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Natürlich würde dieser Tag nun niemals kommen, nicht bei dem Schicksal, das einen Mann erwartete, der die Macht lenkte. Auch Egwene mußte das begriffen haben. Sie war vollauf damit beschäftigt, zur Aes Sedai zu werden. Trotzdem — Frauen waren schon seltsam:

Vielleicht dachte sie, sie könne Aes Sedai sein und ihn dennoch heiraten, ob er nun die Macht benutzen konnte oder nicht. Wie konnte er ihr sagen, daß er sie nicht mehr heiraten wollte, daß er sie wie eine Schwester liebte? Aber es war sicher nicht mehr notwendig, ihr das zu sagen. Er konnte sich hinter dem verstecken, was er war; das mußte sie verstehen. Denn welcher Mann konnte eine Frau bitten, ihn zu heiraten, obwohl er wußte, daß er mit Glück nur ein paar Jahre vor sich hatte, bevor er wahnsinnig wurde, bevor er bei lebendigem Leib zu verfaulen begann? Er schauderte trotz der Hitze.

Ich brauche Schlaf. Die Hochlords würden am Morgen zurückkehren und wieder um seine Gunst buhlen — um die Gunst des Wiedergeborenen Drachen. Vielleicht träume ich diesmal nicht. Er rollte sich herum und suchte nach einem trockenen Fleck auf dem Bettuch. Doch dann erstarrte er und lauschte einem leichten Rascheln in der Dunkelheit. Er war nicht allein.

Das Schwert, Das Kein Schwert War, lag auf der anderen Seite des Zimmers, außerhalb seiner Reichweite, auf einem thronähnlichen Ständer, den ihm die Hochlords verehrt hatten, zweifellos in der Hoffnung, daß er Callandor irgendwo außer Sicht aufbewahren werde. Jemand will Callandor stehlen. Ein neuer Gedanke kam ihm. Oder den Wiedergeborenen Drachen töten. Er brauchte Thoms heimlich zugeflüsterte Warnungen nicht, um zu wissen, daß das Geschwätz der Hochlords von Loyalität nur der augenblicklichen Notwendigkeit entsprang.

Er löste sich von allen Gedanken und Gefühlen und suchte das Nichts. Das ging mühelos. Als er in der kalten Leere in seinem Innern schwebte, Gedanken und Gefühle außerhalb zurücklassend, griff er nach der Wahren Quelle. Diesmal berührte er sie leicht, was nicht immer der Fall war.

Saidin erfüllte ihn wie ein Strom weißer Glut, ließ ihn vor Leben sprühen, machte ihn krank mit der Fäulnis, mit der es der Dunkle König vergiftet hatte. Es war wie Schmutz, der an der Oberfläche klaren, sauberen Wassers schwamm. Der Strom drohte, ihn wegzuschwemmen, ihn zu verbrennen, ihn einzuschließen.

Er kämpfte gegen die Flut an und meisterte sie mit reiner Willenskraft. Er ließ sich aus dem Bett fallen, landete auf den Füßen, benützte die Macht und nahm sofort eine Haltung ein, die er beim Schwertkampf unter dem Namen ›Apfelblüten im Wind‹ kennengelernt hatte. Es konnten sich nicht viele Feinde im Raum befinden, sonst hätten sie mehr Lärm gemacht; seine Haltung, die so wohlklingend umschrieben wurde, war aber trotzdem die eines Schwertkämpfers, der mehr als einem Gegner gegenübersteht.

Als seine Füße den Teppich berührten, hielt er ein Schwert in der Hand. Es hatte einen langen Griff und eine leicht gekrümmte Klinge, die an einer Seite geschliffen war. Es sah aus, als sei es aus Feuer geschmiedet worden, fühlte sich aber nicht einmal warm an. Die Gestalt eines Reihers hob sich schwarz vom Gelb-Rot der Klinge ab. Im gleichen Moment entzündete sich jede Kerze, jede vergoldete Lampe im Raum, und die kleinen Spiegel hinter jeder einzelnen verstärkten den Lichtschein. Große Spiegel an den Wänden und zwei Spiegelständer reflektierten das Licht erneut, bis er bequem in jeder Ecke des großen Raums hätte lesen können.

Callandors Ständer war mannshoch, aus kunstvoll geschnitztem Holz, vergoldet und mit kostbaren Edelsteinen eingelegt. Dort stand unberührt das Schwert, das ganz aus Glas angefertigt zu sein schien. Auch die übrige Einrichtung war vergoldet und mit Gemmen besetzt, selbst Bett und Stühle und Bänke, Kleiderschrank, Truhen und Waschtisch. Krug und Waschschüssel bestanden aus dem goldenem Porzellan der Meerleute und waren so dünn wie ein Blatt. Von dem breiten Teppich aus Tarabon mit seinen roten, goldenen und blauen Mustern hätte ein ganzes Dorf monatelang leben können. Auf beinahe jeder freien Fläche stand weiteres zerbrechliches Meervolk-Porzellan der Pokale und Schüsseln aus Gold, mit Silber eingelegt, oder aus vergoldetem Silber. Auf dem breiten Marmorsims über dem Kamin jagten zwei Silberwölfe mit Rubinaugen einen gut drei Fuß hohen goldenen Hirsch. Vor den engen Fenstern hingen Vorhänge aus scharlachroter Seide mit aufgestickten Adlern aus Goldfäden. Sie blähten sich leicht im nachlassenden Nachtwind. Wo noch Platz war, lagen Bücher, in Leder gebunden, in Holz gebunden, manche zerfleddert und noch voller Staub, wie er sie von den hintersten Regalbrettern der Bibliothek des Steins hatte herholen lassen.

Wo er nun Attentäter oder Diebe zu sehen erwartet hatte, stand allein eine schöne junge Frau zögernd und überrascht in der Mitte des Raums. Das schwarze Haar fiel ihr in sanften Wellen auf die Schultern. Ihr dünner weißer Umhang enthüllte mehr, als er verbarg. Berelain, die Herrscherin des Stadtstaates Mayene, war die letzte Person, die er hier zu sehen erwartet hatte.

Zuerst fuhr sie zusammen und riß die Augen auf, doch dann machte sie einen tiefen, graziösen Knicks, bei dem sich ihr Umhang noch straffte. »Ich bin unbewaffnet, Lord Drache. Ich unterwerfe mich Eurer Untersuchung, wenn Ihr an meinen Worten zweifelt.« Ihr Lächeln machte ihn nervös und darauf aufmerksam, daß er nichts als Unterwäsche an hatte.

Ich will versengt sein, wenn ich ihretwegen herumrenne und versuche, mir etwas anzuziehen. Der Gedanke schwebte jenseits des Nichts. Ich habe sie nicht gebeten, zu mir hereinzukommen. Sich einzuschleichen! Auch Ärger und Verlegenheit trieben am Rande der Leere entlang, doch er errötete trotzdem, war sich dessen auch vage bewußt, und dieses Bewußtsein trieb ihm die Röte noch tiefer ins Gesicht. So kaltblütig und ruhig innerhalb des Nichts, aber draußen... Er nahm jeden einzelnen Schweißtropfen wahr, der ihm über Brust und Rücken rann. Es kostete ihn ungeheure Mühe und Willenskraft, hier vor ihren Augen stehenzubleiben. Sie durchsuchen? Licht, hilf mir!

Er entspannte sich und ließ das Schwert verschwinden, doch den engen Strom, der ihn mit Saidin verband, unterbrach er noch nicht. Das war so, als trinke er aus einem Loch im Deich, obwohl der ganze Dammbau nachgeben wollte. Und das Wasser war süß wie Honigwein und machte ihn krank wie ein Bach, der sich aus einem Misthaufen ergoß.

Er wußte nicht viel über diese Frau, nur, daß sie durch den Stein schritt, als sei es ihr Palast in Mayene. Thom sagte, die Erste von Mayene stelle pausenlos Fragen an jedermann, vor allem aber erkundige sie sich überall nach Rand. Was vielleicht ganz normal war, wenn man bedachte, was er war, doch leichter machte es ihm die Sache nicht. Und sie war nicht nach Mayene zurückgekehrt. Das war unnatürlich. Sie war monatelang praktisch gefangen gehalten worden, auch wenn man es nicht so nannte, bis er ankam — abgeschnitten von ihrem Thron und der Herrschaft über ihr kleines Volk. Die meisten Menschen hätten in ihrer Lage die erste Gelegenheit ergriffen, um vor einem Mann wegzulaufen, der die Macht benutzte.

»Was macht Ihr hier?« Er wußte, das klang grob, aber es war ihm gleich. »Als ich schlafen ging, standen Aiel an meiner Tür Wache. Wie seid Ihr an ihnen vorbeigekommen?« Berelains Lächeln verstärkte sich noch etwas. Rand schien es, als sei es im Raum noch ein wenig heißer geworden. »Sie haben mich sofort durchgelassen, als ich sagte, der Lord Drache habe mich zu sich bestellt.« »Bestellt? Ich habe niemanden zu mir bestellt.« Hör auf damit, sagte er sich. Sie ist Königin oder beinahe so etwas. Du weißt ebensoviel über den Umgang mit Königinnen wie über das Fliegen. Also bemühte er sich, höflich zu sein, nur, wußte aber nicht einmal, wie man die Erste von Mayene anredete. »Lady...« Das mußte eben reichen. »... warum sollte ich Euch um diese Zeit in der Nacht zu mir bestellen?« Sie lachte mit tiefer, wohltönender Stimme — ein kehliges Lachen. Sogar in das Nichts gehüllt, schien es ihn zu erregen, sträubten sich ihm die Härchen auf Armen und Beinen. Plötzlich wurde ihm ihr durchscheinendes, enges Gewand erst richtig bewußt, und er spürte, wie er erneut rot anlief. Sie kann doch nicht meinen... Oder doch? Licht, ich habe mit ihr doch noch keine zwei Worte gesprochen.