es keine Kartenspiele mehr geben und vielleicht auch an den nächsten Abenden nicht. Auf jeden Fall nicht mit ihm. Was auch geschehen war, es hatte eindeutig ihm gegolten. Und was noch eindeutiger war: Es hatte mit der Einen Macht zu tun. Und damit wollten sie nichts zu tun haben.

»Seng dich, Rand!« knurrte er leise. »Wenn du schon verrückt wirst, dann laß mich aus dem Spiel!« Seine Pfeife lag in zwei Teilen am Boden. Er hatte den Stiel glatt durchgebissen. Wütend schnappte er sich seinen Geldbeutel vom Fußboden und stolzierte aus dem Raum.

In seinem dunklen Schlafgemach wälzte sich Rand unruhig auf einem Bett herum, das breit genug war für fünf. Er träumte.

Moiraine trieb ihn mit einem spitzen Stock durch einen düsteren Wald zu einer Lichtung, auf der die Amyrlin ihn schon erwartete. Sie saß auf einem Baumstumpf und hatte ein für ihn bestimmtes Henkerseil in der Hand. Zwischen den Bäumen bewegten sich dunkle Gestalten, die er nur undeutlich wahrnehmen konnte, lauerten, hetzten ihn. Hier blinkte ein Dolch im Dämmerlicht, dort wartete ein Strick, um ihn zu fesseln. Moiraine, schlank und so klein, daß sie ihm kaum bis an die Schulter reichte, ließ einen Gesichtsausdruck erkennen, den er bei ihr noch nie gesehen hatte. Angst. Sie schwitzte, stieß ihn fester, versuchte, ihn dem Henkerseil der Amyrlin schneller zuzutreiben. Schattenfreunde und die Verlorenen lauerten im Wald, die Leine der Weißen Burg vor und Moiraine hinter ihm. Er duckte sich unter Moiraines Stock hindurch und floh.

»Dazu ist es zu spät!« rief sie ihm nach, aber er mußte zurück. Zurück.

Im Schlaf vor sich hin murmelnd, wälzte er sich herum, lag still, und dann atmete er kurze Zeit etwas leichter.

Er befand sich zu Hause im Wasserwald. Der Sonnenschein trieb breite Lichtbalken zwischen den Bäumen hindurch und glitzerte auf dem Teich vor ihm. Die Felsbrocken auf seiner Seite des Teichs waren grün bemoost, und dreißig Schritt entfernt am anderen Ufer blühten Blumen. Hier hatte er als Kind schwimmen gelernt.

»Du solltest jetzt ein wenig schwimmen.« Er fuhr erschrocken herum. Da stand Min in ihrer Jungenkleidung und grinste ihn an. Daneben stand Elayne. Ihr rotgoldenes Haar leuchtete über einem grünen Seidenkleid, das auch in den Palast ihrer Mutter gepaßt hätte.

Min war diejenige, die gesprochen hatte. Nun fügte Elayne hinzu: »Das Wasser wirkt einladend, Rand. Niemand wird uns hier stören.« »Ich weiß nicht«, begann er leise, doch Min unterbrach ihn, legte ihm die Arme um den Hals und zog sich auf die Zehenspitzen hoch. Dann gab sie ihm einen Kuß.

Sie wiederholte Elaynes Worte sanft und leise: »Niemand wird uns hier stören.« Dann trat sie zurück und warf ihren Mantel zur Seite, begann, die Bänder ihres Hemdes zu lösen.

Rand starrte sie entgeistert an, und seine Augen wurden noch größer, als er bemerkte, daß Elaynes Kleid auf dem moosbewachsenen Waldboden lag. Die Tochter-Erbin beugte sich gerade mit überkreuzten Armen vor, um sich das Hemd über den Kopf zu ziehen.

»Was macht ihr da?« fragte er mit erstickter Stimme.

»Wir machen uns fertig, um mit dir schwimmen zu gehen«, antwortete Min.

Elayne lächelte ihn an und zog das Hemd hoch.

Er drehte ihr schnell den Rücken zu, obwohl er eigentlich gern zugeschaut hätte. Und da fiel dann sein Blick auf Egwene, deren große, dunkle Augen ihn traurig anblickten. Wortlos wandte sie sich um und verschwand im Wald.

»Warte!« rief er ihr nach. »Ich kann es erklären!« Er fing an zu rennen. Er mußte sie finden. Aber als er den Waldrand erreichte, ließ Mins Stimme ihn stehenbleiben.

»Geh nicht, Rand!« Sie und Elayne befanden sich bereits im Wasser. Nur ihre Köpfe waren zu sehen, als sie sich entspannt in die Mitte des Teichs treiben ließen.

»Komm zurück«, rief Elayne und hob einen schlanken Arm, um ihm zuzuwinken. »Hast du nicht zur Abwechslung einmal verdient, was du gern haben möchtest?« Er trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. Er wollte sich bewegen, war aber nicht in der Lage, sich für eine Richtung zu entscheiden. Was er gern haben wollte. Das klang eigenartig. Was wollte er eigentlich? Er hob eine Hand an sein Gesicht, um wegzuwischen, was ihm als Schweiß von der Stirn zu rinnen schien. Verfaulendes Fleisch hatte beinahe den in seine Handfläche gebrannten Reiher ausgelöscht. Zwischen den ekligroten Wundrändern blitzten weiße Knochen.

Mit einem Ruck fuhr er hoch und war wach. Er lag vor Kälte zitternd in der dunklen Nachthitze. Seine Unterwäsche war schweißgetränkt, genau wie das leinene Bettuch unter seinem Rücken. Seine Seite brannte, wo die alte Wunde noch immer nicht richtig verheilt war. Er fuhr mit den Fingern die Narbe nach einen Kreis von mehr als zwei Finger Durchmesser, wo die Haut nach all dieser Zeit noch immer empfindlich war. Selbst Moiraines Aes-Sedai-Heilkunst konnte die Heilung nicht bewerkstelligen. Aber noch verfaule ich nicht. Und ich bin auch noch nicht wahnsinnig. Noch nicht. Noch nicht. Das sagte alles. Er hätte gern gelacht, fragte sich aber gleichzeitig, ob das ein Anzeichen für den beginnenden Wahnsinn sei.

Von Min und Elayne zu träumen, und dann noch auf diese Art und Weise...

Nun ja, Wahnsinn war es nicht, aber verrückt schon. Keine der beiden hatte ihn je auf diese Art angesehen, wenn er wach war. Er war beinahe mit Egwene verlobt gewesen, und das seit ihrer Kindheit. Sicher war die Verlobungsformel nicht vor der Versammlung der Frauen gesprochen worden, aber jeder in und um Emondsfeld herum hatte gewußt, daß sie eines Tages heiraten würden.